Opposition belagert Präsidenten-Residenz
Sie warfen Mohrrüben und Kohl über den hohen Zaun, der die Residenz des georgischen Präsidenten Michail Saakaschwili schützt. Beschan Gunawa, einer der Oppositionsführer, frotzelte: „Der Präsident Georgiens ist ein Kaninchen! Er hat Angst vor dem eigenen Volk und wir werden ihm täglich Mohrrüben und Kohl bringen.“ Die schwarz maskierten Scharfschützen hinter dem Zaun blieben lässig und verzichteten auf Drohgebärden. Die Demonstranten wollen die moderne Residenz jetzt rund um die Uhr belagern.
Am Montag Abend wurden im Beisein der Oppositionsführer Lewan Gatschetschiladse und Nino Burdschanadse zehn Zelte aufgestellt. Der georgische Präsident Saakaschwili hat sich offenbar entschlossen, die Straßenproteste der Opposition auszusitzen. Bereits am Freitag hatte er in einer Fernsehansprache mitgeteilt, er werde bis zum Ende seiner Amtszeit 2013 Präsident bleiben. Irgendwann würden sich die Proteste verlaufen, hofft Innenminister Vano Merabischwili.
Der Präsident hat der Opposition hat einen Dialog angeboten. Aber außer dem ehemaligen UNO-Botschafter, Irakli Alasania, will keiner der einflussreichen Oppositionsführer darauf eingehen, weder der populäre Wein-Fabrikant Lewan Gatschetschiladse noch die redegewandte ehemalige Parlamentssprecherin Nino Burdschanadse. Erst müsse Saakschwili zurücktreten, dann könne man verhandeln, so die Meinung der Oppositionsführer. Auch zehntausende Demonstranten, die sich seit fünf Tagen in Tbilissi vor dem Parlament versammeln, rufen immer nur eine Parole: „Mischa geh, geh, geh“. Am Donnerstag hatten 80.000 Menschen vor dem Parlament demonstriert.
Am Montag kamen erneut tausende Menschen vor dem Abgeordnetenhaus zusammen. Die Demonstranten in Tbilissi haben den ehemaligen Rosenrevolutionär satt. Sie kreiden ihm an, dass er im August 2008 einen aussichtslosen Krieg in Südossetien begann. Und sie sind enttäuscht über die immer noch schwierige wirtschaftliche Lage. Die Durchschnittslöhne in Georgien liegen bei 70 Dollar. Auch private Eskapaden schaden Saakaschwili. Dass der Präsident zur Nackenmassage eine junge Masseurin mit seinem Privatjet einfliegen ließ, sorgte in Georgien für einen Skandal.
Oppositionsführer Lewan Gatschetschiladse erklärte, man werde dem Präsidenten keine Ruhe mehr lassen und überall dort auftauchen, wo „Mischa“ sich aufhalte. Geplant sind weitere Aktionen vor dem Fernsehzentrum und der Residenz des Präsidenten. Doch ob die Opposition es schafft, Saakaschwili auf diese Weise mürbe zu machen, ist fraglich. Bisher ist es ihr nicht gelungen, die Proteste wie angekündigt auf das ganze Land auszudehnen.
Die schweigende Mehrheit in der Bevölkerung sowie der Verzicht auf unnötige Polizeieinsätze – das sind die Trümpfe, die Saakaschwili in der Hand hat und die immer noch zu stechen scheinen. Statt den Ausnahmezustand zu verhängen und Gummiknüppel einzusetzen wie im November 2007, lobt der Präsident die Demonstranten jetzt für ihr friedliches Verhalten. Georgien zeige in diesen Tagen „wieder einmal“, dass es „eine europäische Demokratie ist, im Inhalt und im Handeln“, flötet der Präsident, dem ein Stab gut ausgebildeter Berater zur Seite steht. Als Zeichen des guten Willens stellte er die Direktwahl des Bürgermeisters von Tbilissi in Aussicht.
Warum sind die Menschen in Georgien wütend? Saakaschwili hatte 2003 während der Rosenrevolution versprochen, das Land zu einen und die abtrünnigen Provinzen Südossetien und Abchasien zurückzuholen, doch das Gegenteil ist eingetreten. Die beiden Provinzen sind seit dem missglückten Versuch, Südossetien im August 2008 mit Waffengewalt ins Mutterland zurückzuholen, nach Meinung vieler Georgier für lange Zeit verloren. Die ehemaligen Mitkämpfer von Saakaschwili aus den Zeiten der Rosenrevolution, darunter eine Außenministerin, ein Verteidigungsminister und eine Parlamentssprecherin, sind fast alle zur Opposition übergelaufen.