Tschechien

Rote Karte fürs Rotlichtmilieu

Der „längste Straßenstrich Europas“ in Norböhmen verödet(n-ost) - „Willkommen im Love Story“, leuchtete es über Jahre neongrell über einem Nachtklub im nordböhmischen Dubi (Eichwald). In einem großen Schaufenster darunter verrenkten sich halbnackte Frauen in mehr oder minder erotischen Posen, um Kunden anzulocken. Vom „Love Story“ existiert nur noch der Parkplatz. In besagtem Schaufenster stehen jetzt Waschmittelpakete. Der einstige Nachtklub ist zu einer Drogerie mutiert. Nicht einmal Präservative hat die im Angebot. Ganz so, als wollte sie keinerlei Spuren zur vorherigen Nutzung des Ladens legen. Vielleicht aber auch wegen der mangelnden Nachfrage.Das einst lauschige Kurbad Dubi unweit der Grenze zu Sachsen und durchzogen von der Europastraße E 55 war nach 1989 zum „längsten Straßenstrich Europas“ verkommen. Mit Berühmtheit über Europa hinaus. Am Rande des Basars im tunesischen Sousse beispielsweise weisen bis heute Schilder mit der Aufschrift „E 55“ in Richtung der dortigen Absteigen. An die 50 Bordelle entlang der Ruska-Straße, die Teplice (Teplitz-Schönau) mit Zinnwald verbindet, warben um zahlungskräftige „Freier“ aus dem benachbarten Deutschland. Zu besten Zeiten verdienten hier 400 Huren ihr Geld mit dem käuflichen Sex. Jetzt sind es noch ganze vier Bordelle. Und eines davon öffnet auch nur noch am Wochenende, über einem anderen prangt schon das Verkaufsangebot einer Immobilienkanzlei. Dubi wird wieder zu einem normalen Städtchen.Der Wirt des Restaurants „Bernard“ hatte neben Bier und warmen Speisen einst auch Frauen in seinem „Angebot“. Auf der von der Abendsonne beschienenden Terasse gibt er bereitwillig Auskunft: „Das hat sich nicht mehr gelohnt. Weder für uns noch für die Mädchen. Die Deutschen blieben einfach weg. Kein Geschäft mehr.“ Hunger leide er trotzdem nicht. „Das Restaurant läuft ja weiter. Und die Zimmer oben, in denen die Mädchen früher gearbeitet haben, vermiete ich jetzt langfristig. Da komme ich auch auf mein Geld.“ Und wo sind die Mädchen abgeblieben? „Wir hatten hier viele Bulgarinnen und Rumäninnen. Die sind direkt nach Deutschland gegangen. Beide Länder sind ja jetzt auch in der EU. In den wenigen Bordellen, die es in Dubi noch gibt, werden sie bloß noch Tschechinnen und Slowakinnen finden.“Es ist aber nicht nur die Krise, die die Deutschen das Geld zusammenhalten lässt und von erotischen Abstechern ins Böhmische abhält. „Der Niedergang begann schon früher. Vor allem mit der Fertigstellung der Autobahn zwischen Dresden und Usti“, erinnert sich der Wirt. „Und als dann Schengen kam, war es mit den langen Warteschlangen vor dem Grenzzollamt in Zinnwald vorbei. Bis dahin verkürzten sich die Trucker-Fahrer die Wartezeit auf sinnliche Weise bei uns. Auf deutscher Seite der E 55 dürfen heute keine schweren Lkw mehr fahren. Alles geht über die Autobahn.“An einem Pfahl der Straßenbeleuchtung ist zudem ein weiteres Argument gegen den Sextourismus zu sehen: eine Kamera, die die Kennzeichen der parkenden Autos sichtbar macht. Die Stadtoberen hatten sie in der Nähe aller Bordelle installiert und zudem das Gerücht in die deutsche Presse gestreut, dass die Bilder live ins Internet gestellt würden. „Die betrogenen deutschen Ehefrauen werden ihren ertappten Ehemännern schon die Hölle heiß machen“, hieß es seinerzeit.„Alles Unsinn“, lachen zwei Beamte der Stadtpolizei, einige hundert Meter weiter. „Die Bilder laufen lediglich in unserer Zentrale auf. Das mit dem Internet haben sie in einer anderen tschechischen Stadt gemacht.“ Die beiden stämmigen Herren in luftiger Sommeruniform haben ihr Dienstfahrzeug auf dem Parkplatz eines der wenigen noch funktionierenden Bordelle angestellt und warten, was passiert. „Wir kontrollieren die Papiere der Autofahrer, die hier parken und ins Bordell wollen. Wir weisen niemanden zurück, wirken aber abschreckend.“Glücklich sind sie mit ihrem Job nicht. „Die Prostitution ist bei uns weder legal noch illegal“, erzählen sie. „Alles spielt sich in einer gesetzlichen Grauzone ab. Wenn es ein Gesetz über die Prostitution gäbe, würden wir schlicht nur noch die Gewerbescheine und die Gesundheitszeugnisse der Frauen kontrollieren. Damit alles seine Ordnung hat. Aber leider können sich die Politiker in Prag auf eine solches Gesetz nicht einigen.“ Mit Beginn des neuen Jahres wird es in einer Novelle des Strafgesetzes zumindest eine Notlösung geben. Dann soll das Anbieten sexueller Dienste in der Nähe von Kindereinrichtungen wie Kindertagesstätten und Schulen verboten werden, weil es „die sittliche Erziehung der Kinder“ untergrabe.Den Rückgang der Prostitution sehen die Beamten mit Genugtuung. „Wir hatten hier schlimme Zeiten, mit ausländischen Zuhältern, die die Frauen in der Tat zum Sex gezwungen haben, mit Drogen und mit Waffengewalt. Das ist glücklicherweise vorbei. Sie heutigen tschechischen Bordellbesitzer sind vergleichsweise harmlos.“Während die Polizisten erzählen, öffnen die Frauen in dem Bordell die Tür und laden in fließendem Deutsch dazu ein, doch bitte herein zu kommen. Das „nein, danke“ quittieren sie mit einem leisen Fluch. Später, als es wenigstens zum Gespräch mit ihnen kommt, bestätigen sie verbittert den Niedergang der Branche: „Manche von uns haben noch zwei, drei feste Kunden, allein stehende Männer, die einigermaßen regelmäßig kommen. Aber generell herrscht Flaute. Deutsche kommen fast gar nicht mehr, maximal Türken oder auch Polen in Autos mit deutschen Kennzeichen.“ Zudem fielen die Preise. Für eine Stunde Sex könne man nicht mehr als 40 Euro nehmen. Ob sie ganz ans Aufhören dächten? „Ein Job fürs Leben ist es eh nicht“, sagt eine Blondine im engen Korsett. Einige Huren, die früher in Bordellen gearbeitet haben, stehen jetzt an der Straße zwischen Dubi und Teplice. „Wir sind hier näher an den Kunden“, begründet das eine von ihnen. Sie räumt allerdings ein, dass sie weniger Geld nehmen kann als im Bordell.
Noch bis vor kurzem boten Prostituierte ihre Dienste in zahlreichen Bordells an der E-55 an. Foto: Björn Steinz.Hana Malinova, die Chefin der Hilfsorganisation „Lust ohne Risko“, beobachtet auch ein zunehmendes Abwandern der Bordell-Huren in private Wohnungen. Dort seien vor allem tschechische Männer Kunden. Denen böten die Frauen in den Wohnungen zugleich größere Anonymität. „Leider erschwert uns das unsere Arbeit, weil wir kaum eine Übersicht haben, wer wo sexuelle Dienste anbietet.“Hohe Zeit haben in Dubi jetzt die Handwerker. Aus Bordellen werden Läden oder Wohnungen. An einem der Häuser, die jetzt umgestaltet werden, zeugt nur noch eine zweisprachige Aufschrift an der Tür von der einstigen Bestimmung: „Personen unter 18 Jahren ist der Eintritt verboten“.Hans-Jörg Schmidt

ENDE
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