Die Leiden des Milan Kundera
Dem tschecho-französischen Schriftsteller Milan Kundera zum 80. Geburtstag (n-ost) – Milan Kundera wurde am 1. April 1929 in Brünn als Tscheche geboren, sterben wird er sehr wahrscheinlich als Franzose. Der berühmteste lebende Schriftsteller Tschechiens ist ein Vertriebener, ein Geflohener. Zweimal ging ihm die Heimat verloren: geografisch, als er die Tschechoslowakei verließ, und politisch, als er sich vom Kommunismus abwandte. 1975 kehrt Kundera der CSSR den Rücken – mit seiner Frau Vera verlässt er in einem Renault 5 voller Bücher und Desillusionen Prag, um an der französischen Universität Rennes Vergleichende Literaturwissenschaft zu lehren. „Zu meiner großen Überraschung war ich in meinem Exil seit der ersten Minute glücklich“, hat Kundera einmal gesagt. Zusammenhänge zwischen Biografie und Werk hat er stets verneint, dabei sind die Bezüge in vielen seiner Schriften offenkundig: Da sind der Gehirnchirurg Tomáš und die Serviererin Tereza, die Protagonisten seines erfolgreichsten Romanes „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“ (1984), der ihn international bekannt gemacht hat. Das Paar ist nach dem Ende des Prager Frühlings in die Schweiz emigriert. Da er aber auch dort seine Libido nicht zügeln kann, kehrt sie enttäuscht zurück in die okkupierte Heimat. Tomáš folgt ihr und gerät schnell mit der neuen Parteilinie in Konflikt: Er will einen systemkritischen Artikel nicht widerrufen, wird zum Fensterputzer degradiert.Auch Kundera steht nach 1968 mit dem Regime auf Kriegsfuß. Parteieintritt und -ausschluss hat er damals schon hinter sich: Bereits als Abiturient wird er Mitglied der Kommunistischen Partei. 1950 fliegt er raus – wegen „feindlichen Denkens und individualistischer Neigungen“. Die Genossen verzeihen ihm. Der überzeugte Kommunist bekommt das rote Parteibuch zurück und schreibt bis in die 1960er Jahre recht linienkonforme, viel beachtete Essays über Avantgarde-Poesie.Der Prager Literaturprofessor Jiri Pelan erinnert sich: „In den fünfziger Jahren war Milan Kundera ein junger Dichter, ein Parteimitglied, das in seinen Werken den Sozialismus feierte. Seine Wende, das hat man im Westen vergessen, kam erst mit den Jahren, mit dem Prager Frühling und mit dessen Niederschlagung.“ Tatsächlich beginnt Kundera erst zwischen 1958 und 1968 die Verhältnisse zu kritisieren, er demaskiert Begriffe wie Wahrheit und Lüge, Glaubwürdigkeit und Täuschung in „Das Buch der lächerlichen Liebe“. In sieben Kurzgeschichten erzählt er von Paaren, die erkennen, wie absurd ihre Beziehungen sind. Später bezeichnete er das Werk als sein erstes „erwachsenes“. Gereift fordert der Autor künstlerische Freiheit und wird zu einem führenden Kopf des Prager Frühlings. Der blutige Einmarsch beendet jedoch die Liberalisierung, Kunderas Universitätskarriere und Parteimitgliedschaft. Seine Bücher werden aus den Bibliotheken verbannt, neue Werke nicht mehr verlegt. Kundera aber schreibt weiter, rechnet in dem 1973 in Paris erschienenen Werk „Das Leben ist anderswo“ auch mit seiner eigenen kommunistischen Vergangenheit ab – allerdings nicht ohne melancholische Töne. Er erzählt vom Weltverbesserer und Muttersöhnchen Jaromil, der zum Starpoeten und 1968 zum Handlanger der Kommunisten wird: Er verrät seine Geliebte an die Geheimpolizei und sieht darin den letzten Schritt zum Revolutionär. Der Roman klingt wie das Dokument eines Augenzeugen. Ist er das? Oder ist er gar mehr? Im Oktober 2008 präsentierte der Historiker Adam Hradilek Dokumente, die angeblich belegen, dass Kundera im Jahre 1950 einen antikommunistischen Aktivisten bei der Polizei angezeigt hat. Miroslav Dvoracek verbrachte 14 Jahre als Zwangsarbeiter im Uranbergbau. Kundera, der heute in Paris lebt und seit Jahren keine Interviews mehr gibt, äußert sich – und leugnet. Es gibt entlastende Aussagen und belastende Indizien.Dieser Vorwurf wird fortan den Blick auf sein Werk prägen. Das Thema Verrat spielte bei Kundera neben der Liebe tatsächlich eine bedeutende Rolle: schon in seinem Gedicht „Der letzte Mai“ (1955) oder seinem ersten Roman „Der Scherz“ (1967). Das Buch geißelt auch Anpassung, Vorverurteilung und den totalitären Kampf des Regimes gegen die Wünsche und Hoffnungen seiner Bürger, gegen jegliche Individualität. Es ist die Geschichte des Studenten Ludvik, der eine ironische Postkarte schreibt, verraten und in die Kohleminen geschickt wird. Gesteht darin Kundera also die eigene Denunziation? Möglich.Sicher ist, dass der Tscheche Kundera selbst Wunden davongetragen hat, die nie verheilt sind. Im Schlusswort zu „Die Unsterblichkeit“ (1990) gesteht der Franzose Kundera nicht nur unermessliche Freude über das Ende der sowjetischen Okkupation, sondern auch Melancholie: Für ihn kam die Veränderung zu spät, als dass er noch einmal hätte sein Leben umstürzen und sein Zuhause wechseln können und wollen. Diese Trauer setzt sich fort in seinem vorerst letzten Roman „Die Unwissenheit“ (2000). Es ist auch eine Geschichte über die Unmöglichkeit, zu seinen Wurzeln zurückzukehren.Barbara Breuer
ENDE
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