"Wir dachten, die Freiheit sei zum Greifen nah"
Edmuns Baranowski nahm als 19-Jähriger am Warschauer Aufstand 1944 teil(n-ost) - Er war 19 Jahre alt, als er seine Stadt von den deutschen Besatzern befreien wollte. Edmund Baranowski kämpfte 1944 im Warschauer Aufstand und erlebte die Grausamkeiten, die die Nazi-Schergen in den 63 Tagen der Erhebung an der Warschauer Bevölkerung verübten. 65 Jahre danach sieht der 84-Jährige die deutsch-polnische Verständigung auf einem guten Weg. Im Interview spricht der Generalsekretär des Rats der Stiftung polnisch-deutsche Aussöhnung über menschliche Momente zwischen den Fronten und die früher verbotene, heute hingegen popularisierte Erinnerung an den Aufstand von 1944.
Frage: Herr Baranowski, seit kurzem müssen heranwachsende Männer in Polen keine Wehrpflicht mehr ableisten. Jetzt muss die polnische Armee neue Soldaten mit Geld locken. Als Sie im wehrfähigen Alter waren, herrschte Krieg. Das polnische Untergrundheer, die Armia Krajowa (AK, Heimatarmee) hatte jedoch wenig Probleme, Rekruten zu finden. Sie selbst waren einer von ihnen, mit 19 Jahren kämpften Sie beim Warschauer Aufstand. Was trieb Sie an?
Baranowski: Für meine Generation und mich war der Aufstand die Krönung einer vierjährigen militärischen Ausbildung. Ich bin 1941 der Heimatarmee beigetreten und wir wurden seitdem für eine bewaffneten Aktion ausgebildet. Als der Tag dann anbrach, waren wir sehr froh. Wir hatten ja die Hoffnung, unser Kampf um Warschau würde von kurzer Dauer sein.
Frage: Es gab da die Zuversicht, die Sowjets würden einschreiten...
Baranowski: Warschau war zu diesem Zeitpunkt eine Frontstadt. Über der Stadt erschienen tagsüber sowjetische Jägerflugzeuge und in der Nacht bombardierten sie Eisenbahnanlagen im östlichen Stadtteil Praga. Den Krach konnten wir hören. Doch die Front lag 15 Kilometer östlich der Stadt. Dort lieferte sich das sowjetische Panzerkorps mit den deutschen Divisionen eine Panzerschlacht. Die Deutschen gewannen. Die Chance, dass die Russen zumindest in Praga einmarschieren, waren damit geschwunden. Wir waren auf uns gestellt.
Frage: Welchen Stellenwert hatte der Warschauer Aufstand Ihrer Meinung nach für Polen, aber auch für den Kriegsverlauf?
Baranowski: Der Aufstand war ein kleines Fragment in den Kriegshandlungen. Für die gewaltige Ostfront war er nur eine Kriegsepisode. Für uns Polen allerdings hatte er einen großen Stellenwert. Wir haben gedacht, die Freiheit sei zum Greifen nah. Aber er entschied nicht über das Los des Krieges. Politisch war er ebenso nicht ausschlaggebend, denn das Los der Polen wurde nicht auf den Schlachtfeldern oder auf den Straßen des kämpfenden Warschau entschieden, sondern in den diplomatischen Hinterzimmern der Alliierten.
Frage: Sie und Ihre Kameraden haben 63 Tage lang gegen die deutschen Besatzer gekämpft, die mit einer immensen Brutalität gegen Sie und die Zivilbevölkerung vorgegangen sind. Stimmt die vereinfachte Formel von den Aufständischen als den „Guten“ und den deutschen Verbänden als den „Bösen“?
Baranowski: Auf der deutschen Seite gab es eindeutig mehr Übel. Allein schon, weil eine Reihe von Einheiten auf deutscher Seite kämpften, die keine Menschlichkeit kannten, wie die SS-Sturmbrigade Dirlewanger. Aber in dem Meer an Übel gab es auch einen Lichtblick an Humanität auf der deutschen Seite. Das war sehr selten, fand aber statt. Ein Kommandeur etwa erlaubte, den Aufständischen ein Krankenhaus zu übergeben. Es gab auch den Fall, in dem ein SS-Offizier verletzten Polen aus Kellern heraus half. Eine ungewöhnliche Tat. Die Bibel spricht davon, dass ein einzelner Gerechter eine Stadt retten kann.
Frage: Sind solche Fälle der polnischen Öffentlichkeit bekannt? Der Warschauer Aufstand wurde von Warschauer Politikern immer wieder zur Aufrechnung der Tausenden Zivilopfer und Verluste gegen vermeintliche deutsche Vertriebenenentschädigungen genutzt.
Baranowski: Die polnische Seite verschleierte diese Dinge nicht. Im Gegenteil, diese Anzeichen der Humanität wurden unterstrichen. Die Wende, die nach 1989 eingeleitet wurde, erleichterte das Ausbreiten von ehemals schwierigen Themen.
Frage: Zum schwierigen Thema zählte die von der heutigen historischen Forschung zum Teil belegte unterlassene Unterstützung durch die Rote Armee. Wurde dadurch der Warschauer Aufstand in der Volksrepublik tabuisiert?
Baranowski: Man durfte zwar nicht laut darüber reden, aber man kann nicht sagen, dass gar nicht davon gesprochen wurde. Schließlich ging das Ereignis eine ganze Generation an. Man kann Menschen nicht die Lippen verschließen und die Ohren zuhalten. In der Nachkriegszeit erschienen sogar sehr viele interessante Bücher über den Aufstand. Gerade in den 1950er und 1960er Jahren. Vielleicht war da nicht jeder Aspekt der damaligen politischen Situation erläutert.
Frage: Wie sah die Erinnerung an den Aufstand aus?
Baranowski: Auf dem Warschauer Heldenfriedhof Powazki haben sich immer Menschen versammelt, die die Erinnerung an den Aufstand aufrecht erhalten wollten. Klar, es waren mal mehr, mal weniger. Immer wieder nahmen auch Regime-Mitglieder teil. Der Kommunismus in Polen hatte unterschiedliche Phasen. Von 1944 bis 1955 wurden wir wirklich bei der Stange gehalten. Aber ab 1954 kamen immer mehr ehemalige Aufständische aus Gefängnissen frei und es wurde wieder breiter über den Aufstand gesprochen. Es gab zwar keine Akzeptanz von Seiten des Regimes und keine warmen Worte. Aber der Aufstand wurde nicht mehr ignoriert.
Frage: Seit einigen Jahren ist der Aufstands sehr populär. Das Museum des Warschauer Aufstands schreibt immer wieder Besucherrekorde, Medien drucken die einstige Aufstandszeitung nach und HipHop-Künstler landen mit Liedern über den heroischen Kampf in den Charts. Was halten Sie von der heutigen Form des Gedenkens?
Baranowski: Das, was in Kreisen von Jugendlichen entsteht und vom Aufstand inspiriert wurde, kann ich nur loben. Wenn die Jugend den Aufstand in dieser Form thematisieren möchte, dann habe ich keine Bedenken. Einiges ist zwar diskussionswürdig, etwa ein Comic über den Aufstand. Da hatte ich meine Bedenken, was die Fakten anging und habe das auch geäußert. Aber so ist nun mal der heutige Zeitgeist.
Frage: Gehört die deutsch-polnische Annäherung ebenfalls zum heutigen Zeitgeist?
Baranowski: Ich denke ja. Sowohl der Großteil der polnischen als auch der deutschen Gesellschaft geht den richtigen Weg der gegenseitigen Annäherung. Wir leben schon seit tausend Jahren nebeneinander und das wird sich auch nicht ändern. Einer unserer Politiker soll mal gesagt haben, er tausche die Souveränität Polens gegen eine andere geografische Lage des Landes ein. Das wird aber nicht passieren. Wir bleiben Nachbarn und die Nachbarschaft wird sich gut gestalten.
Frage: Herr Baranowski, vielen Dank für das Gespräch.
Der heute 84-jährige Edmund Baranowski nahm vor 65 Jahren am Warschauer Aufstand teil. Foto: Markus Nowak
INFOKASTEN:Der Warschauer AufstandDer Warschauer Aufstand begann am 1. August 1944 und dauerte 63 Tage. Rund 45.000 schlecht bewaffnete Aufständische kämpften gegen die gut gerüstete deutschen Besatzungsmacht aus 39.000 Einheiten. In den ersten Tagen konnten die Kämpfer der Armia Krajowa (AK, Heimatarmee) militärische Gewinne verbuchen, knapp eine Woche nach Beginn der Offensive gingen sie nur noch dazu über, eigene Stellungen zu verteidigen. Nach der Niederlage und Kapitulation der polnischen Verbände wurde die Stadt dem Erdboden gleichgemacht. Etwa 200.000 Zivilisten wurden während der 63-tägigen Erhebung von den NS-Truppen ermordet.Markus Nowak
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