Kulturhauptstadt 2010 – Pécs, Pech und Politik
Viel Glas, moderne Holztäfelungen, viele Galerien und Stuhlreihen für 1000 Besucher: Das neue Konzert- und Konferenzzentrum in der südwestungarischen Stadt Pécs ist ein moderner, futuristisch anmutender Flachbau – der Philharmonie in Berlin nachempfunden. Doch bislang gibt es den 20-Millionen-Euro-Bau nur als Computeranimation. Dort, wo das Zentrum stehen soll, ist bisher nichts weiter zu sehen als eine Brache. Doch spätestens 2010, wenn Pécs zusammen mit Istanbul und Essen europäische Kulturhauptstadt ist, muss es fertig sein. Ein weiterer Baugrund in der Nachbarschaft – bislang nur planierte Erde – soll die künftige Adresse der südwest-ungarischen Regionalbibliothek sein.Das Viertel, in dem diese Brachen liegen, befindet sich am Rande der Altstadt von Pécs. Ein paar Pensionen säumen die Zollhof-Straße. Die Leute, die dort unterwegs sind, haben nicht sehr viel Geld im Portmonee. Nach 1989 sind die Bergwerke der Region und die meisten Unternehmen zusammengebrochen. Tausende Menschen wurden arbeitslos. Die Hoffnung vieler: dass die Kulturhauptstadt 2010 mehr als die üblichen 300.000 Besucher pro Jahr und damit Geld in die Stadt bringt.Die Baustelle für den großen Konzertsaal ist noch immer eine Brache. Foto: Stephan Ozsváth„Es wäre schön, wenn wir 2010 eine halbe Million Besucher anziehen könnten“, sagt István Komor. Der 53-Jährige leitet das „Zsolnay Kulturerbe“. Von seinem Büro aus kann er das Gelände der altehrwürdigen Porzellan-Manufaktur Zsolnay überblicken: alte Werkshallen, einen etwas verwilderten Park, die Produktionsstätten mit der Porzellanfassade im Sezessionsstil. Fünf der sieben Hektar Werksgelände sollen zum „Zsolnay-Kulturviertel“ umgebaut werden. „Wir stellen uns hier so eine Art Kultur-Plaza vor“, sagt Komor. Mit Künstlerwerkstätten, Platz für Medienunternehmen, Proberäumen für den Uni-Chor, Jugendzentrum, Parkhaus, Büros. Mit 37 Millionen Euro Baukosten ist das „Zsolnay-Kulturviertel“ das größte und teuerste der Schlüsselprojekte im Rahmen der Kulturhauptstadt 2010.„Zsolnay ist ein Stück Pécs“, sagt István Babanovics. Und es ist auch ein Stück von ihm. Der Ingenieur arbeitet seit 50 Jahren für Zsolnay, er hat die Firma während des Sozialismus erlebt und während der Zeit der Massenentlassungen. „Früher gehörte das alles der Familie Zsolnay, sie wohnte und arbeitete hier“, erzählt er. Heute gehört die Porzellanfabrik zur Hälfte der Stadt. Die sozialistischen Stadtväter möchten ihren Anteil gerne verkaufen, um ihre klamme Stadtkasse zu entlasten, die Opposition ist dagegen. Das Unternehmen macht Schulden, die Aufträge sind wegen der Konkurrenz aus Fernost um die Hälfte zurückgegangen. Heute arbeiten noch rund 250 Menschen für die Manufaktur, in der örtlichen Presse ist schon von geplanten Entlassungen die Rede.Vor den Augen der Organisatoren des Kulturhauptstadt-Jahres entsteht indes neues Leben auf dem Gelände von Zsolnay. István Babanovics deutet auf ein Gebäude mit kaputten Scheiben, durch die der kalte Wind vom Mecsek-Gebirge pfeift. „Hier soll das Bóbita-Puppentheater einziehen“, sagt der 68-Jährige. In den verwitterten Lagerhäusern, in denen ein paar Arbeiter unterwegs sind, sollen Künstler aus Pécs ein neues Zuhause finden – Filmemacher, Architekten. Doch das Viertel wird „mit viel Glück im Frühjahr 2010 fertig“, sagt der 53-Jährige István Komor.Die pünktliche Eröffnung des Viertels wäre gut für die Touristenwerbung gewesen, sagt Komor. Die Stadtväter und Kulturhauptstadt-Manager wiegeln ab. „Die Kulturhauptstadt ist nur der Startpunkt für eine regionale Entwicklung,“ sagt Csaba Ruzsa, der Geschäftsführer der 2010-Management-Zentrale. Die Kulturhauptstadt werde viel Geld nach Pécs bringen. Zugleich räumt Ruzsa ein, dass die Leute sehen wollten, dass etwas auf den Großbaustellen passiert. Ein konkretes Kulturprogramm für 2010 hat er noch nicht. Und was am 1. Januar 2010 passieren wird, weiß er ebenso wenig.„Es wird ein großer Zirkus, mehr nicht“, glaubt Gábor Csordás, der Herausgeber der wichtigen Literaturzeitschrift „Jelenkor“, der 2005 auf der Leipziger Buchmesse den Preis für Europäische Verständigung bekommen hat. Csordás hat an der Bewerbung für die Kulturhauptstadt mitgeschrieben. Heute beklagt er, dass die Bewerbung mit großen Investitionen verbunden ist. „Man hätte im Voraus wissen müssen, dass das für Pécs eine Nummer zu groß wird.“ Auch József Takáts ist sauer. Der Literaturprofessor hat die Bewerbung geschrieben, er war der Chefstratege. Aber er gab sehr schnell wegen Differenzen mit Politikern auf. „Ich wollte unabhängige Fachleute, die per Ausschreibung gesucht werden sollten. Die Politik wollte das nicht“, erzählt er. Der damalige Kulturstadtrat warf ihm vor, „westliche Methoden in Osteuropa einführen zu wollen“.Csaba Ruzsa, der Geschäftsführer der Management-Zentrale für die Kulturhauptstadt 2010. Foto: Stephan OzsváthDie Probleme hätten angefangen, als die Politik das Thema für sich entdeckte, bilanziert der Publizist Károly Méhes. Er entdeckt hinter dem Gebaren der Stadtväter eine Haltung, die früher verbreitet war: „Die Partei kontrolliert alles und die Funktionäre haben das letzte Wort. Die sozialistische Stadtregierung sagte: Wir geben das Geld, also sagen wir, was gut ist für das Volk.“ Auf diese Weise wurden beispielsweise die Stellen im Organisationskomitee besetzt. Das Personalkarussell drehte sich immer schneller. Mehr als ein halbes Dutzend führende Köpfe verließen inzwischen das Management wieder.József Takáts war der erste, der ging. Der Bruder des Publizisten Méhes flog nach einem halben Jahr künstlerischer Leitung raus. Dann kam der Tabak-Lobbyist András Mészáros. „Er hatte keine Erfahrungen mit Kunst und keine Kontakte zu Künstlern“, sagt Károly Méhes. Niemand habe mit ihm zusammen arbeiten wollen – und umgekehrt. Ende 2008 wurde Mészáros gefeuert – angeblich wegen schlechter Kommunikation, zu hoher Telefonrechnungen und mangelnder Sponsorenwerbung. Er klagt mittlerweile, um sein Gehalt von rund 5000 Euro weiter zu beziehen.Seit Ende 2008 ist Csaba Ruzsa nun Geschäftsführer des Organisationskomitees und versucht, Optimismus zu verbreiten. „Pécs ist hungrig. Pécs will die Kulturhauptstadt.“ Solche Sätze hört man von ihm. Ganz anders sehen es die Pécser. Mária Tarr, 53-jährige Galeriebesitzerin, echauffiert sich. „Die haben hier einfach keinen Stil“, sagt sie. Sie sei abgeblitzt mit ihrer Idee einer Künstlerwerkstatt, obwohl sie die Räume und eine Sammlung hätte. Der Berliner Rechtsanwalt und Winzer Horst Hummel plante eine Lichtinstallation in den nahe gelegenen Weinbergen von Villány ist ebenso gescheitert. Kein Interesse. „Es war alles schon fertig. Der Künstler war bereit. Wir wollten mit den Vorbereitungen beginnen“, erzählt Hummel.„Es gibt viele Probleme“, sagt Magdolna Hollmann vom Ungarischen Rechnungshof, der das Projekt untersucht. Eines scheint bereits sicher zu sein: Es wird teurer als geplant. „Wir wissen aber noch nicht, um wieviel“, sagt Csaba Ruzsa und erklärt: „Viele Baufirmen warten mit ihren Angeboten ab, bis der Forint für sie günstig steht.“ Für die Ausrichter ist das schlecht. Denn die rund 100 Millionen Euro, die sich aus EU-Geldern sowie einer fünfprozentigen Kofinanzierung der Stadt Pécs und einem zehnprozentigen Zuschuss Ungarns zusammensetzen, fließen nicht in Euro, sondern in Forint in die Kassen der Organisatoren. Die Wirtschaftskrise verschärft die Lage. „Ein Bauunternehmer muss jetzt anfangen zu bauen – mithilfe eines Kredits. Erst dann bekommt er die ersten Mittel aus den Projektgeldern“, erklärt die oppositionelle Politikerin Mária Révész. „Welcher Unternehmer kann sich das heute leisten?“Zu dem Gezerre um Posten, Konzepte und Geld kommt das derzeitige politische Vakuum in der 170.000-Einwohner-Stadt Pécs. 2006 hatte der sozialistische Bürgermeister László Toller einen schweren Autounfall. Seitdem liegt er im Koma. Sein Nachfolger Péter Tasnádi, der aus der Regionalregierung kam war nur ein Jahr im Amt und verstarb Anfang des Jahres an Krebs. „Bis zu den Bürgermeisterwahlen im Mai wird alles vom Wahlkampf überschattet. Wir verlieren weiter kostbare Zeit“, schimpft die Fidesz-Stadtverordnete Mária Révész.„Ob ein schlechter Bürgermeister oder gar kein Bürgermeister, das ist jetzt auch egal“, meint indes der ehemalige Chef-Stratege József Takáts. Es sei zu spät, das Ruder noch herumzureißen. Die Fidesz-Politikerin Révész sagt: „Wir brauchen eigentlich einen Plan B“. Nur so könnten Gelder noch umgeleitet werden. Doch den gebe es nicht. Die Politikerin sieht vor allem eins auf Pécs zukommen: einen großen Schuldenberg. „Es hätte eine große Chance werden können“, sagt der Publizist Károly Méhes und fügt bitter lachend hinzu: „Pécs bleibt einfach nur Pécs“.