Frei und fair?
Wenn das kleine Balkanland Albanien am Sonntag ein neues Parlament wählt, interessiert Brüssel vor allem eines: Laufen die Wahlen des EU-Aspiranten frei und fair ab oder nicht. Ob das konservative Polit-Urgestein Sali Berisha oder sein sozialistischer Herausforderer Edi Rama das Rennen macht, ist aus EU-Sicht zunächst zweitrangig.
Die Wahlen, die von mehr als 500 ausländischen und über 2500 einheimischen Beobachtern begleitet werden, gelten als „Europa-Lackmustest“ für Albanien. Helmut Lohan, Botschafter der EU-Kommission in Tirana, sprach von einer „wichtigen Prüfung für die Regierung und für die albanische Politik“. Seit der demokratischen Wende von 1991 war Albanien bislang nicht in der Lage gewesen, freie und faire Wahlen nach internationalen Standards abzuhalten – stets trübten Gewalt und Unregelmäßigkeiten das Bild. Auch diesmal wurden im Vorfeld der Wahlen ein Abgeordneter, ein Aktivist und ein Lokalpolitiker umgebracht.
Nach offiziellen Angaben haben knapp 3.1 Millionen Albanerinnen und Albaner das Recht, die Mitglieder des 140-köpfigen Parlamentes zu bestimmten. Sie können aus 4.000 Kandidierenden auswählen, die 39 Parteien und Koalitionen vertreten. Wer seine Stimme abgeben will, muss einen gültigen Pass oder den erst vor kurzem eingeführten neuen Personalausweis vorweisen. Die Opposition beklagte, die Regierung von Ministerpräsident Sali Berisha (65) habe die Ausgabe der Personalausweise verzögert und behindere damit möglicherweise viele daran, an der Wahl teilzunehmen. Auch der US-amerikanische Botschafter John L. Withers zeigte sich besorgt darüber, dass das allgemeine Wahlrecht nicht gesichert sei.
Albanien, das sich 1990 von einer jahrzehntelangen kommunistischen Diktatur und fast vollständiger internationaler Isolation befreit hatte (siehe Hintergrund), wird seit den letzten Parlamentswahlen vom Juli 2005 von einer Mitte-Rechts-Koalition unter Führung von Ministerpräsident Sali Berisha regiert. Berisha, Gründer und bis heute Vorsitzender der Demokratischen Partei (PD) hatte maßgeblich zum Sturz des kommunistischen Regimes beigetragen und war von 1992 bis 1997 erster frei gewählter Staatspräsident Albaniens. Nur ein Jahr nach seiner Wiederwahl mussten er und die von seiner PD geführte Regierung 1997 zurücktreten, weil das Land nach dem Zusammenbruch von mehreren „Finanz-Pyramiden“ in Chaos und Anarchie versank.
Die Sozialistische Partei (PS) – hervorgegangen aus der früheren kommunistischen Arbeiterpartei – übernahm die Macht. Nach deren Wahlniederlage 2005 schaffte Sali Berisha die politische Wiedergeburt und wurde albanischer Regierungschef. Derweil begannen sich die Sozialisten neu aufzustellen und machten Edi Rama (45), den populären Bürgermeister von Tirana, zum neuen Parteivorsitzenden. Der Künstler und Kunstprofessor Rama hatte aus dem einst chaotischen und grauen Tirana eine boomende Metropole gemacht hat, was ihm über die Landesgrenzen hinaus Anerkennung einbrachte.
Die bedeutendsten Resultate der vierjährigen Regierungszeit von Sali Berisha sind zweifellos die Unterzeichnung eines Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommens (SAA) mit der EU und vor allem der Nato-Beitritt Albaniens Anfang April: „Das ist die größte Errungenschaft meines Landes nach der Unabhängigkeit“, verkündete der konservative Ministerpräsident Sali Berisha im Gespräch mit dieser Zeitung stolz. Getragen von diesem Erfolg überreichte der Regierungschef Ende April der tschechischen EU-Ratspräsidentschaft gleich auch noch das EU-Beitrittsgesuch – was von der Opposition umgehend als reiner Wahlkampf abgetan wurde.Auch die meisten EU-Länder hatten sich klar gegen ein Beitrittsgesuch zum jetzigen Zeitpunkt ausgesprochen. Sie halten Albanien noch längst nicht reif für die EU. Zu stark hat das Land mit Korruption und mangelnder Rechtsstaatlichkeit zu kämpfen, zu groß sind die Probleme mit der Grenzsicherung – vor allem zu Mazedonien und Kosovo –, und zu oft werden die Medien von den Machthabern gegängelt.
Hintergrund: Isolation und Diktatur
Nach der Befreiung vom Faschismus errichtete Partisanenführer Enver Hoxha in Albanien eine kommunistische Diktatur stalinistischer Prägung. Daran hielt er auch nach der Entstalinisierung in der Sowjetunion fest, 1961 kam es deshalb zum Bruch mit Moskau. Hoxha suchte nun die Nähe zur Volksrepublik China. 1967 verhängte der Diktator ein vollständiges Religionsverbot über das Land, ein Jahr später trat Albanien aus dem Warschauer Pakt aus. 1978 brach Hoxha auch mit Peking, Albanien war fortan vollständig isoliert. 1985 starb Enver Hoxha. Zu seinem Nachfolger wurde der Parteifunktionär Ramiz Alia bestimmt, der eine zaghafte außenpolitische Öffnung seines Landes einleitete. 1990 wurde das kommunistische Regime gestürzt, es setzte ein Massenexodus aus dem bitterarmen Land ein.
Sali Berisha trage, so urteilen Experten, nicht zur Lösung bei, vielmehr sei er Teil des Problems. Er und seine Familie sollen in zahlreiche Korruptionsfälle verstrickt sein, immer wieder wird von versuchter Beeinflussung der Justiz berichtet. „Berisha hat keinen guten Ruf in der EU – er hat zweifellos ein Rechtsstaatsproblem“, sagte ein hoher Diplomat eines EU-Landes in Tirana. Das Fass endgültig zum Überlaufen brachte Berisha mit dem von ihm vorgeschlagenen Lustrationsgesetz, das von der OSZE, der EU und den USA scharf kritisiert worden war.
Das Gesetz, das im Parlament bereits eine Mehrheit bekommen hatte, aber schließlich vom Verfassungsgericht gestoppt wurde, hätte es einer regierungsdominierten Kommission ermöglicht, hinter verschlossenen Türen und selbst ohne Anhörung der Betroffenen Richter und Staatsanwälte zu entlassen. „Offenbar fürchtete Berisha Korruptionsanklagen mehr als das schlechte Image Albaniens durch dieses Gesetz“, sagte der Diplomat weiter. Berisha selbst bezeichnet das Gesetz dagegen als „ein moralisches Werk, das sich mit Verbrechen gegen die Menschlichkeit beschäftigt“, bezeichnet.
Unabhängige Vorwahl-Umfragen gab es in Albanien bislang nicht. Je nachdem, wem der Auftraggeber der Befragung nahe steht, wurden Prognosen zugunsten Berishas oder seines Widersachers Rama veröffentlicht. Das Rennen ist völlig offen. Aus diplomatischen Kreisen in Tirana ist zu erfahren, dass man in Brüssel nicht unglücklich wäre über einen Wahlsieg von Edi Rama. Der Sozialisten-Chef gilt im Vergleich zu Berisha als weniger korrupt und weitaus kooperationsbereiter. Beide großen Parteien des Landes wollen Albanien, einer der ärmsten Staaten Europas, so rasch wie möglich in die EU führen. Aus Deutschland flossen in den letzten 20 Jahren mehr als 800 Millionen Euro als Entwicklungszusammenarbeit nach Albanien – mehr als in jedes andere Land der Welt, gerechnet pro Kopf der Bevölkerung.