Krise treibt das Land nach rechts
Im durch die Wirtschaftskrise besonders stark betroffene Ungarn werden Roma und Juden zu Sündenböcken gemacht
(n-ost) – „Es wird wehtun“, stimmt der designierte Ministerpräsident Gordon Bajnai die Ungarn auf sein Sparprogramm ein. Der 41-jährige Wirtschaftsfachmann hat dem Land verordnet, den Gürtel enger zu schnallen. So will er den etwa zwei Millionen Rentnern die dreizehnte monatliche Zahlung streichen. Auch die rund 700.000 Staatsbediensteten müssen auf ihr dreizehntes Monatsgehalt künftig verzichten – jeder sechste Ungar ist davon betroffen. Löhne und Gehälter, sowie Familien- und Kinderzulagen sollen für zwei Jahre eingefroren werden. Bei den staatlichen Heizkostenzuschüssen setzt Bajnai ebenfalls den Rotstift an. Mit seinem Programm will Bajnai den Staatshaushalt um gut drei Milliarden Euro entlasten. Die Ungarn müssten sich entscheiden, empfahl der Krisenmanager, „ob noch tausende Jobs verloren gehen oder ob sie ein paar Prozent ihres Einkommens abgeben“. Ohnehin hat das Land keine andere Wahl. Schließlich hat der Internationale Währungsfonds (IWF) den Milliardenkredit, den er Ungarn im vergangenen Herbst gewährte, an Bedingungen geknüpft: Sparen, Sparen, Sparen. Um das Land vor dem Staatsbankrott zu bewahren, hatten IWF, Weltbank und EU einen Kredit von 20 Milliarden Euro gegeben. „Die Zeche zahlen die kleinen Leute“, sagt eine Frau, die in Budapest kurz vor Ostern mit zehntausenden Regierungsgegnern für vorgezogene Neuwahlen demonstriert. Ein anderer Demonstrant räumt ein, „dass es wohl keine wesentlich besseren Ideen gibt, um die Probleme zu lösen.“ Während sich die Demonstranten auf dem Heldenplatz in der Budapester Innenstadt versammeln, versuchen die regierenden Sozialisten im Kongresszentrum am anderen Ende der ungarischen Hauptstadt ihre Macht zu retten. Sie stellen sich mit 93 Prozent hinter die Radikalkur Bajnais. Der soll bis zu den regulären Wahlen in einem Jahr die Minderheitsregierung führen. Der glücklose Premier Ferenc Gyurcsány hatte zuvor seinen Rückzug vom Amt des Ministerpräsidenten und Parteichefs angekündigt. Auch die Liberalen, die bis vor einem Jahr noch mit den Sozialisten regierten, stimmten für das Bajnai-Paket. Damit hat Bajnai die nötige Mehrheit im Parlament. Ungarische Politologen dagegen befürchten, das Bajnai-Sparprogramm könne „solche gesellschaftliche Spannungen schüren, dass die Gegensätze erneut explodieren“.Sündenböcke sind jetzt schon Minderheiten wie Roma und Juden. Der Holocaust-Überlebende Ervin Lazarovics berichtet, dass seit der Wende die jüdischen Gemeinden immer mehr Hass-Briefe bekommen und Friedhöfe geschändet werden. „Der Geist des Antisemitismus ist aus der Flasche“, sagt der Auslandsbeauftragte des Verbandes der ungarischen jüdischen Gemeinden MAZSIHISZ. Selbst der Schriftstellerverband sorgte mit entsprechenden Ausfällen vor einigen Jahren für Negativ-Schlagzeilen. Namhafte Autoren wie Péter Esterházy traten daraufhin aus dem Verband aus. Regelmäßig veröffentlicht indes der Publizist Zsolt Bayer in der konservativen Tageszeitung „Magyar Nemzet“ antisemitische Hetzartikel. Möglich ist das, weil es bis heute keinen Volksverhetzungsparagraphen nach deutschem Vorbild gibt, der entsprechende Äußerungen unter Strafe stellt. Ein Versuch scheiterte letztlich am Staatspräsidenten, der die Gesetzesvorlage dem Verfassungsgericht zur Prüfung übergab. Und das senkte den Daumen.Immer stärker geraten auch die rund 600.000 ungarischen Roma ins Kreuzfeuer rechtsextremer Gruppierungen wie der Partei „Jobbik“ (Die Besseren/Rechteren) und ihrer Parteiarmee „Ungarische Garde“. Die Wehrsportgruppe hat sich den Kampf gegen sogenannte „Zigeunerkriminalität“ auf die Fahnen geschrieben. Sie marschiert – trotz Verbots ihres Trägervereins – weiter durch Viertel mit hohem Roma-Anteil. Und mittlerweile werden die Auseinandersetzungen immer gewalttätiger. In den vergangenen anderthalb Jahren hat es mehr als 50 Gewalttaten gegeben. Die Bilanz: Sieben Tote. Nach der Wende 1989 waren die Roma die ersten, die ihre Jobs verloren. Jeder vierte der rund 600.000 Roma ist mangels Bildung arbeitslos, viele sind auf staatliche Unterstützung angewiesen. Ungarische Rechtsextreme diffamieren sie als Sozialschmarotzer. „Ich verdiene die Stütze, von der Du lebst“, heißt es in einem Hass-Video einer ungarischen Nazi-Band, frei zugänglich auf dem Internet-Portal „You Tube“. Eine Meinung, die derzeit in Ungarn viele Anhänger findet. „Ungarn ist ein sehr rassistisches Land“, sagt Gina Böni – eine Schweizerin, die in Budapest ein Projekt für Roma gegründet hat. Das Problem sei die politische Elite, glaubt sie. Die sage nicht: „So nicht !“ Justizminister Tibor Draskovics gibt unumwunden zu: „Die fehlende gesellschaftliche Integration der Roma ist das größte Debakel der vergangenen 20 Jahre.“ Jede Regierung sei bislang daran gescheitert. Auf 12 Prozent beziffert der Budapester Soziologe Pál Tamás das Wählerpotential der Rechten. „Das sind Männer um die 30, die vor der Wende große Träume hatten, die sich nicht erfüllt haben“, sagt er. Diese Beschreibung trifft auch auf Gábor Vona zu. Der junge Mann ist eigentlich Lehrer. Und er ist Parteichef der rechtsextremen Partei „Jobbik“. Sie könnte in die Parlamente in Budapest und Straßburg einziehen, unken Meinungsforscher. Das beste Pferd im Jobbik-Stall ist die eloquente Juristin Krisztina Morvai. Früher hat sie zum Thema „Gewalt in der Familie“ geforscht und sich für Frauenrechte stark gemacht. Jetzt bewirbt sie sich als „Jobbik“-Spitzenkandidatin für einen Sitz im EU-Parlament. Und Jobbik-Chef Vona kündigte bereits an, sich künftig noch besser mit der rechtsextremen Szene europaweit zu vernetzen. Kontakte zur NPD und zu bulgarischen Rechtsextremen gibt es bereits. Jetzt peilt Vona auch die FPÖ an, die ehemalige Partei des bei einem Autounfall verstorbenen Österreicher Rechtspopulisten Jörg Haider. Und noch einer profitiert von der aktuellen Krise: Der ehemalige Ministerpräsident Viktor Orbán. Wenn jetzt Wahlen wären, könnte er mit seinem rechtskonservativen Bürgerbund Fidesz eine Zweidrittelmehrheit erzielen, während die kleineren Parteien wie die Liberalen um den Wiedereinzug in das Parlament bangen müssten. Orbán hat sich bislang nicht von den Rechtsextremen distanziert – im Gegenteil. Fidesz-Politiker treten regelmäßig auf „Jobbik“-Veranstaltungen auf, in einigen Stadtregierungen mischen sie mit. Der Historiker Krisztián Ungváry wirft Orbán vor, „dass Fidesz eine Gruppe hochzüchtet, die auf der Straße lautstark Politik machen will.“ Das Kalkül Orbáns sei es, die Stimmen der Rechtsextremen bei der nächsten Parlamentswahl auf seinem Konto verbuchen zu können. Die Chancen stehen gut, dass ihm das gelingt. Aber der politische Preis dafür ist hoch. Stephan Ozsváth
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