Slowakei

Ende der postkommunistischen Ära?

Die Slowaken sind am Samstag zur Stichwahl um das Präsidentenamt aufgerufen

(n-ost) – Sie haben ihren politischen Zenit längst überschritten, die Männer auf den Präsidentensesseln in den Staaten Mittelosteuropa. Gut möglich, dass jetzt eine Frau in der Slowakei das Ende der Staatsoberhäupter einläutet, die mit der postkommunistischen Transformation in dieser Region verbunden sind. Iveta Radicova, eine 52-jährige Soziologie-Professorin, macht sich daran, Amtsinhaber Ivan Gasparovic (67) aus dem Präsidentenpalais in Bratislava (Pressburg) zu verdrängen. Beider Chancen stehen 50 zu 50.Gasparovic, der vom ebenso populistischen wie populären Regierungschef Robert Fico und der rechtsextremen Nationalpartei unterstützt wird, hatte Radicova in der ersten Runde der Wahlen vor zwei Wochen nur um etwa acht Prozentpunkte hinter sich lassen können. Radicovas gutes Ergebnis galt als kleine Sensation, stützt sie sich doch auf die bürgerliche Opposition, die den Slowaken in ihren Regierungszeiten einst harte Reformen auferlegte und dafür abgewählt wurde. Doch Radicova hat vor allem mit ihrer eigenen Person gepunktet.Die oppositionelle liberale Kandidatin überzeugte in erster Linie in den Fernsehduellen mit Gasparovic. Sie wirkte selbst noch im härtesten Wortgefecht charmant, überlegt und unaufgeregt.  Gasparovic konnte ihr in keinem der Duelle annähernd das Wasser reichen. Dem Präsidenten nutze es auch nicht, dass er und seine Befürworter aus dem Regierungslager versuchten, die „ungarische Karte“ vor dem Stichwahlgang zu ziehen. Radicova hatte bei der etwa zehnprozentigen nationalen Minderheit der Ungarn herausragende Werte bekommen; bis zu 88 Prozent der Wähler dort votierten für sie. Namentlich die rechtsextreme Nationalpartei versuchte daraufhin, damit Stimmung unter den Slowaken gegen Radicova zu machen. „Es wäre eine Tragödie, wenn die ungarische Minderheit über den slowakischen Präsidenten entscheiden würde“, erklärte Parteichef Jan Slota. Die Partei scheute sich nicht, die Slowaken mit einem Flugblatt zu erschrecken, auf dem behauptet wurde, Radicova verspreche der ungarischen Minderheit Autonomie und die Rücknahme der Benes-Dekrete, auf deren Grundlage nach dem Zweiten Weltkrieg auch zehntausende Ungarn um ihr Hab und Gut gebracht worden waren. Radicova hat derartiges nie auch nur im Ansatz gesagt. Gasparovic argumentierte, Radicova habe als erste die „ungarische Karte“ gezogen – weil die Minderheit überwältigend für sie gestimmt habe. Ob sich diese Propaganda verfängt, wird sich am Samstag zeigen. Das slowakisch-ungarische Verhältnis ist fragil und erstreckt sich auch auf die ungarische Minderheit in der Slowakei. Radicova betonte in den TV-Duellen etwas ganz anderes: „Die ungarische Minderheit hat überhaupt kein politisches Problem mit den Slowaken. In ihrem Siedlungsgebiet gibt es aber große soziale Probleme, für die sich ein slowakisches Staatsoberhaupt zu interessieren hat.“ Gasparovics Wettern gegen die Minderheit machte auch deshalb wenig Sinn, weil er sich als „Präsident aller Slowaken“ zu präsentieren versuchte. Doch zu „allen Slowaken“, so Zeitungskommentatoren, gehört nun mal auch die ungarische Minderheit.Ein weiteres Argument von Gasparovic war, dass Radicova angeblich einen von Tschechien unabhängigen slowakischen Staat Anfang der 1990er Jahre abgelehnt habe. Radicova bekannte sich in ihrer Antwort dazu, sich als „Tschechoslowakin“ gefühlt und sich – wie viele ihrer Landsleute – Sorgen um die Lebensfähigkeit einer unabhängigen Slowakei gemacht zu haben. Im übrigen hätten seinerzeit nur die Nationalisten offen die Trennung von Prag befürwortet.Radicova hat dann eine Chance gegen Gasparovic, wenn sie die Wähler auf sich ziehen kann, die in der ersten Runde für unterlegene andere bürgerliche Kandidaten gestimmt hatten. Zudem muss sie im Lager der größten Regierungspartei Smer von Premier Fico „wildern“. Sollte ihr das dieses Mal nicht gelingen, dürfte ihre Stunde spätestens in fünf Jahren schlagen, wenn erneut eine Präsidentenwahl ansteht. Womöglich, so sagen die meisten unabhängigen Beobachter, käme ihre Wahl für die Slowakei derzeit noch zu früh. Dann aber gehöre ihr in jedem Fall die Zukunft.Hans-Jörg Schmidt
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