Von der Lubliner zur Europäischen Union / zum 4. Juli
Vor 440 Jahren gründeten Polen und Litauen freiwillig eine Union. In der polnisch-litauischen Adelsrepublik sehen heute viele Politiker und Historiker einen Vorgänger der EU
(n-ost) – „Eine Union ist was Besonderes“ sagte der polnische Präsident Lech Kaczynski in dieser Woche in Lublin. Die Worte im Mund des Präsidenten, der als EU-Skeptiker bekannt ist, klingen überraschend. Doch Kaczynski meinte nicht die EU, sondern die Union von Polen und Litauen, die von vielen als Vorgängerin der heutigen Integration in der EU betrachtet wird. Am 4. Juli 1569 wurde die Lubliner Union besiegelt – ein Zusammenschluss des Königreichs Polen und des Großfürstentums Litauen.Zusammen mit weiteren Politikern aus Mittelosteuropa, den Präsidenten Litauens Valdas Adamkus und der Ukraine Viktor Juschtschenko und dem ehemaligen Parlamentsvorsitzenden Weißrusslands Stanislau Schuschkewitsch, eröffnete Kaczynski die Feierlichkeiten zum 440. Jahrestag der Lubliner Union. Die Gründung der Union brachte eine Adelsrepublik der beiden Nationen Polen und Litauen hervor. In Wirklichkeit waren es jedoch Dutzende Nationen, denn die neue Union beinhaltete auch die Gebiete und Völker, die heute zur Ukraine und zu Weißrussland gehören.Die Union war ein einmaliges Ereignis, das man in der europäischen Geschichte allein mit der Gründung des britischen Königreiches vergleiche könne, schreibt der englische Historiker Norman Davis. Allerdings: Das, was England und Schottland erst Ende des 18. Jahrhunderts vollbracht haben, passierte in Mittelosteuropa schon 200 Jahre zuvor. Es war ein weiterer Schritt zur Integration der beiden Nachbarn Polen und Litauen, die damals bereits 200 Jahre lang durch einen gemeinsamen König verbunden waren. Angesicht der Gefahr aus dem wachsenden Russland entscheiden sich sowohl die polnischen Adligen als auch die litauischen und ukrainischen, die Allianz zu verstärken.Nicht allein der gemeinsame König verband fortan die beiden Staaten. Sie bekamen auch ein gemeinsames Parlament, eine Währung und eine gemeinsame Außenpolitik. Zusätzlich wurden ab diesem Zeitpunkt Könige von den Adligen gewählt und akzeptiert und nicht automatisch innerhalb der Dynastie eingesetzt. Für die Bewohner der beiden Staaten galt eine Bewegungs- und Ansiedlungsfreiheit. Getrennt blieben die Ämter, die Finanzen und die Armee. Mit 800.000 Quadratkilometern und sieben Millionen Einwohnern, die Dutzenden Nationen angehörten, erstreckte sich der neue Staat von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer.Polen und Litauen seien die Vorreiter für die Europäische Union gewesen, betonte Präsident Kaczynski während der Feierlichkeiten. Die Ähnlichkeit zur EU sei in der Tat auffallend, sagen viele Politiker und Historiker nicht nur aus Mittelosteuropa. Auch Papst Johannes Paul II sprach vom Weg „von der Lubliner bis zur Europäischen Union“. Dieser Satz wird heute in Polen oft wiederholt. „Aus dieser Erfahrung sollten wir schöpfen. Nur vereint könnten wir im wachsenden, vereinten Europa den Platz haben, der unserer Größe, Kultur und Tradition entspricht“, sagte Präsident Kaczynski in Lublin, genau am dem Ort, wo sich damals die Adlige aus beiden Staaten versammelt und über die Union abgestimmt hatten.Der litauische Präsident Valdas Adamkus betonte, dass die Lubliner Union gezeigt habe, wie man Kompromisse richtig schließt. „Diese Erfahrung können wir auch im heutigen Europa nutzen.“ Die gemeinsame Würdigung des historischen Ereignisses stellt eine Wende in den Beziehungen zwischen Polen und Litauen dar. Ziemlich lange hat insbesondere Litauen die Union nicht positiv betrachtet und gefeiert: Polen wurde Dominanz in der Gemeinschaft vorgeworfen.Tatsächlich hat sich in der damaligen Zeit der Hochadel im Großfürsten Litauen polonisieren lassen. Als Hof- und Hochsprache galt Polnisch, als Hauptzentrum der Union eher Krakau und Warschau als Vilnius, das wegen mehrerer Kriege gegen Russland damals oft zerstört wurde. Erst im Laufe der folgenden Jahrhunderte entwickelte sich Vilnius zu dem bekannten Kulturzentrum. Dort lebten zum Beispiel die hochgeschätzten Dichter der polnischen Romantik Adam Mickiewicz und Juliusz Slowacki.Neben der freiwilligen Polonisierung habe die Union vor allem den Adel beider Staaten einander angenähert, schätzen Historiker heute ein: Der Adel im Großfürstentum Litauen habe die Privilegien bekommen, die auch der Adel in Polen genoss, darunter die Freiheit des Glaubens und die Gleichberechtigung aller Adliger, unabhängig von Nationalität und Religion. „Die Union bleibt uns in Erinnerung als Erlebnis der Freiwilligkeit und Toleranz, des Respekts und Kulturaustausches, der Offenheit für das Andersartige“, sagt der polnische Historiker Janusz Tazbir. „Die immer mehr positive und ähnliche Wahrnehmung der Union heute kann uns nur erfreuen. Nach 440 Jahren verbindet uns die Union mehr, als dass sie uns trennt.“
INFOKASTEN:Seit Ende des 14 Jahrhunderts waren das Königreich Polen und das Großfürstentum Litauen eng verbunden. Als Schutz vor den Kreuzrittern schlossen sie eine Allianz, untermauert durch die Ehe zwischen der polnische Königin Jadwiga (Hedwig) und dem litauischen Fürsten Jogaila. So kam es zu einer Personalunion, die über 200 Jahre hielt.
Da Jadwiga kinderlos starb, saßen auf dem Thron in Krakau und Litauen ausschließlich Nachkömmlinge des Litauers Jogaila aus dessen späteren Ehen. Die Mitglieder der Dynastie waren auch u.a. auf den Thronen in Ungarn, Tschechien, Brandenburg und Schweden zu finden und durch weitere Ehen mit praktisch jedem Königshaus verwandt. Die Idee der „Realunion“ wurde von dem letzten Jagiellonen Zygmunt August stark gefördert.
Die Lubliner Union hat einen riesigen Akteur in Europa geschaffen. Die beiden Teile des Staates, Polen und Litauen, hatten einen gemeinsamen, wählbaren König, gemeinsame Währung und Außenpolitik. Getrennt blieben das Recht, die Verwaltung, die Finanzen und die Armeen. Die Union wurde nie formell aufgelöst, die Teilung Polens zwischen Preußen, Österreich und Russland Ende 18. Jahrhunderts bedeutete jedoch ihr Ende.Agnieszka Hreczuk
ENDE
Nachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 259 32 83 - 0