Tschechien

Eierwerfer und Marsmenschen

Tschechiens sozialdemokratischer Parteichef durchleidet einen stürmischen Wahlkampf

(n-ost) – So richtig Spaß macht der derzeitige Wahlkampf Jiri Paroubek nicht. Und ungewöhnlich teuer ist er für den Chef der tschechischen Sozialdemokraten auch. Täglich geht ein Anzug Paroubeks in die Reinigung. Verziert mit den Spuren roher Eier. Der Prager Spitzenpolitiker ist im wahrsten Wortsinn zur Zielscheibe seiner Gegner geworden. Den Anfang machten junge Leute bei einer Veranstaltung Paroubeks in Plzen (Pilsen). Aus gut acht Metern Entfernung brachten sie ein Ei ins Ziel. Paroubek fand die Sache nicht lustig und titulierte den Werfer als „Schwein”. Der Partei war die Sache so peinlich, dass sie den ganzen Tag den Vorfall totzuschweigen versuchte. Im Medienzeitalter ein aussichtsloser Versuch. Verschiedene Internetserver warfen die Nachricht sofort auf den Markt. Am Ende des Tages räumten die Sozialdemokraten (CSSD) Zähne knirschend einen „kleineren Zwischenfall” ein.


Jiri Paroubek bei einer Wahlkampfveranstaltung nahe der U-Bahn-Station Andel im Prager Stadtteil Smichov. Foto: Björn Steinz

Doch diese plumpe Reaktion war genau falsch. Sie stachelte jeden Tag neu weitere Eierwerfer zu gleichen Untaten an. Die Zeitungen, die Paroubek nicht mögen, rühmten sogleich das erhebliche Geschick der Eierwerfer. Jeder wisse schließlich aus dem Physikunterricht in seiner Schulzeit, dass das Treffen eines Ziels mit einem rohen Ei nicht so leicht sei. Bekanntlich verändere sich in einem fliegenden rohen Ei laufend der Schwerpunkt, was die Flugbahn beeinträchtige. „Die Sportart, bei der ein Werfer ein rohes Ei wirft und sein Partner es unversehrt auffängt, gehört zu den schwierigsten überhaupt”, dozierte mit breitem Grinsen ein Kommentator auf der Titelseite der konservativen Tageszeitung „Lidove noviny”. Umso erstaunlicher sei es, wie treffsicher die tschechischen Eierschleuderer seien.Nicht alle Gegner Paroubeks unterziehen sich der sportlichen Mühe. Bei einem der jüngsten Wahlkampfauftritte Paroubeks in Pisek stellte jemand eine ganze Palette roher Eier einfach kurzerhand auf die Bühne – „damit wir sie nicht schmeißen müssen“. Paroubek stieß sie mit Schwung von der Bühne und traf dabei aber einige Besucher, die ihm huldigen wollten. Ob die jetzt noch zu seinen Fans gehören, darf bezweifelt werden.Mittlerweile wittern ortsansässige Bauern ein ordentliches Geschäft. Vielfach kommen die jetzt mit vollen Eierpackungen zu den Wahlveranstaltungen des Chefs der Sozialdemokraten. Wo Paroubek auftritt, wissen die Hühnerhalter aus dem Internet. Im vor allem unter Jugendlichen beliebten Portal Facebook hat sich eine Interessengruppe gebildet, die unter dem Titel „Eier auf Paroubek“ in jeder Stadt firmiert. Anfang dieser Woche waren dort sage und schreibe 28.000 Mitglieder registriert. Kommentare findet man dort auch. Anspornende zumeist. Ein Mensch äußerte – allerdings augenzwinkernd – auch schon die Befürchtung, dass es in Tschechien jetzt zu einem Eierengpass kommen könnte.Die CSSD vermutet hinter den Eierwerfern die politische Konkurrenz von der Demokratischen Bürgerpartei (ODS). Die hatte tatsächlich bei Facebook kurze Zeit eine Werbung für sich geschaltet. Die Sozialdemokraten reagierten denn auch: Auf den jüngsten Veranstaltungen installierten sie neben der Bühne auch Plakate, auf denen man lesen konnte: „Eier und sonstige Wurfgeschosse bitte hierher.“ Illustriert wurde das durch ein Foto von mehreren Eiern in Großaufnahme. Eines davon trug das Gesicht des ODS-Chefs Mirek Topolanek. Paroubek selbst nennt die Eierwerfer „kindisch“ und empfiehlt ihnen einen Gang in den nächsten Supermarkt, wo sie sich Lutscher kaufen sollten. Das macht ihn nicht eben beliebter. Die Veranstaltungen Paroubeks werden inzwischen von eigens von der CSSD engagierten Sicherheitsleuten bewacht. Die gehen jetzt regelmäßig erst einmal auf Eiersuche. Am Montag griffen sie im nordböhmischen Litomerice (Leitmeritz) auch gegen andere Menschen durch. Zwei Schauspieler hatten sich dort als Marsmenschen verkleidet. In Anlehnung an ein Wort Paroubeks, dass er zum Erreichen der Macht notfalls auch mit Marsmenschen koalieren würde. Die beiden „Marsmenschen“ von Litomerice spürten dann die harte Hand eines muskulösen Sicherheitsmenschen, der sie vom Marktplatz expedierte.Die Humorlosigkeit Paroubeks in Sachen Eierwerfer und Marsmenschen hat indes Folgen, die weit über die zusätzlichen Anzugs-Reinigungskosten hinaus gehen: Die Sozialdemokraten haben ihren unlängst noch riesigen Vorsprung in der Wählergunst verloren. Urplötzlich hat jetzt die ODS in den Umfragen vor der Europawahl mit mehr als acht Prozentpunkten Vorsprung die Nase vorn.Hans-Jörg Schmidt
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