Posse um Nichtraucherschutz
In Tschechien darf jeder Gastwirt selbst entscheiden, ob in seinem Lokal geraucht wird
(n-ost) – Kosta Dimitrov schimpfte wie ein Rohrspatz: „Es ist unglaublich, absolut schrecklich. Mir wird schlecht, wenn ich diesen Beschluss sehe.“ Der Sozialdemokrat gehört zu den Abgeordneten des tschechischen Parlaments, die seit Jahren für einen größeren Schutz der Nichtraucher in ihrem Land kämpfen. Viel erreicht hatten sie bisher nicht. Tschechien gehört zu den wenigen Ländern in der EU, in denen die Raucher fast überall noch fröhlich vor sich hinpaffen können. Das sollte sich in dieser Woche ändern, als das Parlament eine Novelle des entsprechenden Gesetzes beriet. Die Nichtraucherlobby wollte unter anderem durchsetzen, dass tschechische Kneipen generell nicht mehr von blauem Dunst vernebelt werden dürfen.Aber es kam alles ganz anders. Die bisher schon laschen Regelungen wurden durch eine Mehrheit der Abgeordneten noch gelockert. Jeder Gastwirt soll nunmehr selbst bestimmen können, ob in seinem Etablissement geraucht werden darf oder nicht. Ursprünglich war geplant, dass Raucherzonen prinzipiell von denen für Nichtraucher durch eine Wand abgetrennt werden müssen. „Zu teuer für viele Gastwirte“, lautete die Begründung für das Nein dazu. Die Gastwirte müssen künftig nur noch ausweisen, wie sie zum Rauchen stehen. Ein „Aufkleber“ an der Kneipentür soll dem Gast sichtbar machen, ob er sich in ein Raucher- oder ein Nichtraucherlokal begibt.„Das ist die Null-Variante, die nirgendwo sonst auf der Welt existiert“, ärgerte sich der Abgeordnete Dimitrov. „Ich garantiere, dass jetzt fast überall wieder gequalmt werden darf.“ Dimitrov kennt seine Mitmenschen: Für viele Tschechen ist die Vorstellung, ihr Feierabend-Bier zu trinken ohne dabei zu rauchen, der blanke Horror. Zwar behaupten die Statistiker, dass nur ein Drittel der Tschechen raucht; in den Wirtshäusern aber sieht das ganz anders aus.Die Sorgen der Gesetzesgegner gelten vor allem den Jugendlichen. Kaum jemand von ihnen sitzt ohne Zigarette am Tisch. Die Statistik weist denn auch in dieser Altersgruppe eine Zunahme der Raucher aus: Jeder zweite tschechische Jugendliche greift regelmäßig zum Glimmstängel.Dass die Nichtraucherlobby im Parlament einmal mehr den kürzeren zog, hat einen ganz simplen Grund: Die meisten tschechischen Abgeordneten rauchen selbst. Nichtraucherzonen im Parlament werden ignoriert, selbst auf dem Klo wird gepafft. Von Vorbildwirkung keine Spur.Dass das Argument der Raucher, den Gastwirten würden bei einem strikten Rauchverbot die Gäste wegbleiben, nicht stimmt, lässt sich auch in Tschechien nachweisen. Nichtraucherrestaurants erfreuen sich regen Zulaufs. Mittlerweile gibt es auch schon Kneipen, die ihre Gäste selbst entscheiden lassen, ob geraucht werden darf oder nicht. In der über Jahrzehnte verräucherten Szenekneipe „Casa Blu“ im Prager Zentrum beispielsweise befürwortete eine klare Mehrheit den Status eines Nichtraucherlokals. Der Laden ist rappelvoll wie eh und je.Die Zeitungen in Tschechien hatten nach der Lockerung des Nichtraucherschutzes Grund genug zu Hohn und Spott. Auch ausgewiesene Raucher unter den Kommentatoren vermochten die Entscheidung der Abgeordneten nur noch zu glossieren: Das vermeintliche Nichtrauchergesetz werde als schlichtes „Aufkleber-Gesetz“ in die Geschichte eingehen und sei ein „wahrer Meilenstein der Legislative“.Hans-Jörg Schmidt
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