Porzellanbranche vor dem Scherbenhaufen
Trotz neuer Eigentümer für die Karlsbader Porzellanfabrik bleiben die Zukunftsaussichten für ihre Werke und deren Belegschaft trübe
(n-ost) – Für Alena D. (Name geändert) und 200 ihrer Kollegen gibt es noch eine Galgenfrist: Erst am 30. April wird die Belegschaft der Porzellanfabrik Concordia in Lesov bei Karlsbad auf der Straße stehen. Das Datum der Kündigung ist das Einzige, was sicher ist. Für Concordia, einen Verbund-Betrieb der Karlsbader Porzellanfabrik, läuft das Insolvenzverfahren. Ungewissheit beherrscht seit Monaten den Arbeitsalltag von Alena und ihren Kollegen: „Wir werden immer nur vertröstet“, sagt sie. „Informationen gibt es nicht.“
Edles Porzellan aus der Karlsbader Porzellanfabrik. Foto: Beate Franck
Mit der Pleite der Karlsbader Porzellanwerke, einem der größten Hersteller von Haushaltsporzellan in Tschechien, spielt sich in Westböhmen ein ähnliches Drama ab wie im benachbarten Selb in Bayern, wo das weltbekannte Unternehmen Rosenthal ums Überleben kämpft. Die über 200 Jahre alte Tradition der Porzellanherstellung steht damit jenseits wie diesseits der Grenze vor einem Scherbenhaufen. In beiden Fällen hat sich die Verflechtung in große Konzerne verhängnisvoll ausgewirkt. Rosenthal geriet mit der Insolvenz seines englischen Mehrheitsaktionärs Waterford Wedgwood ins Strudeln, die Karlsbader Porzellanwerke mit der Pleite der Prager Mutter Porcela Plus. Die Folge hüben wie drüben: Die Firmenstrukturen werden zerschlagen.
Die Karlsbader Porzellanfabrik, das Kern-Unternehmen der Porzellanwerke, hat vor wenigen Tagen für einen Großteil ihrer Produktionsstätten neue Eigentümer gefunden. Eine Aktiengesellschaft mit Namen Hengis aus Pilsen übernimmt nun den Hauptbetrieb in Nova Role (Neu Rohlau), das Werk in Klasterec (Klösterle), den Siebdruckbetrieb in Stara Role (Alt Rohlau) und das Studio Thun in Lesov (Lessau). Über den Kaufpreis wurde Stillschweigen vereinbart. Die Manufaktur in Chodov (Kodau), das Filetstück des Unternehmens, wurde bereits Mitte März herausgelöst und von einem vietnamesisch-tschechischen Ehepaar erworben, das bei Karlsbad selbst einen kleinen Porzellanbetrieb leitet.
Hinter dem Namen Hengis steht dagegen kein weiterer Branchenkenner. Die Aktiengesellschaft, die erst Ende 2007 von zwei Rechtsanwälten gegründet wurde, beschäftigte sich bisher mit der Vermietung von Immobilien. Nach tschechischen Medienberichten gab es insgesamt zehn Gebote für die Karlsbader Porzellanfabrik. Lediglich eines – nämlich das niedrigste – soll jedoch auf die Übernahme des gesamten Unternehmenskomplexes gezielt haben. Mit der jetzigen Lösung soll nun zumindest ein Teil der Gläubiger-Ansprüche befriedigt werden können. Der Porzellanhersteller ist mit 52 Millionen Euro verschuldet, davon entfallen rund 18 Millionen auf Garantien für eine Tochter- und die Muttergesellschaft Porcela Plus. Dem Verkauf muss noch das Insolvenzgericht zustimmen. Noch offen ist das Insolvenzverfahren bei Concordia, dem sechsten Karlsbader Porzellanbetrieb, ebenfalls Tochter von Porcela Plus.
Ungewiss aber ist, wie es nach der Übernahme durch Hengis weitergeht. Etliche Kunden hatten wegen der unsicheren Zukunft der Karlsbader Porzellanfabrik, die in Deutschland einen ihrer wichtigsten Absatzmärkte hat, bereits Aufträge storniert. Die Produktion ist unterbrochen. Die neuen Eigentümer wollen sie jedoch im Mai zumindest teilweise wieder anfahren. Hengis will wegen seiner mangelnden Branchenkenntnis zudem versuchen, einen strategischen Partner mit ins Boot zu holen. Nach Angaben der neuen Eigentümer ist jedoch auch ein Weiterverkauf von Betriebsteilen nicht ausgeschlossen.
Skepsis herrscht deshalb in der Belegschaft von Concordia, für die Hengis ebenfalls als Übernahmekandidat im Gespräch ist. „Für uns heißt das nicht, dass es mit der Porzellanproduktion weiterläuft“, sagt Alena D., die als alleinerziehende Mutter von zwei Kindern dringend auf einen Job angewiesen ist. Wieviele der bisherigen 1100 Mitarbeiter der Karlsbader Porzellanfabrik weiterbeschäftigt werden können, steht ebenfalls in den Sternen. Die Rede ist inzwischen von 400 bis 500.
Der Blick nach Deutschland verheißt ebenfalls nichts Gutes: Zwar gibt es mit dem italienischen Besteckhersteller Sambonet inzwischen auch für Rosenthal einen Übernahme-Interessenten. Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens Anfang April aber mussten 300 Mitarbeiter sofort gehen. Übrig bleiben vorerst knapp tausend.
Für die Beschäftigten der Karlsbader Porzellanfabrik ist die finanzielle Lage bereits weitaus schlimmer. Offiziell sind sie seit 1. April arbeitslos. Doch bereits seit Dezember sind keine Löhne mehr ausgezahlt worden. Bei einem Durchschnittslohn von 10 000 Kronen (etwa 370 Euro) hätten die Arbeiter kaum Rücklagen bilden können, schildert Alena D.: „Viele Pendler hatten nicht mal mehr das Geld, um mit Bus oder Auto zum Betrieb zu fahren.“ Die Stadt Karlsbad hatte im Februar knapp 300 000 Euro in einen Fonds der Gewerkschaften überwiesen, aus dem 600 besonders bedürftige Mitarbeiter einmalige Unterstützungen in Höhe eines Monatslohns erhalten sollten. Weitere 50 sollen Zahlungen aus Subventionen der tschechischen Regierung für die krisengeschüttelte Glas- und Porzellanindustrie bekommen.
Alena D., die seit Februar keinen Lohn mehr bekommen hat und der Ende April ebenfalls die Arbeitslosigkeit droht, bangt auch noch aus einem anderen Grund um ihre Zukunft: „In unserer Fachrichtung gibt es hier keine anderen Arbeitsplätze. Ich kenne niemanden, der einen neuen Job gefunden hat.“
Beate Franck
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