Kroatien

Abschied von der „Jugosphäre“

Euphorie sieht anders aus. Am Sonntag hat sich zwar eine deutliche Mehrheit der Kroaten für den Beitritt ihres Landes zur EU ausgesprochen. Mit 66,3 Prozent Ja-Stimmen war das Ergebnis sogar höher als in den letzten Meinungsumfragen. Damit ist der Weg zur Mitgliedschaft in der Union im Jahr 2013 frei. Die Regierung spricht von einem historischen Tag für das Adria-Land.

Begeisterung stellt sich bei den Landsleuten dennoch keine ein. „Die EU ist keine Gemeinschaft der Liebe und Hoffnung, sondern ein rationales Projekt“, kommentiert eine Zeitung in Zagreb. Die Kroaten, die nun der Union beitreten, fragten sich vor allem „Was kostet es?“ und „Was gewinnen wir?“. Zudem wissen sie, dass ein steiniger Weg weiterer Reformen bevor steht. „Das ist erst der Anfang“, sagte Präsident Ivo Josipovic.

Seit dem Beitrittsantrag 2003 hat Kroatien trotz wechselnder Regierungen immer klar auf den EU-Beitritt gesetzt. Um die Bedingungen der EU zu erfüllen, wurden als Kriegsverbrecher gesuchte Generäle verhaftet, der Kampf gegen die Korruption aufgenommen und rund 350 Gesetze durch das Parlament gepeitscht, die für den Beitritt erforderlich waren. Für das Referendum hatte die Regierung rund eine halbe Million Euro in eine groß angelegte Marketing-Kampagne investiert. Seither prasselten Radio- und Fernsehspots auf die Menschen nieder, um sie für den Beitritt stimmen zu lassen.

Das Ergebnis gibt der Regierung Recht, denn es hätte auch anders kommen können. Zwar hatten die Befürworter in allen Regionen des Landes eine Mehrheit. Dennoch zweifeln viele Menschen, ob der Beitritt gut ist für das Land. Mitte des Jahrzehnts war die Euroskepsis in Kroatien sogar stärker ausgeprägt als in anderen Ländern vor ihrem Beitritt. Viele Kroaten fürchten den erneuten Verlust der Unabhängigkeit, nachdem das Land erst 1991 von Jugoslawien unabhängig geworden war. Für einige Kommentatoren ist allerdings genau das ein Grund gewesen, mit „Ja“ zu stimmen: Der Beitritt zur EU bedeutet für sie einen Abschied von der „Jugosphäre“.

Über die Vorteile des Beitritts streiten Fachleute und Öffentlichkeit denn auch. Kroatien hat sich seit der Rezession 2009 noch immer nicht wieder erholt. Über 320.000 der rund 4,4 Millionen Kroaten sind arbeitslos, eine Arbeitslosenquote von über 20 Prozent. Die Unzufriedenheit steigt, allerdings hat sie sich nicht unbedingt in „Nein“-Stimmen geäußert.

Viele Menschen erhoffen sich gerade vom Beitritt eine Verbesserung ihrer Situation, weil sie den eigenen Politikern wenig zutrauen. „Ich hoffe, dass nach dem Beitritt die Rechte der Arbeitnehmer gestärkt werden“, sagt ein Gast in einem Cafe in Zagreb. Er ist arbeitslos und seine dreiköpfige Familie lebt vom Gehalt seiner Frau. „Arbeitnehmer können zum Beispiel oft den Anspruch auf ihren Urlaub nicht geltend machen. Die Arbeitgeber können die schwierige Lage der Arbeitnehmer ausnutzen, weil sie kaum geschützt sind. Ich hoffe, das wird sich mit einem Beitritt ändern“, sagt er.

Kroatien hat allerdings ein Problem: Es hat wenig wettbewerbsfähige Industrie. Ökonomen warnen denn auch bereits vor der Griechenland-Falle. Die Werftenindustrie an der Küste arbeitet nur mit Verlust und muss bis zum EU-Beitritt im Juli 2013 privatisiert werden, verlangt die EU-Kommission. Die Werft „3. Mai“ beschäftigt derzeit noch 2.700 Menschen, von diesen dürften 240 entlassen werden. Von der Industrie hängen aber mehrere hundert kleine Zulieferbetriebe ab, deren Existenz nun gefährdet ist.

Kroatiens wichtigster Devisenbringer ist ohnehin der Tourismus. Auf diesen wird der EU-Beitritt kaum Einfluss haben, schätzen Experten. Tatsächlich war die Zustimmung zum EU-Beitritt in den besonders vom Tourismus abhängigen Gegenden um Dubrovnik und Split an der Adria-Küste am Niedrigsten.


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