Gegenwind für „Viktator“ Orban
„Viktator, Viktator“ skandieren die Demonstranten vor der Budapester Oper in Anspielung auf den Vornamen des ungarischen Premiers – und seinen Regierungsstil. Ein distinguierter Bärtiger mit Hut und rotem Schal hält ein Transparent in die Höhe: „Nein“ zeigen die roten Leuchtdioden darauf an. „Diese Orban-Regierung will nur eins“, sagt er, „auf Dauer an der Macht bleiben“. Szenen auf dem Prachtboulevard Andrassy ut zu Jahresanfang, als Video gepostet auf dem linksliberalen Newsportal Stop.hu.
Drinnen in der Oper feiert das Regime sich selbst und die neue Verfassung, die ihm quasi unumschränkte Vollmachten gibt. Die Unabhängigkeit von Notenbank und Justiz ist mit dem neuen Grundgesetz beendet. Sie sind Instrumente in der Hand des nationalkonservativen Regierungschefs Viktor Orban, der mit Zweidrittelmehrheit im Parlament Ungarn nach seinem Gusto umkrempelt. Die Medien hatte er schon 2011 mit einem umstrittenen Mediengesetz an die Kandarre genommen. Doch endlich scheint die EU nun zu reagieren. Und auch Ungarns Zivilgesellschaft steht auf.
„Anfang, der Hoffnung gibt“
Besonders schwer im Magen liegt dem konservativen EU-Kommissionspräsident Barroso der Frontalangriff auf die Unabhängigkeit der Notenbank. Am kommenden Donnerstag beginnen inoffizielle Vorgespräche Ungarns mit dem IWF in Washington. Nach heftigem Konfrontationskurs gegen EU und IWF ist die national-konservative Regierung Orban nun auf Hilfen angewiesen. Dem Nicht-Euro-Mitglied droht eine Staatspleite, mehrere Ratingagenturen stuften das Land in den vergangenen Wochen auf Ramsch-Niveau herunter. Einen Termin für offizielle Verhandlungen nennen EU und IWF derzeit aber nicht, da die EU die Einleitung von Verfahren prüft – wegen Verletzung der EU-Verträge.
Unterdessen wächst auch im Land selbst der Unmut. Nach jüngsten Umfragen sind zwei Drittel der Ungarn von der Politik so enttäuscht, dass sie entweder gar nicht mehr oder die Rechtsextremen wählen wollen. Die Demonstrationen in Budapest vor der Oper und am Nationalfeiertag im Oktober seien vor diesem Hintergrund erst der „Anfang, der aber Hoffnung gibt“, sagt Marco Schicker, Chefredakteur der deutschsprachigen Online-Zeitung „Pester Lloyd“.
Opposition fehlt Führungsfigur
„Das ist noch keine Anti-Orban-Koalition“, meint auch Tamas Szekely, der im Vorstand der gewerkschaftsübergreifenden Organisation „Szolidaritas“ ist – in Schriftzug und Programmatik der polnischen Solidarnosc-Bewegung entlehnt. Wie Schicker bemängelt er fehlende alternative Führungsfiguren, dennoch: „Wenn es ein gemeinsames Ziel gebe, dann könnten Parteien und Zivilgesellschaft gemeinsam etwas auf die Beine stellen“, meint er. Etwas wie die „Ölbaum-Bewegung“ in Italien – ein Bündnis verschiedener Parteien und Organisationen – mit einem Spitzenkandidaten müsse entstehen. Dieser könne jedoch nicht der ehemalige sozialistische Premier Ferenc Gyurcsany sein, der mit der Demokratischen Allianz eine neue Partei gegründet hat. Wegen der vielen Korruptionsskandale der Sozialisten genießt Gyurcsany kaum noch Vertrauen in der Bevölkerung. So vermutet auch der Journalist Schicker, dass das System Orban langfristig eher „an sich selbst kollabieren wird, als an der Opposition“.
Verfahren wäre Premiere in der EU
Er könnte damit Recht behalten, vor allem, wenn die EU tatsächlich ein Verfahren gegen Ungarn anstrengen sollte. „Mit der neuen Verfassung hat Ungarn die europäischen Grundwerte in Gefahr gebracht“, meint Ulrike Lunacek, Europa-Abgeordnete der österreichischen Grünen. Sie fordert deshalb, das Europaparlament müsse ein „Grundwerte-Verfahren“ gegen Ungarn einleiten. Ähnlich sehen das auch Sozialdemokraten und Liberale. Am kommenden Mittwoch werden sich die EU-Kommissare damit befassen.
Ein Verfahren wäre eine Premiere in der EU, denn noch nie ist Artikel 7 des EU-Vertrages angewendet worden. Der sieht Sanktionen vor, wenn Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in einem Mitgliedstaat in Gefahr sind. Sollten die europäischen Gremien Ungarn die rote Karte via Artikel 7 zeigen, dann hätte das weitreichende Folgen, betont Grünen-Politikerin Lunacek: „Dann dürfte weder Orban noch ein Mitglied seiner Regierung über EU-Richtlinien abstimmen. Er müsste sie aber umsetzen.“