Polen

Städte unter Wasser

Südpolen steht unter Wasser, Tausende Menschen verloren ihre Häuser. Die Politiker geben sich  gegenseitig die Schuld an der Naturkatastrophe(n-ost) – Taxifahrer Andrzej traut seinen Augen nicht: Noch vor zwei Wochen zeigte er den Fahrgästen mit Stolz das Zentrum seiner Stadt. Klodzko (Glatz) in Niederschlesien wurde nach der großen Flut von 1997 von Grund auf renoviert. Spuren gibt es nur noch in der Nähe des Busbahnhofs: Dort steht ein Haus, an dem auf einer Höhe von ca. zwei Metern immer noch eine dunkle Linie zu sehen ist, darunter fällt der Putz ab. Damals stand der  Bahnhof unter Wasser, die Linie ist eine Erinnerung daran. Die Renovierung dauerte  jahrelang.Nun hat Andrzej ein Déjà Vu. „Das Wasser kommt immer höher“, berichtet er Bekannten am Telefon. „Teile der Stadt sind überflutet. Einige Nachbarn mussten schon flüchten.“ 60 Menschen aus den am stärksten gefährdeten Gebieten rund um den Fluss wurden evakuiert. An der Glatzer Neiße entlang haben Bewohner und Feuerwehr einen Damm aus Sandsäcken gebaut. Während sie den Damm an einer Stelle abdichten, dringt das Wasser an einer anderen Stelle hinein.Das benachbarte Dorf Trzebieszowice erlebte schon am Samstag eine Hochwelle. Der Bergbach, der an der tiefsten Stelle normalerweise anderthalb Meter nicht überschreitet, trat über die Ufer. Das Wasser drang innerhalb von 20 Minuten etwa einen Meter hoch in die Häuser, sagt ein Bewohner. Er flüchtete mit Frau und Kind. Am nächsten Tag, als das Wasser sank, kehrten sie zurück. Ihr Auto und die Landwirtschaftsmaschinen waren weggespült, das Erdgeschoss und das Wirtschaftsgebäude völlig zerstört.In Niedeschlesien sind Klodzko und das Glatzer Land am meisten von der Flut betroffen. Teilweise unter Wasser befinden sich auch die beliebten Kurorte Bad Altheide und Bad Landeck. Ganze Teile der Region sind von der Welt abgeschnitten. Die Rettungskräfte kommen nur per Boot dorthin. Die Straßen wurden überflutet, auch die Autobahn A4 wurde im Laufe des Samstag unbefahrbar. Genauso eine dramatische Situation herrscht in Kleinpolen und im Karpatenland. Dort fielen während eines Gewitter am Sonntag sogar 140 Liter Regen pro Quadratmeter. Der Alarmpegel bei meisten Flüssen ist um 70 Zentimeter überschritten. Allein aus dem Kreis Tarnow in Kleinpolen wurden über 600 Menschen evakuiert. Die Schäden werden bereits auf Dutzende Millionen geschätzt.Feuerwehren aus ganz Polen räumen gemeinsam mit Soldaten und Bewohnern fieberhaft eingestürzte Brücken, Bäume und Gebäudeteile weg, die angeschwemmt werden und in den Flüssen Staus verursachen könnten. Die Situation könnte sich nur dann verbessern, wenn der Regen aufhört. Doch darauf gibt es den Meteorologen zufolge noch keine Hoffnung. Bis Freitag werde es in Südpolen weiter kräftig regen, bis zu 50 Liter pro Quadratmeter während eines Gewitters. Auch Hagelstürme werden erwartet. Außerdem steigen in den nächsten Tagen die Temperaturen auf über 30 Grad, was laut dem Sanitätsdienst Epidemien verursachen könne.Während Tausende Menschen um ihr Leben bangen, nehmen Regierung und Opposition die Flut als Anlass zum politischen Streit. Am Freitag und Samstag versprach die Regierung, eine erste finanzielle Hilfe an den Betroffenen zu überweisen. Sie bekommen 6.000 Zlotys (ca. 1.400 Euro) für die nötigsten ersten Ausgaben. Für den Wiederaufbau der Infrastruktur in den betroffenen Woiwodschaften kündigte die Regierung 65 Millionen Zlotys (ca. 14 Millionen Euro) an, trotz der Haushaltskrise. Innenminister Grzegorz Schetyna und der Minister der Präsidentenkanzlei Wladyslaw Stasiak besuchten am Sonntag die am meisten betroffenen Gebiete.Kritik daran kam prompt von der Opposition. „Die Regierung will die Flut für eine eigene Kampagne nutzen“, sagte Ryszard Czarnecki, der Europaabgeordnete der Partei Recht und Gerechtigkeit. Es sei alles versucht worden, damit Minister Schetyna als erster in Südpolen erscheint und so bei den Wählern punktet. Auf der anderen Seite wirft die Opposition  Ministerpräsident Donald Tusk vor, dass er erst am Montag vor Ort auftauchte. Außerdem, behauptet Recht und Gerechtigkeit, sei die Regierung auf solche Ereignisse überhaupt nicht vorbereitet und unternehme nichts, um solche Katastrophen zu vermeiden. Das Kabinett Tusks habe die Hochwasserschutzpläne vernichtet, die die frühere Regierung von Jaroslaw Kaczynski (Recht und Gerechtigkeit) ausgearbeitet hatte, lautete der Vorwurf. Allein 18 Rückhaltenbecken, die mit EU-Hilfe gebaut werden sollten, seien aus der Prioritätenliste gestrichen worden.Die regierende Partei Bürgerplattform weist die Vorwürfe indes zurück und bezeichnet sie als ungesunden politischen Kampf. „Die Pläne wurden kurz vor den Wahlen blitzschnell und allein zu Wahlkampfzwecken gemacht. Sie waren deshalb unrealistisch“, so das Gegenargument der Regierung Tusk. Die Pläne würden fortgesetzt. Allein wegen komplizierter Antragsprozeduren bei der EU verlangsamten sich die Bauarbeiten.„Der Ausbau des Hochwasserschutzes geht zu langsam, weil jede Regierung einen eigenen Plan hat”, sagt dagegen Lech Poprawski, einer der Initiatoren des Hochwasserschutzprogrammes Untere Oder und zugleich dessen Leiter. Gleich nach der großen Flut 1997 sei es, so Poprawski, mit der Realisierung der Pläne unter dem Druck der Bevölkerung relativ schnell gegangen. Doch danach sei es immer chaotischer geworden. Jede neue Regierung verwerfe die Pläne der Vorgänger und entwerfe eigene Pläne. „Die Forderungen nach einem besseren Hochwasserschutz werden immer nach einer Katastrophe wiederholt. Dann läuft alles nach dem alten Muster. Und in der Tat gehört dieses Problem nicht zu den Prioritäten der Politiker“, sagte Poplawski in der Tageszeitung „Gazeta Wyborcza“.„1997 haben sie dasselbe erzählt wie vor zwei Jahren, als wir wieder unter Wasser standen. Und die Kommunisten haben das auch erzählt“, sagt ein Bewohner von Zawada, dem Ort, den  Premier Donald Tusk am Montag besucht hat. „Geändert hat sich nie etwas. Bald vergessen sie uns wieder, sie selbst erleben es ja nicht“, sagt der Mann resigniert. Zu Wochenbeginn erlebte auch Warschau einen Wolkenbruch. Die Ministerpräsidentenkanzlei wurde teilweise überflutet. Dies wurde schnell zur Nachricht Nummer Eins in Polen.Agnieszka Hreczuk
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