Barack Obama trifft Vaclav Havel
Barack Obama will wie seine Vorgänger unbedingt mit dem früheren Prager Staatschef sprechen(n-ost) – Als die beiden Töchter von Michelle und Barack Obama ihr Kinderzimmer im Weißen Haus bezogen, fanden sie einen Brief ihrer Vorgängerinnen vor. Barbara und Jenna Bush, die Kinder von George W.Bush, schwärmten in dem Schreiben von der Zeit der Präsidentschaft ihres Vaters. Sie schrieben: „Wir haben tolle Leute, Politiker und Philosophen kennen lernen dürfen, wie beispielsweise Vaclav Havel.“ Havels Name war der einzige, der in dem Brief auftauchte. Obamas Töchter sind noch zu jung, um mit diesem Namen etwas anfangen zu können. Papa Barack wusste natürlich, wer jener Havel ist. Und als die Tschechen in Washington vorstellig wurden, um den neuen amerikanischen Präsidenten nach Prag einzuladen, da sagte Obama unter einer Bedingung zu: Er wolle an der Moldau unbedingt Vaclav Havel treffen.Am Sonntag wird es zu dieser Begegnung kommen. Es wird ein Vieraugengespräch sein. Obama wird sich mehr Zeit dafür nehmen als für die derzeitige tschechische Führung um Präsident Vaclav Klaus und den geschäftsführenden Premier Mirek Topolanek, die sich obendrein den Termin mit Obama auch noch teilen müssen. Havel ist für die Amerikaner und für amerikanische Präsidenten eben ein anderes Kaliber.Was fasziniert sie so an dem kleinen Mann, der bei öffentlichen Auftritten immer etwas verlegen und unsicher wirkt? Havel selbst sagt: „Die Amerikaner, die zeitlebens nur die Freiheit kennen, können sich nicht vorstellen, wie man für seine politische Überzeugung ins Gefängnis gehen kann.“ Havel hat fünf Jahre in ungemütlichem kommunistischen Gewahrsam zugebracht, wo seine Gesundheit ruiniert wurde. Seine späteren häufigen Lungenkrankheiten nahmen dort ihren Anfang. Und der Altpräsident weiter: „Für sie ist es wie ein Märchen, dass ein solcher Mann dann für seine unbeugsame Haltung belohnt und Präsident wird.“ Bei solchen Aussagen lächelt Havel gern, nicht nur verlegen, sondern auch verschmitzt.Keine zwei Monate war er tschechoslowakischer Präsident, als Havel im Februar 1990 vor dem amerikanischen Kongress sprach. Seine Rede war keine der üblichen politischen Reden, wie sie die Kongressabgeordneten schon mehrfach von ausländischen Staatsmännern gehört hatten. Da sprach kein gelernter Politiker zu ihnen, sondern ein Dichter und Philosoph. Havel reflektierte damals die „sonderbare Entwicklung“, die ihn kurz nach seiner Inhaftierung zum Helden der „Samtrevolution“ 1989 werden ließ. Das Wort „Held“ wäre ihm dabei freilich nicht in den Sinn gekommen. Das verbot ihm seine Bescheidenheit. Er sprach über die rasende Geschwindigkeit, mit der sich die Welt seinerzeit veränderte. Er warb bei den Amerikanern dafür, den Wandel in der Sowjetunion zu unterstützen. „Die Maske (in Moskau) fiel so schnell, dass wir ...nicht einmal Zeit hatten, uns zu wundern. ... Metaphorisch gesagt: Die Millionen, die ihr jetzt im Osten ausgebt, kehren alsbald wieder zurück als eingesparte Millionen.“Und Havel dankte den Amerikanern dafür, dass sie immer einsprangen, wenn es in Europa etwas zu retten gab. Europa müsse sich als Schuldner fühlen. „Es bleibt zu hoffen, dass früher oder später eure jungen Männer nicht mehr Europas Freiheit verteidigen und gelegentlich retten müssen, weil Europa endlich in der Lage sein wird, diese zu schützen.“ Auf sein eigenes Land bezogen, fügte Havel hinzu: „Die Tschechoslowakei hat sich jahrelang – indem sie ein bedeutungsloser Satellit war – aus ihrer Mitverantwortung für die Welt davongestohlen. Deshalb hat sie jetzt viel nachzuholen.“ Vielen Kongressabgeordneten traten bei dieser Rede die Tränen in die Augen.Havel hat in den Folgejahren den Worten von 1990 Taten folgen lassen und mitunter auch Entscheidungen getroffen, die ihm nicht leicht gefallen sein mögen und die seine Landsleute nicht verstanden. Kaum etwa war Tschechien Mitglied der Nato geworden, als es sich dazu bekennen musste, dass Bomben auf das Belgrad von Milosevic fielen. Havel hat dem ohne Wenn und Aber zugestimmt. Was das bedeutete, zeigt eine Begebenheit aus der jüngsten Vergangenheit: Als sich der Jahrestag der Bombardierung am 24. März zum zehnten Mal jährte, erhob sich das tschechische Parlament auf Antrag der orthodoxen Kommunisten zu einer Schweigeminute – für die jugoslawischen Opfer. Später, kurz vor seinem Ausscheiden aus dem Amt, hatte Havel mit anderen Mittel-Osteuropäern dem Eingreifen der Amerikaner im Irak zugestimmt. Der damalige US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld erfand seinerzeit das Wort vom „neuen Europa“. Ein Wort, das Havel gefallen hat. Als Tscheche trägt auch er das Trauma der westlichen Appeasement-Politik mit sich herum. Jenes Kurses, mit dem die damaligen Westmächte mit leichter Hand Hitler sein eigenes Heimatland opferten, um selbst noch eine Atempause zu bekommen. Wenn der Präsident in Interviews auf diese Zeit angesprochen wurde, verdunkelte sich seine Stirn. Er – wie seine Landsleute – haben diese Zeit bis heute nicht verwunden. Und diese Erinnerung an die Zeit Ende der 1930er Jahre ist es, die sie so europasketisch und pro-amerikanisch macht – mehr als andere Mittelosteuropäer.Es war kein Wunder, dass zum ersten Jahrestag der „Samtrevolution“ George Bush nach Prag kam. Bush senior wollte den Tschechen und Slowaken seinen Dank für ihren Mut überbringen, den Kommunismus beseitigt zu haben. Bevor Bushs Nachfolger Bill Clinton 1994 Prag besuchte, hatte er lange überlegt. Polen war und ist bis heute strategisch für die Amerikaner von größerem Gewicht. „Clinton entschied sich für Prag ausschließlich wegen Havel“, sagt im Rückblick Havels langjähriger Sprecher Ladislav Spacek. Und Havel sparte weder Kosten noch Mühe, um Clinton den Aufenthalt an der Moldau so schön wie möglich zu gestalten. Höhepunkt war ein Konzert im berühmtesten Jazz-Club Prags, der Reduta, wo Clinton höchstselbst Saxophon spielte. Havel trommelte dazu. Clinton hat später drei Männer genannt, die ihn in seinem politischen Leben wirklich zu beeindrucken vermochten: Mahatma Ghandi, Nelson Mandela und eben Vaclav Havel.Als Clintons Nachfolger George W. Bush 2002 zum ersten Nato-Gipfel nach Prag, also in ein früheres „Ostblockland“, kam, fand er mit Havel einen Partner, der nicht zögerte, der „Koalition der Freiwilligen“ im Kampf gegen Saddam Hussein beizutreten. Auf diesem Nato-Gipfel verabschiedeten sich die Staats- und Regierungschefs der Allianz zugleich von dem tschechischen Präsidenten. Mit Lobeshymnen, die den Geehrten einmal mehr typisch verlegen und auch ein bisschen amüsiert machten. Als George W. Bush 2007 noch einmal nach Prag kam, tat er dies ein zweiter Linie wegen Havel. In erster Linie wollte er Werbung machen für den amerikanischen Raketenschutzschild gegen „Schurkenstaaten“, für den in Tschechien eine Radarstation errichtet werden soll. Aber selbstverständlich traf der amerikanische Präsident bei dieser Gelegenheit auch den Altpräsidenten: „Ich freue mich, einen guten Freund zu sehen“, sagte Bush seinerzeit. Live im amerikanischen Fernsehen, zur besten Sendezeit. Jetzt also Obama. Er wird Havel auch am späten Nachmittag europäischer Sommerzeit begegnen. In Amerika wird es da Vormittag sein. Gute Zeit für gute Einschaltquoten. Vor einer Traumkulisse für Amerikaner. Mit der bezaubernden Prager Burg über der Moldau im Hintergrund. Aber es sind nicht nur die Sendezeit und die Kulisse, die das Treffen Obamas mit Havel so interessant machen. Da kommt jemand aus Übersee, der in der Tat Respekt bezeugen will für einen Mann, der sich in den USA Hochachtung erworben hat. Und das ganz abseits vom Gipfel-Getümmel dieser Tage. Havel ist schließlich Präsident außer Dienst. Aber er ist und wird bis an sein Lebensende für die Amerikaner eine der wenigen Ikonen auf dem alten Kontinent bleiben.Hans-Jörg Schmidt
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