Massaker an Deutschen aufgeklärt
Größtes Nachkriegsverbrechen in Böhmen an Deutschen aufgeklärt(n-ost) – An der Mauer der Kaserne im nordböhmischen Postoloprty (Postelberg) stehen fünf erschöpfte jugendliche Deutsche im Alter von nicht einmal 15 Jahren. Angeblich haben sie Äpfel von einem Baum gestohlen, um ihren Hunger zu stillen. Erst werden sie schlimm misshandelt. Dann strecken Gewehrsalven vier von ihnen nieder. Ein Junge überlebt, fällt auf die Knie und fleht um Gnade. Vergeblich. Er wird durch einen Schuss ins Genick getötet.Es ist Anfang Juni 1945. Die sowjetische Armee ist aus Zatec (Saaz) abgezogen. Truppen des tschechoslowakischen Generals Svoboda besetzen die Kleinstadt. Sie wollen die Gegend „von den Deutschen säubern“. Ein Soldat erinnert sich später einer Ansprache des Generals Svoboda. „Ich beneide euch um diese große Aufgabe. Denkt immer daran, dass nur eine toter Deutscher ein guter Deutscher ist. Je weniger von ihnen bleiben, desto weniger Feinde haben wir.“Tausende Deutsche, Knaben und Männer zwischen 13 und 65, werden von Zatec ins nahe Postoloprty getrieben. Wie viele davon umgebracht wurden, ist bis heute offen. Historiker sprechen von bis zu 2.300. In neun Massengräbern fand man die Überreste von 763 Menschen. Erschossen oder erschlagen ohne Gerichtsurteil. Es ist das schlimmste Nachkriegsmassaker in der damaligen Tschechoslowakei, in der Zeit der „wilden Vertreibung“ der Sudetendeutschen. Nach 64 Jahren kennt man nun die Namen der Verantwortlichen.Die Kriminalpolizei in Zatec hat drei Anläufe genommen, um die Ereignisse von damals aufzuklären. Jetzt stehen zumindest die Schuldigen am Tod der Knaben fest. Es handelt sich um den Armee-Kapitän Vojtech Cerny und um den Ortspolizisten Bohuslav Marek. Laut den Ermittlern tragen sie jedoch mit großer Wahrscheinlichkeit auch die Verantwortung für die Ermordung der übrigen Deutschen.Die Akte Postelberg ist mehrere tausend Seiten dick. Chefermittler Pavel Karas hatte anfangs Zweifel, dass sich seine Landsleute so gegenüber wehrlosen Deutschen haben verhalten könnten. „Ich wollte das nicht glauben, habe das als Gerede abgetan. Während der Ermittlungen dann blieb mir nichts von dieser Illusion. Das Geschehene hat sich tatsächlich so abgespielt. Schlimm, dass sich Tschechen derart schuldig gemacht haben. Das damalige Strafgesetz kannte den Begriff Genozid nicht. Wenn er existiert hätte, hätte ich die Verantwortlichen nicht des Mordes, sondern des Genozids überführt. Denn um nichts anderes hat es sich gehandelt“, sagt der Kriminalist gegenüber dem Internet-Server aktualne.cz.In den zwei Jahre dauernden Ermittlungen hat die Polizei 37 Zeugen vernommen. Menschen, die das Massaker überlebten und wie etwa drei Millionen Sudetendeutsche nach Deutschland abgeschoben worden waren. Fast alle Zeugen mussten mit ansehen, wie die Knaben hingerichtet wurden. Bis auf wenige Details stimmten sie in ihren Aussagen überein. Sie identifizierten zugleich den Ortspolizisten Marek als Todesschützen.Marek hatte 1947 vor einer Parlamentskommission die Vorfälle selbst detailliert geschildert, eigene Schuld aber geleugnet. Zu der bekannte sich seinerzeit dagegen ganz offen Cerny. Marek räumte ein, den Deutschen je hundert Schaufeln und Hacken in die Hand gedrückt zu haben. Sie mussten ihr eigenes Grab schaufeln. Cerny stand zu seinem Verhalten und betonte auch, dass er dazu weiterhin stehe. „Die Deutschen haben so viel Böses getan. Das könnten wir ihnen nie heimzahlen, selbst wenn wir jeden Tag welche von ihnen exekutieren würden.“Die Parlamentskommission billigte am Ende das Verbrechen. Es habe sich um eine „außergewöhnliche revolutionäre Zeit“ gehandelt. Die Exhumierung der Leichen aus den Massengräbern 1947 lief unter strengster Geheimhaltung ab. Man wollte den Deutschen keinen „Vorwand“ liefern, gegen die Tschechoslowakei „zu hetzen“. Nach dem Putsch der Kommunisten im Februar 1948 wurde die Sache völlig totgeschwiegen. Der Vorsitzende der Parlamentskommission wurde in einem der damals üblichen konstruierten Prozesse zum Tode verurteilt. Ihm gelang jedoch die Flucht. Er wurde erst nach 1989 rehabilitiert.Cerny und Marek, die mutmaßlichen Haupttäter, wurden nie vor ein Gericht gestellt. Sie lebten friedlich und unbehelligt bis zu ihrem Tod. Marek starb 1969 im Alter von 71 Jahren, Cerny 1991 mit 74 Jahren.Hans-Jörg Schmidt
ENDENachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 259 32 83 - 0