Zum Feind geflüchtet
Die russische Militärstaatsanwaltschaft hat gegen einen im Januar in Süd-Ossetien auf die georgische Seite geflüchteten russischen Soldaten ein Strafverfahren wegen Fahnenflucht eingeleitet. Demnächst werde man in Tiflis um die Rückführung des Soldaten Aleksandr Gluchow ersuchen, hieß es in Moskau. Dort wurde bisher immer behauptet, Gluchow sei vom georgischen Geheimdienst aus seiner Einheit entführt und „psychisch bearbeitet“ worden. Auf Fahnenflucht steht in Russland eine Haftstrafe von sieben Jahren.
Der 21-jährige Gluchow war Wehrpflichtiger und leistete seinen Dienst im Achalgor-Bezirk in Süd-Ossetien. Nach seiner Flucht, die er mit der schlechter Behandlung durch die Vorgesetzten begründet hatte, ist Gluchow nicht nur in Georgien, sondern auch in Russland zum Fernsehstar aufgestiegen. Dass russische Fernsehen zeigte ihn in der McDonalds-Filiale von Tiflis, einen Big Mac mampfend.
Der Sprecher des georgischen Innenministeriums, Schota Utiaschwili erklärte gegenüber der Nachrichtenagentur Ria Nowosti, Gluchow habe in Georgien politisches Asyl beantragt. In Tiflis geht es Gluchow offenbar gut, wie die Journalistin Molly Corso in der Internetzeitung Eurasianet berichtet. Dem Bericht zufolge wohnt Gluchow allein in einer Zwei-Zimmer-Wohnung und hat eine georgische Freundin, „die gut Russisch spricht“.
Der Deserteur ist demnach viel beschäftigt: Er treibe Sport, surfe im Internet und lerne die georgische Sprache, erzählte der Fahnenflüchtige der Journalistin. Gluchow erklärte, dass er sich in Tiflis „frei bewegen“ könne. Wenn er irgendwohin wolle, fahre ihn sein Freund Paata, ein Mitarbeiter der georgischen Flüchtlingsverwaltung, überall hin. Gluchow wartet nun auf seine offizielle Anerkennung als Flüchtling.
Wie der Fahnenflüchtige in einem Interview mit Radio „Echo Moskwy“ erklärte, fühle er sich nicht als Verräter, habe aber Angst, nach Moskau zurückzukehren. Für seine Flucht gebe es keine politischen Gründe. Das Dienstverhältnis sei allerdings sehr schlecht gewesen. Der Sprecher des russischen Heeres, Igor Konaschenkow, hatte sich bereits vor einiger Zeit dafür ausgesprochen, dass Gluchow in seine Einheit zurückkehrt und dort seinen Dienst zu Ende führt. In der Einheit gebe es keine Beschwerden gegen den Wehrpflichtigen. Gluchow habe seinen Dienst „ordentlich“ erfüllt.
Dass Gluchow als Wehrpflichtiger in einem Krisengebiet diente, widerspricht den Erklärungen des russischen Verteidigungsministeriums, das schon seit Jahren verkündet, man werde keine Wehrpflichtigen mehr in Krisengebiete schicken. Im Süd-Ossetien-Krieg waren indes viele Wehrpflichtige im Einsatz, weil die russische Armee wegen des geringen Solds große Probleme hat, genügend Zeitsoldaten anzuwerben.
Die russischen Fernsehkommentatoren hatten sich monatelang an dem Erfolg der russischen Armee in Süd-Ossetien berauscht. Innerhalb von ein paar Stunden war es der russischen Luftwaffe und Panzern im August 2008 gelungen, den Angriff der georgischen Armee auf die Stadt Zchinwali zurückzuschlagen. Die georgischen Truppen erlitten eine schwere Niederlage. Russland erkannte Süd-Ossetien als unabhängigen Staat an. Das bedeutete eine schwere Niederlage für den georgischen Präsidenten Michail Saakaschwili, der Süd-Ossetien mit Waffengewalt in das georgische Mutterland zurückholen wollte. Mit der Fahnenflucht von Gluchow wurden die Russen dann plötzlich wieder an die andere, die schmutzige Seite der siegreichen Armee erinnert.
Für russische Menschenrechtler kommt die Flucht von Gluchow nicht überraschend. Eine Delegation von Memorial und den russischen Soldatenmüttern hatte im Dezember 2008 das russische 693. Regiment in Süd-Ossetien besucht und war über die Dienstverhältnisse der Soldaten entsetzt. Die Soldaten lebten in löchrigen Zelten. Die Wehrpflichtigen und Zeitsoldaten berichteten, dass sie nur unregelmäßig mit Nahrungsmitteln versorgt werden und bei den Anwohnern um Hilfe bitten müssen. Es gebe weder einen Arzt noch eine Waschgelegenheit. Einige Soldaten warteten schon seit Monaten auf ihren Sold und viele Soldaten hätten weder Pässe noch Militärausweise. Die hätten ihnen die Vorgesetzten abgenommen, wurde den Menschenrechtlern damals berichtet.