Tschechien

Wiedersehen in Böhmen

Die ARD zeigt ein bewegendes Doppelporträt zweier Frauen aus dem nordböhmischen Liberec (Reichenberg)(n-ost) – Isa ist in Indien geboren, im nordböhmischen Reichenberg groß geworden, musste mit der Familie 1946 die Heimat verlassen, und lebte dann viele Jahre in Italien. Bis sie sich in einer Sinnkrise ihrer Kindheit erinnert und spontan beschließt, ihre Wurzeln in Reichenberg zu suchen. Das Haus, in dem sie aufgewachsen ist, hat immer noch das alte grüne Dach. Doch die Menschen, die in dem Haus und in der Stadt leben, die längst Liberec heißt, sprechen nicht ihre Sprache. „Hier leben ja nur Tschechen“, entfährt es der Frau, die ehrlich überrascht scheint.Auch Editha ist nach Liberec zurückgekehrt, in die Stadt, die die Jüdin 1938 vor dem Einmarsch der nationalsozialistischen Besatzer verlassen hatte. Sie hat von England aus gegen die Deutschen gekämpft. Die Synagoge fand Editha bei ihrer Rückkehr nicht mehr vor. Immerhin aber steht an deren Stelle heute ein modernes Bethaus, als Teil einer großen Bibliothek für das Dreiländereck Tschechien – Deutschland – Polen.Der Film der tschechischen Journalistin und Filmemacherin Blanka Zavitkovska, die in Prag viele Jahre für das ARD-Fernsehen arbeitete und die jetzt beim öffentlich-rechtlichen tschechischen Kanal CT 24 tätig ist, erzählt die sehr verschiedenen Lebensgeschichten der beiden Frauen. Und er erzählt die Geschichte ihrer ungewöhnlichen Begegnung im heutigen Liberec. Sieben Jahre währte die filmische Beobachtung der beiden Frauen, die voll von Vorurteilen waren. Dennoch aber wagten sie den Versuch, sich für die Geschichte der jeweils anderen, deren Erlebnisse und Gefühlswelt zu öffnen. Schließlich wurden sie zu Freundinnen. Obwohl Isa im Film mitunter Editha zu dominieren scheint, ist sie doch im Kern die Unsichere von beiden. Die Jüdin Editha spricht im Film weniger, aber was sie sagt, trifft in einer mitunter schockierenden Nüchternheit den Kern.Dass die Begegnung in Liberec/Reichenberg unterhalb des Stadtberges Jested/Jeschken spielt, ist ein besonderer Glücksfall. Reichenberg war einst die Hauptstadt des NS-Sudetengaus, sollte nach dem Willen der deutschen Bevölkerung eine Art Gegenstück zum „tschechischen“ Prag sein. Der im Renaissance-Stil gestaltete Hauptplatz mit dem prachtvollen Rathaus des Wiener Baumeisters Franz Neumann war nach Hitler benannt und trägt seit dem Ende des Krieges den Namen des früheren tschechoslowakischen Präsidenten Edvard Benesch, dessen Dekrete der kollektiven Enteignung und Vertreibung der Deutschen den Weg ebneten.Mithin ist die Stadt ein besonderes Pflaster der leidvollen deutsch-tschechischen Geschichte. Das einfühlsame und bewegende filmische Doppelporträt reflektiert gerade an diesem Ort perfekt die ganze Komplexität der Beziehungen zwischen Tschechen und Deutschen und weist zugleich weit über die Positionen im professionellen Versöhnungsdialog hinaus. Und er gibt diesem Dialog konkrete, einprägsame Gesichter.Blanka Zavitkovska ist ein wunderbarer, sehr nahe gehender Film gelungen, der bei einer Voraufführung im Prager Goethe-Institut bei tschechischen und deutschen Zuschauern gleichermaßen großen Beifall erntete. Die ARD-Verantwortlichen sind zu ihrer Entscheidung zu beglückwünschen, den Streifen in ihr Abendprogramm aufgenommen zu haben. Auch das Tschechische Fernsehen wird den Film zeigen, der im übrigen mit Geldern des Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds gefördert wurde.Sendetermin: Dienstag, 7.7.2009, 22.45 Uhr ARD
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