Tschechien

Bangen bei iranischen Radiomachern in Prag

Die iranische Redaktion von Radio Free Europe/Radio Liberty gehört zu den wenigen objektiven Informationsquellen für die Aufständischen in Teheran

(n-ost) – Der Musikcomputer spielt einen persischen Popsong, dann zieht die Technikerin den Regler für das flippige Jingle des Senders auf, mit dem zugleich die Nachrichten angekündigt werden. Es ist Mittag im Prager Stadtteil Strasnice, im wohl sichersten Gebäude Europas, dem Radiosender Free Europe/Liberty. Im Studio von Radio Farda, von wo aus das Programm für den Iran gesendet wird, gibt es nur ein Thema: die Situation im Iran nach der Wahl. Millionen Iraner gehen seit Tagen auf die Straßen, um gegen die dubiose Wiederwahl von Präsident Mahmud Ahmadineschad zu demonstrieren.

Radio Farda hat dieser Tage für die Iraner neben dem Fernsehen der BBC oder der Stimme Amerikas eine besondere Bedeutung. „Das Regime versucht zwar den Empfang massiv zu stören“, erläutert Abbas Djavadi, der Chefredakteur, der für die Sendungen nach Iran, Afghanistan und Zentralasien zuständig ist. „Aber über Mittel- und Kurzwelle sind wir ordentlich zu hören. Dennoch ist die Zensur allgegenwärtig. Das erste Opfer waren die SMS-Verbindungen, die völlig unterbunden wurden. Wir haben aber Telefonleitungen über Skype geschaltet, über die uns unsere Landsleute anonym und kostenfrei anrufen können.“ Die Anrufer berichten darüber, was in ihren Städten passiert – auf diese Weise bekommen die Redakteure brandaktuelle Puzzleteile, die sich im Programm zu einem Gesamtbild fügen. „Und die belegen, dass die Proteste keineswegs auf Teheran und Intellektuelle und Studenten zu reduzieren sind. Das ganze Land ist im Aufstand“, sagt Djavadi.

Die Wahlen im Iran und die Tage seither sind die erste große Bewährungsprobe für die etwa 40 Redakteure von Radio Farda im neuen Sendergebäude. Seit 1995 sitzt Radio Free Europe nicht mehr in München am Englischen Garten, sondern in Prag. Vaclav Havel hat ihn dahin geholt, aus Dankbarkeit dafür, was der Sender vor dem Fall des Eisernen Vorhangs für die Dissidenten in der Tschechoslowakei getan hat. Er war ihr Sprachrohr, die Stimme der Freiheit.

Seinen Sitz nahm der Sender pikanterweise im Gebäude des ehemaligen kommunistischen Parlaments unweit des Wenzelsplatzes. Doch nach den Attentaten vom 11. September 2001 war dieser Standort nicht mehr sicher, obwohl weiträumig von einer Betonmauer eingerahmt und von gepanzerten Fahrzeugen flankiert. Im Frühjahr ging der Umzug über die Bühne. Das neue vierstöckige Gebäude in Strasnice – etwas außerhalb des belebten Stadtzentrums, ist vor allem sicherheitstechnisch vom feinsten. Die Einlasskontrolle steht den auf Großflughäfen in nichts nach.

Die Technikerin reagiert gerade auf die Handzeichen der Redakteure aus dem Studio, echtes „Dampfradio“, handgemacht, live, ohne ausgefeilte Manuskripte. Etwa zwanzig Minuten läuft die Sendung, dann kommt Javad Kooroshy heraus, pustet durch und flitzt wieder ins nahe Großraumbüro der Redaktion. Der 65-jährige Redakteur ist ein alter Hase und vom Beginn der Sendungen von Radio Farda dabei. „Seit einer Woche schlafe ich kaum noch, wir senden rund um die Uhr, wenn ich frei habe, telefoniere ich nach Teheran. Dreißig Jahre hatten wir nicht so viel Hoffnung wie jetzt“, sprudelt es aus ihm heraus. Doch während er sich noch am Freitag, kurz vor der Rede des geistlichen Oberhaupts Ayatollah Ali Chamenei, über die Millionen junger Leute auf den Straßen freute, ist seine optimistische Stimmung inzwischen einer Ernüchterung gewichen.

Ab und zu fällt Kooroshys Blick auf eines der großformatigen Fotos an den Wänden. Dort ist Ayatollah Ali Chamenei umringt von Landsleuten zu sehen. Ein Foto, das Optimismus ausstrahlt. Die Rede Chameneis dagegen war düster. Chefredakteur Abbas Djavadi ist von der Rede enttäuscht: „Das Signal, das Chamenei gegeben hat, lautet Angriff. Er geht nicht auf Kompromiss, er geht auf Konfrontation. Und er hat uns als Sender auch wieder angegriffen, uns eine amerikanische Propagandamaschine genannt.“

Im Studio wird weiter produziert. Im großen Newsroom im Lichthof des Erdgeschosses laufen die Nachrichten aus allen Redaktionen ein. In diesem Herzstück laufen alle Fäden zusammen, werden Nachrichten, Berichte und Features produziert, die allen Sendern zur Verfügung stehen. Umgekehrt liefern die Sender ihre Top-Stories in den Newsroom, wo sie für die anderen Berichtsgebiete aufbereitet werden. Mehrere Kollegen produzieren dort die englischsprachige Webseite des Senders (www.rferl.org). Im Newsroom laufen auch die vielen Telefonate auf, die den Sender aus den von ihm bestrahlten Ländern erreichen. Sie werden häufig in die Sendungen eingespielt. Die Hörer bestreiten so selbst etwa 30 bis 40 Prozent des Wortprogramms.

Täglich gehen derzeit mehr als tausend Anrufe aus dem Iran ein. Fast noch wichtiger als das Radioprogramm selbst ist die regionale Webseite des Senders. „Die wird zwar von der Regierung blockiert. Aber vor allem die jungen Iraner sind findig. Man kann die Blockierung technisch mit relativ einfachen Mitteln umgehen. Täglich besuchen derzeit mehr als eine Million Iraner die Webseite. Verstärkt nutzen wir auch Facebook und andere Möglichkeiten der Kommunikation“, erklärt Djavadi, der schon in München zu den Mitarbeitern des Senders Freies Europa gehörte. Vor 2003 war Radio Farda eine klassisches Kurzwellenprogramm, wortlastig, schwer verdaulich. „Seither produzieren wir eine Art Jugendwelle, sind populärer geworden, damit aber keineswegs unseriös“, betont der Chefredakteur.

Djavadis braune Augen haben den Glanz verloren, den sie hatten, als er über die Demonstranten gesprochen hat, ihren Wunsch, ganz einfach normal und frei zu leben, in einem Land, das aus der Isolierung heraus kommt. „Die Leute wollen wirklich nicht viel. Sie wollen einfach besser leben. Es gibt natürlich besonders Aufgeklärte, die die islamische Republik weg haben wollen. Aber das steht nicht auf der Tagesordnung. Es geht auch nicht um das Atomprogramm, darum scheren sich die Leute nicht.“

Redakteur Kooroshy sieht die Lage nicht so düster wie sein Chef. „Selbst wenn diese Bewegung der Jugendlichen in einem Blutbad enden sollte, wenn sie nicht erreichen, was sie wollen - das, was wir jetzt erleben, ist ein Meilenstein in der Geschichte des Iran. Kein Regime kann diesen friedlichen Willen von Millionen dauerhaft unterdrücken. Unser Land könnte am Ende zu einem Vorbild an Demokratie in der islamischen Welt werden.“ Kooroshy wäre sofort nach Teheran gegangen, wenn ein anderer als Ahmadineschad die Wahlen gewonnen hätte. Dort gebe es, sagt er, für einen Journalisten unendlich viel zu tun.“ Nun wird Kooroshy erst einmal beim Sender bleiben. Und mit den Kollegen zusammen weiter informieren, kommentieren, vor allem aber mitfiebern, hoffen und bangen.

Hans-Jörg Schmidt
ENDE

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