Ex-Polizist gesteht Beteiligung an Journalistenmord
Er nannte sich Aljoscha, gab sich als pensionierter Kapitän aus und ließ sich einen Bart wachsen. Anderthalb Jahre lang lebte der 70-Jährige zurückgezogen in einem Dorf in der Nähe von Schytomyr in der Nordukraine. Am Dienstagabend endete das Versteckspiel des Olesksij Pukatsch.
Beamte des ukrainischen Inlandsgeheimdienstes SBU und der Generalstaatsanwaltschaft nahmen den ehemaligen Generalleutnant des Innenministeriums fest, als dieser gerade vom Angeln kam. Ein Youtube-Video zeigt den kräftigen Mann in einem ärmellosen T-Shirt am Boden liegend, die Hände auf dem Rücken gefesselt. (http://www.youtube.com/watch?v=_HvjZdyWpls). Nach Pukatsch war auch in den USA und Israel gefahndet worden. Die Festnahme kam überraschend: Pukatsch soll an der Entführung und Ermordung des regierungskritischen Journalisten Georgij Gongadse im Herbst 2000 beteiligt gewesen sein. Der 31-Jährige war Gründer der Internetzeitung „Ukrainskaja Prawda“, die immer wieder mit investigativen Geschichten und Berichten über Korruption in der Regierung für Schlagzeilen sorgt.
Pukatsch gilt als wichtigste Verbindungsfigur in dem Mord-Fall, dessen Hintergründe bis heute nicht aufgeklärt sind. Wegen der Ermordung des Enthüllungsjournalisten sitzen bereits drei ehemalige Polizisten in Haft. Sie sollen den Journalisten am 16. September 2000 auf dem Heimweg gekidnappt, verschleppt und später ermordet haben. Zwei Monate später war Gongadses enthauptete Leiche in einem Wald bei Kiew gefunden worden. Pukatsch soll das Mordkommando koordiniert haben. Damals war Pukatsch im ukrainischen Innenministerium für Auslandsgeheimdienste zuständig. Bei seiner Verhaftung ging er in die Offensive: Er könne die Ermittler zu Gongadses Kopf führen und werde auch die Hintermänner der Tat nennen, kündigte Pukatsch an.
Bereits 2001 hatte ein früherer Mitarbeiter der Präsidialgarde der Presse heimliche Tonbandaufnahmen vorgeführt, auf denen der damalige Präsident Kutschma seinem Innenminister Krawtschenko Anweisung gibt, mit dem unliebsamen Journalisten Gongadse „aufzuräumen“ und „klarzukommen“. Immer wieder wurde kolportiert, auch Kutschmas engster Mitarbeiter, der Chef der Präsidialverwaltung Wolodymyr Lytwyn, sei eingeweiht gewesen. Lytwyn bekleidet heute den einflussreichen Posten des Parlamentsvorsitzenden. Kutschma und Lytwyn bestreiten alle Vorwürfe. Krawtschenko, der im März 2005 im Ermittlungsverfahren aussagen sollte, wurde am Morgen der Vernehmung mit zwei Schusswunden am Kopf tot in seiner Datscha bei Kiew aufgefunden.
Beobachter spekulieren nun über den Zeitpunkt der Festnahme Pukatschs. Am 17. Januar wird in der Ukraine ein neuer Präsident gewählt. Nico Lange von der Adenauerstiftung glaubt, dass Präsident Juschtschenko seine zuende gehende Amtszeit gern mit der Lösung des Gongadse-Falls krönen würde. Juschtschenkos Umfragewerte sind seit Monaten am Boden. Am Mittwoch kündige Juschtschenko der Bevölkerung bereits „große Neuigkeiten“ an. Der Gongadse-Fall sei ein „Kampf zwischen Gut und Böse“. Der Büroleiter der Heinrich-Böll-Stiftung in der Ukraine, Kyril Savin, vermutet ebenfalls, dass mit Pukatsch Wahlkampf gemacht werden soll. Falls Pukatsch wirklich zu brisanten Aussagen bereit sei, sei sein Leben in Gefahr, fürchtet Savin.
Nach Medienberichten wird Pukatsch an einem geheimen Ort in Kiew festgehalten und von Antiterror-Einheiten des Geheimdienstes geschützt. Entscheidend könnte in den kommenden Tagen sein, wer den Festgenommenen verhört und wie mit den gewonnenen Informationen umgegangen wird. So steht der Geheimdienst SBU dem ukrainischen Präsidenten Juschtschenko nahe, Innenministerium und Miliz der Premierministerin Timoschenko und der Generalstaatsanwalt der oppositionellen Partei der Regionen. Der stellvertretende SBU-Chef erklärte bereits, Pukatsch habe die Auftraggeber des Mordes genannt und es befänden sich hohe Regierungsvertreter darunter. Konkrete Namen wurden bisher jedoch nicht bekannt.Gongadses Familie ist nach wie vor davon überzeugt, dass die wahren Hintermänner des Mordes in den höchsten Regierungsetagen sitzen. Seine Witwe, Miroslawa Gongadse, hofft, dass nun die Auftraggeber des Mordes an ihrem Mann bekannt würden. In einem Radiointerview forderte sie gestern, die Untersuchungsgruppe der Generalstaatsanwaltschaft aufzustocken, um die Ermittlungen voranzutreiben. Frau Gongadse bezweifelte allerdings, dass der politische Wille, das Verbrechen wirklich aufzuklären, groß genug ist.