Leichtgewicht aus Prag soll EU-Vorsitz übernehmen
Der Statistiker Jan Fischer soll den Prager Regierungssitz und den EU-Vorsitz beerben(n-ost) - „Hallo Mirko! Wer bitte ist Fischer? Wie heißt der mit Vornamen? Joschka wohl nicht. Jan? O.k., das kann man sich ja noch merken.“ So oder ähnlich könnten die SMS aussehen, die der amtierende tschechische Premier und EU-Ratsvorsitzende Mirek Topolanek aus dem großen Rest Europas derzeit bekommt. Denn besagter Fischer, Jan Fischer, soll für knapp zwei Monate die Europäische Union führen. Als tschechischer Übergangspremier. So haben es sich jedenfalls die Parteien in Prag ausgedacht.Am Sonntagabend, als sich der Rauch des Obama-Besuchs und des Gipfels EU-USA an der Moldau noch gar nicht richtig verzogen hatte, fanden sich die tschechischen Politgrößen in der Dienstvilla von Topolanek zusammen, um in die Niederungen der einheimischen Probleme einzutauchen. Knapp zwei Wochen liegt das erfolgreiche Misstrauensvotum der oppositionellen Linken gegen die Regierung Topolanek zurück. Seither bemühen sich die Parteien um einen Ausweg aus der Krise. Topolanek regiert nur noch geschäftsführend. Präsident Vaclav Klaus drängte auf eine schnelle Lösung. Die zeichnet sich jetzt ab.Eine Beamtenregierung soll die Geschäfte Anfang Mai übernehmen. Deren parteilose Mitglieder sollen von den drei bürgerlichen Parteien und den Sozialdemokraten vorgeschlagen werden. Für den 9. und 10. Oktober sind dann Neuwahlen vorgesehen. Das ist alles noch Innenpolitik, die außerhalb Tschechiens nicht sonderlich beachtet werden würde. Doch Tschechien hat bis Ende Juni den EU-Ratsvorsitz inne. Der Übergangspremier muss somit auch die Geschäfte in der EU übernehmen. Nicht nur Topolanek ist dann nicht mehr zuständig. Auch Außenminister Karl Fürst Schwarzenberg und der Vizepremier für EU-Fragen, Alexandr Vondra, müssen gehen. Die gesamte Prager EU-Kompetenz ist weg. Der Mann, der dann den Hut aufhat, ist Jan Fischer.In Tschechien gibt es nicht viele, die Fischer kennen. Präsident Vaclav Klaus sagte in einer ersten Reaktion, der Name Fischer als Regierungschef wäre ihm nicht eingefallen. Obwohl der künftige Premier zumindest eine gewisse Vorstellung davon hat, wie eine Regierungssitzung in Prag abläuft. Als langjähriger Chef des Statistischen Amtes hat er hin und wieder an solchen Sitzungen teilgenommen. Statistiker ist Fischer also. Das hat er an der Hochschule für Ökonomie in Prag studiert. Nach dem Diplom ging er sofort ins Statistische Amt.Der 58-jährige Fischer hat zudem etwas Auslandserfahrung. Fischer hat – so ist im Internet nachzulesen – 2001 an einer Mission des Internationalen Währungsfonds (IWF) teilgenommen, die im von Prag sehr fernen Ost-Timor die Möglichkeiten untersuchte, ein Statistisches Amt aufzubauen. Doch die Weltläufigkeit, die ihn per se zum idealen EU-Vorsitzenden machen würde, Jan Fischer dort nicht mitbekommen haben.Die Politiker in Prag ficht derlei nicht an. Sie denken momentan nur an eines: so schnell wie möglich den Wahlkampf beginnen zu können und die Verantwortung für Regierung und EU jemand anderem aufzuhalsen. Alle Parteien lobten, dass Fischer mehr als nur Tschechisch spreche. Das ist womöglich vielleicht ein Hoffnungsschimmer für Europa. Angela Merkel bekommt zwar noch ein paar Brocken Tschechisch zusammen, weil sie in Prag zu alten Zeiten zwei Praktika als Physikerin absolviert hat. Aber für den großen Rest Europas ist die tschechische Sprache ein böhmisches Dorf.Fischer selbst traut sich den neuen Job durchaus zu. Soviel sei ja nicht zu tun, sagte er im Fernsehen. Die EU-Präsidentschaft, ja natürlich, aber vor allem müsse er sich um einen Haushaltsentwurf kümmern. Heile Welt in Prag. Das sieht nach einer Regierung der „ruhigen Hand“ aus. Einen kann es freuen: Vaclav Klaus. Der EU-Gegner, der durchblicken ließ, dass er eine Regierung Fischer problemlos anerkennen würde, bekommt auf einmal ein ganz anderes Gewicht für Europa. Er wird es auskosten, soweit es geht. Ihn immerhin kennt man. Im Gegensatz zu einem gewissen Jan Fischer.Es bleibe zu hoffen, so europafreundliche Kommentatoren in Tschechien, dass der scheidende Premier Topolanek vor seinem endgültigen Aus noch seinen Einfluss geltend machen kann, damit der Lissabon-Vertrag den Prager Senat passiert. Jan Fischer würde in dieser für Europa so wichtigen Angelegenheit vermutlich kaum etwas ausrichten. „Politische Ambitionen habe ich nicht“, sagt er selbst von sich. „Ich werde in jedem Fall wieder ins Statistische Amt zurück kehren, wenn der Job in der Regierung erledigt ist.“Hans-Jörg Schmidt
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