Auf der Suche nach der echten Tomate
Auf den rumänischen Märkten sind einheimische Tomatensorten kaum zu finden. Daran ist nicht nur die EU schuld.
(n-ost) – Auf dem Gemüsemarkt Dristor in einem Bukarester Viertel herrscht jeden Morgen dichtes Gedränge: Hunderte von Menschen, insbesondere ältere Leute, kommen täglich vorbei und stehen mehrere Minuten vor den Gemüse- und Obstständen, um die besten Früchte auszuwählen. Mit Sorgfalt begutachten sie jede Tomate und jede Gurke – nach eigenen Kriterien, die oft nichts mit den Kriterien für die seit zwei Jahren geltenden EU-Normen zu tun haben. Kartoffeln, Äpfel, Blaufrüchte und Berge von Melonen – die Kunden haben eine große Auswahl an einheimischen Sorten, dazu kommen Bananen, Orangen und Pfirsiche aus dem Ausland. Doch rumänische Tomaten sind kaum zu finden.
„Seit fast einer Stunde suche ich echte rumänische Tomaten, denn die schmecken anders als die importierten“, erzählt Ecaterina Solomon. „Die sind weich, saftig und mit gutem Geschmack. Diese hier sehen zwar sehr gut aus“, lobt die 60-Jährige und zeigt auf große, knackige Tomaten, „sie sind aber mit schädlichen Chemikalien versetzt.“ Ecaterina Solomon ist nicht die einzige auf dem Markt mit dieser Meinung. Die meisten Rumänen sind unzufrieden damit, dass sie echte rumänische Ware, die nur mit natürlichen Mitteln gedüngt ist, immer seltener finden. Statistiken zufolge stammen rund 80 Prozent der Gemüse- und Obstsorten, die in den rumänischen Supermärkten und sogar auf den Märkten angeboten werden, aus dem Ausland, die meisten aus Griechenland und aus der Türkei.
Zwar sind die importierten Produkte viel billiger als die rumänischen, doch die meisten hätten, so die Käufer, einen eher schlechten Geschmack, auch wenn sie dank der EU-Normen top aussehen. „Siehst du die schöne Tomate da?“, fragt ein Käufer um die 50 seine Begleitung. Er trägt eine große Tasche voller Gemüse. „Das Wachstum der Tomate wurde künstlich gefördert, sie enthält zu viel Zellulose.Von dieser Substanz werden die Tomaten zwar schön und fest, ihr Geschmack ist aber holzig und die Tomate ist innen grün“, sagt der offensichtlich erfahrene Käufer.
Auch die Spezialisten der rumänischen Fachverbände sind sich einig, dass das meiste Gemüse auf rumänischen Märkten zwar die bisherigen EU-Normen in Größe und Form einhielten, allerdings mit Wachstumshormonen versetzt oder bestrahlt würden. Diese Praxis schlage nun auch auf die einheimische Produktion durch. So benutzten die rumänischen Bauer Importsamen, um eine höhere Produktivität zu erreichen. „Immer mehr Bauern sind nur noch am Profit interessiert als an der Qualität der Tomaten. Dazu kommt, dass sie Pestizide unsachgemäß einsetzen, denn sie haben keine Fachberatung“, sagt Aurel Tanase, Präsident der landwirtschaftlichen Organisation „Prodcom“.
Dass inzwischen auch die rumänischen Bauern andere Tomaten produzieren, liegt nur zum Teil an den vor zwei Jahren eingeführten EU-Normen, die die Größe und Form verschiedener Gemüse- und Obstsorten regelten. Zwar wurden für 26 Sorten am 1. Juli die Normen abgeschafft, allerdings nicht für die Tomaten. Doch auch die Bauern selbst bevorzugen inzwischen eine andere Produktionsweise. „Wir haben bereits vor mehreren Jahren die Sorten gewechselt“, sagt der Bauer Dan Popescu. „Allerdings wegen der Käufer und nicht wegen der EU. Die rumänischen Sorten sind zwar geschmackvoller, sie gehen aber schneller kaputt und sind weicher.“ Das hätte den Kunden nicht gefallen, erklärt er. „Wir haben festgestellt, dass die meisten Leute perfekte Tomaten suchen, so dass wir uns angepasst haben. Jetzt suchen die Käufer wieder die alten, aber es ist zu spät. Die rumänischen Sorten bauen wir nur noch für den Eigenverbrauch an.“
Die Bioproduktion steckt in Rumänien indes noch in den Kinderschuhen. Experten gehen davon aus, dass Rumänien ein großes Potential hat, Ökoprodukte anzubauen, die den traditionellen Geschmack behalten und damit auch gesünder sind. „Dafür müssten aber die Bauer lernen, biologische Düngemittel richtig einzusetzen. Außerdem müsste der Staat ihnen unter die Arme greifen, damit sie ihre Produkte auch verkaufen können“, sagt Florica Gheorghe von der Station für Gemüseuntersuchungen aus Buzau im Süden Rumäniens. Sie zugleich warnt vor dem Trugschluss, dass kleinere oder unregelmäßig wachsende Gemüsesorten gesünder oder natürlicher seien. „Rumänien muss sich beeilen, die EU-Normen anzunehmen und so viele Produkte wie möglich als traditionell und ökologisch zu registrieren“, fordert Gheorghe.
Rumänische Tomaten sind auf den Gemüsemärkten schwer zu finden. Foto: Sebastian Marcovici
Trotz der Pläne und Versprechen immer wechselnder Regierungen bleibt die Landwirtschaft in Rumänien ein unterentwickelter Bereich. Er macht nur acht Prozent des Bruttoinlandsproduktes aus, obwohl fast ein Viertel der rumänischen Arbeitskräfte in der Landwirtschaft beschäftigt sind. „Die Arbeit auf dem Feld ist schwer und sehr unsicher“, erzählt eine alte Bäuerin auf dem Bukarester Markt. „Anfang des Jahres hatten wir eine Dürre und mussten zweimal säen. Jetzt regnet es fast ununterbrochen und wir haben Angst, dass die Tomaten nicht reif werden. Wir müssen schauen, dass wir über die Runden kommen.“ Die neuen Tomatensorten findet sie nicht schlecht, robuster seien die. Die Käufer bleiben allerdings unzufrieden und suchen auf den Märkten nach dem Geschmack der „echten“ Tomate.
Ruxandra Stanescu und Matei Cristian
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