Albanien

Gradmesser für Europa

Die albanischen Parlamentswahlen am 28. Juni gelten als richtungsweisend, sollen sie doch das Land einen wichtigen Schritt auf dem Weg in die Europäische Union (EU) weiterbringen. Zum ersten Mal werden dabei diejenigen Albaner wählen können, die erst nach dem Ende der kommunistischen Diktatur vor 18 Jahren geboren wurden. Aber nicht nur sie, sondern die gesamte Bevölkerung hofft darauf, einen besseren Lebensstandard und mehr Reise- und Arbeitsmöglichkeiten durch die Integration in die EU zu erhalten. Viele von ihnen unterstützen darum die frisch gegründete Partei „G99“, die aus der zivilen Protestbewegung Mjaft! (Genug!) hervorging und deren junge Politiker eben diesen westlichen Politikstil versprechen, auf den seit der Revolution 1991 gewartet wird.

Dennoch sind diese Wahlen vor allem durch den Lagerkampf zwischen Sali Berishas (64) Demokratischen Partei (PD) und Edi Ramas (45) Sozialistischen Partei (PS) bestimmt. Letzten Umfragen zufolge liegen beide mit ihren jeweiligen Parteikoalitionen bei 42% gleichauf. Inhaltliche Unterschiede in den Wahlprogrammen sind aber nur schwer auszumachen. Berisha, stellt sich der Wiederwahl vor allem mit seinen Erfolgen, Anfang April 2009 Albanien in die NATO geführt und Ende April den Antrag als Beitrittskandidat der Europäischen Union gestellt zu haben. Prestigeobjekte, wie eine Autobahn zwischen der Hafenstadt Durres und der kosovarischen Hauptstadt Prishtina sollen Albanien neue wirtschaftliche Impulse und eine bessere Verbindung in der Region geben.

Zudem verweist der Regierungschef darauf, dass Albanien trotz der internationalen Wirtschaftskrise ein Wirtschaftswachstum von vier Prozent für das laufende Jahr erwarte und damit als eines der wenigen Länder weltweit keine Korrektur nach unten vollziehen müsse. Der Internationale Währungsfond (IWF) schätzt hingegen das reale Wirtschaftswachstum auf nur 0,4 Prozent ein. Die hohen Kosten der Infrastrukturprojekte und der zuletzt durchgeführten Erhöhung von Pensionen und Gehältern würden, so berichten nationale und internationale Experten, Albanien zur Aufnahme zusätzlicher Kredite beim IWF nach den Wahlen zwingen.

Der Herausforderer Berishas, der populäre Bürgermeister Tiranas Edi Rama, ruft hingegen zum Wechsel der Regierung und dem Ende von Korruption in der Politik auf. Rama stellt sich jedoch nicht selbst als Kandidat zur Wahl, sondern hofft auf den Sieg seiner Sozialistischen Partei, um so Ministerpräsident zu werden. Als Kandidat müsste er zuerst seinen Posten als Bürgermeister aufgeben, was im Falle einer Niederlage einen Verlust für die Hauptstadt darstellen würde.

Aus der Konfrontation zwischen Sali Berisha und Edi Rama kann am Ende der Parteivorsitzende der oppositionellen „Sozialistische Bewegung für Integration“ (LSI), Ilir Meta (40) als Zünglein an der Waage hervorgehen. Seiner Partei werden aufgrund eines neuen Wahlgesetzes bedeutende Ergebnisse zugerechnet. In den Prognosen liegt die Partei bei rund vier Prozent der Stimmen. Meta bot Edi Rama bereits mehrmals eine Kooperation nach den Wahlen an und kann sich so als Königsmacher selbst auch Chancen als Ministerpräsident ausrechnen.


Der Herausforderer Edi Rama der Sozialistischen Partei / Hans-Ulrich Lempert, n-ost

Besondere Bedeutung bekommen die Wahlen durch den von Berisha bereits Anfang April eingereichten Antrag auf Beitritts in die EU zu. Mehrmals hatten Vertreter der EU und einzelner Staaten darauf hingewiesen, den Antrag nicht zu früh einzureichen, da für den Beitrittsstatus die Durchführung freier und fairer Wahlen eine Grundvoraussetzung sei. In Vorbereitung auf die Wahlen wurden bereits 2008 sowohl die Verfassung als auch das Wahlgesetz geändert. Ein neues regional gegliedertes Proportionalitätsprinzip soll massive Wahlabsprachen, wie sie bei den vergangenen beiden Parlamentswahlen üblich waren, verhindern.


Hintergrund:
Die Spitzenkandidaten bzw. Parteichefs Sali Berisha war 1990 Mitbegründer der ersten demokratischen Partei und von 1992 bis 1997 Präsident der Republik, seit 2005 ist er Ministerpräsident. Seine Demokratische Partei (PD) führt eine „Allianz für den Wandel“ von 15 weiteren kleineren Parteien an.Edi Rama ist seit 2000 Bürgermeister von Tirana und übernahm 2005 nach der Wahlniederlage der Sozialistischen Partei (PS) den Parteivorsitz vom unterlegenen Fatos Nano. Unter seiner Führung modernisierte sich Tirana in den vergangenen Jahren dramatisch. Seiner Koalition „Union für den Wandel“ schlossen sich fünf weitere Parteien an, zu denen auch G99 gehört.Ilir Meta war von 1999 bis 2002 Ministerpräsident der Sozialistischen Partei, spaltete sich aber 2004 aufgrund von Konflikten mit Fatos Nano ab und gründete die alternative „Sozialistische Bewegung für Integration“ (LSI).


Bis zuletzt ist die Frage offen, ob alle wahlberechtigten Bürger tatsächlich ihre Stimme abgeben können, da erstmals für die Stimmabgabe ein Personalausweis oder Reisepass notwendig ist. Unklar ist jedoch, ob all diejenigen Personen, die keinen Reisepass besitzen, bis zur Wahl einen Personalausweis ausgestellt bekommen. Die Opposition wirft der Regierung ein absichtliches Verschleppen des Verfahrens vor und vermutet, dass über zehn Prozent der Wahlberechtigten keine Ausweispapiere zum Wahltermin besitzen werden und nicht wählen können.

Durch diese neuen Regelungen sollen eigentlich Wahlmanipulationen vermieden werden, die aufgrund fehlerhafter Wählerlisten in den vergangenen Jahren möglich waren. Darüber hinaus wurde von „Transparency International“ am Wahlkampf vor allem eine mangelnde Transparenz bei der Festlegung der Kandidaten, eine intransparente Wahlkampffinanzierung und die fehlende Präsenz von deutlich formulierten Wahlprogrammen kritisiert.

Insgesamt werden am Sonntag nach Angaben der albanischen Zeitung „Albania“ bis zu 3740 nationale und internationale Beobachter die Durchführung und Auszählung der Wahlen kontrollieren. Durch den Zusammenschluss zweier albanischer Nichtregierungsorganisationen sollen die Ergebnisse frühzeitig veröffentlicht werden. Circa 450 Beobachter beider Organisationen werden in den Wahllokalen die Stimmenauszählungen mitverfolgen und die Zwischenergebnisse via Handy an eine Zentrale in Tirana weiterleiten, welche die Ergebnisse auf einer Webseite (www.eca.al) veröffentlichen will.


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