Prags EU-Vorsitz wird zur Farce
Tschechien soll rasch Beamtenregierung bekommen(n-ost) – Die Protagonisten an der Moldau standen zwischen Baum und Borke: Nach der Abwahl der Mitte-Rechts-Regierung von Premier Mirek Topolanek machte Präsident Vaclav Klaus Druck. Sollten sich die Parteien im Parlament nicht auf das weitere Vorgehen einigen können, werde er einen Premier seiner Wahl durchsetzen. Um Klaus nicht vollends das Heft des Handelns zu überlassen, fanden Topolanek und der sozialdemokratische Oppositionschef Jiri Paroubek einen Weg: So schnell wie möglich soll eine Beamtenregierung gebildet werden, die das Land zu vorgezogenen Parlamentswahlen im Oktober führen soll. Doch damit kann Topolanek nur noch bis Ende April geschäftsführend regieren und auch die derzeitige EU-Ratspräsidentschaft nicht beenden. Europa muss sich dann für ein paar Monate an neue tschechische Gesichter gewöhnen, die es bislang nicht kennt. Nach der Wahl 2006 hatten Topolanek und Paroubek nie zueinander gefunden. Grundsätzliche ideologische Unterschiede paarten sich mit einer persönlichen Animosität. Paroubek hat nie verwunden, dass ihm Topolanek zwei sozialdemokratische Abgeordnete abspenstig gemacht und so seine Regierung gebildet hatte. Viermal versuchte Paroubek, diese Regierung zu stürzen, beim fünften Mal glückte es ihm. Topolanek sah den eigentlichen Strippenzieher seiner Abwahl aber eher auf der Prager Burg. Präsident Klaus störte sich vor allem am Eintreten Topolaneks für den EU-Reformvertrag von Lissabon. Jetzt, nach dem Sturz Topolaneks, bestand die Gefahr, dass Klaus einen ebenso Lissabon-kritischen Premier installieren könnte. Um dies zu durchkreuzen, setzte er sich mit dem ungeliebten Paroubek an einen Tisch. Zwei Sitzungen genügten, um zu einer Grundsatzeinigung zu kommen: Beide Parteien werden jeweils acht Fachleute für einen Beamtenregierung benennen, die so schnell wie möglich ihre Arbeit aufnehmen soll. Um den 20. Oktober soll dann ein neues Parlament gewählt werden. Topolaneks Regierung, die derzeit geschäftsführend agiert, soll bis Ende April endgültig aus dem Amt scheiden. Topolanek will vorher noch seinen Einfluss geltend machen, damit der Lissabon-Vertrag noch in diesem Monat von der zweiten Parlamentskammer, dem Senat, gebilligt wird. Ob ihm das gelingt, steht allerdings in den Sternen. Und selbst wenn es gelingen sollte – der Vertrag braucht dann noch die Unterschrift von Vaclav Klaus. Und die gilt als völlig unsicher.Die Verhandlungen wurden vorwiegend unter rein innenpolitischen Erwägungen geführt. In Folge dessen macht ist dem jetzigen Zeitplan erforderlich, die gesamte Führungsmannschaft für die bis Ende Juni laufende tschechische EU-Ratspräsidentschaft auszutauschen. Paroubek hatte ursprünglich dafür plädiert, dass Topolanek den Vorsitz zu Ende führt. Der Druck von Klaus aber verhinderte das. Der Präsident kann sich so zumindest in einem Punkt als Sieger des Machtkampfes fühlen: Tschechiens EU-Präsidentschaft wird in den letzten beiden Monaten kaum noch etwas ausrichten können. Klaus hatte ihr eh keine Bedeutung eingeräumt. In Wahrheit, so sagte er, würden in der Union sowieso nur die großen Länder entscheiden. Die tschechischen Kommentatoren sehen das anders. Die „Mlada fronta dnes“, auflagenstärkste Prager Qualitätszeitung, schrieb am Mittwoch: „Wir überschätzen die Präsidentschaft keineswegs, aber sie ist auch nicht nur eine reine Formalität. Wenn Topolanek, der für die EU zuständige Vizepremier Vondra und Außenminister Schwarzenberg jetzt von unbekannten Fachleuten abgelöst werden sollen, dann gerät die Ratspräsidentschaft zur peinlichen Komödie.“ Hans-Jörg Schmidt
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