Mit Porzellan aus der Krise
Das grüne Plakat zeigt einen Pinocchio, dessen Nase immer länger wird. Der Slogan lautet: „Erzähl keine Märchen, es ist Krise“. Damit wirbt das Ungarische Demokratische Forum (MDF) an der Nationalstraße 6, die Budapest mit Pécs, der Kulturhauptstadt 2010 verbindet, um Wähler. Schon jetzt bringen sich die ungarischen Parteien für die Parlamentswahlen 2010 in Stellung. Viktor Orbán, Parteichef der größten Oppositionspartei Fidesz (Bürgerbund), predigt auf allen Kanälen, dass er es besser könne als der regierende Sozialist Ferenc Gyurcsány – über das Wie schweigt er sich aus. Gyurcsány behält den Schwarzen Peter: Er muss das Land vor dem Staatsbankrott bewahren.Die ungarische Währung schwächelt seit dem vergangenen Herbst.
Für einen Euro müssen die Ungarn derzeit rund 300 Forint bezahlen. Dadurch sind beispielsweise die Fremdwährungskredite der ungarischen Häuslebauer teurer geworden. „Unsere Kreditrate hat sich von umgerechnet 470 Euro im Monat auf etwa 600 erhöht“, erzählt eine junge Budapester Wohnungsbesitzerin. „Wenn das so weitergeht, müssen wir ausziehen“, sagt sie. Insgesamt schulden die Immobilienbesitzer den Banken rund 7,3 Milliarden Euro.Die Verbindlichkeiten in Schweizer Franken oder japanischen Yen sollen nun auf die Landeswährung Forint umgestellt werden, um die Menschen vor Währungsschwankungen zu schützen. Nach den Plänen der Regierung sollen sich Arbeitslose mit der Rückzahlung der Kreditraten bis zu zwei Jahre Zeit lassen können.
Die Regierung Gyurcsány bürgt dafür. Gleichzeitig setzt sie sich für eine baldige Einführung des Euro ein. Hätte Ungarn bereits jetzt den Euro, sähe die Situation in der Wirtschaftskrise besser aus, ist sich der ungarische EU-Kommissar Péter Balázs sicher. Eigentlich sollten die Ungarn schon 2007 mit dem Zahlungsmittel der Eurozone einkaufen. Doch das neue EU-Mitgliedsland verstieß mehrfach gegen die Maastricht-Kriterien. 2006 lag das Defizit bei fast zehn Prozent.Die Krise trifft Ungarn auch deshalb besonders hart, weil der Staat über seine Verhältnisse lebt. Rentner verfügen zwar über relativ niedrige Einkommen, zahlen aber beispielsweise nichts für Fahrten mit dem öffentlichen Nahverkehr. Auch über eine dreizehnte Rentenzahlung konnten sich die Senioren freuen.
Doch wegen der Krise muss die sozialistische Minderheitsregierung Gyurcsány jetzt auch an den Sozialleistungen sparen. Die 13. Monatsrente soll ab dem kommenden Jahr wegfallen, in diesem Jahr wird sie nicht einmalig ausgezahlt, sondern über das Jahr verteilt, um den Staatshaushalt zu entlasten.Das Renteneintrittsalter soll auf 65 Jahre hochgesetzt werden. Auch die staatlichen Beihilfen, um die steigenden Energiepreise abzufedern, sollen wegfallen. Und für Medikamente müssen die Ungarn künftig tiefer selber in die Tasche greifen.
Um ein milliardenschweres Konjunkturprogramm zu finanzieren, erhöht die Regierung auch die Mehrwertsteuer von 20 auf 23 Prozent. Die Preise werden also weiter steigen. Rentner, die durchschnittlich 200 Euro im Monat in der Tasche haben, werden die Leidtragenden sein.„Ungarn muss sich auf Einschnitte einstellen“, sagt Premier Ferenc Gyurcsány. Mit dem 210 Millionen-Euro-Sparprogramm will er das Haushaltsloch von 650 Millionen Euro kleiner machen und eine große Steuerreform finanzieren, die die Unternehmen begünstigen soll. Außerdem will die Regierung Gyurcsány 20.000 neue Jobs schaffen. Unternehmer sollen bis zu 10 Prozent Steuernachlass bekommen, wenn sie Arbeiter einstellen. Ausfälle durch Kurzarbeit will die Regierung finanziell ausgleichen. Sozialabgaben und Einkommensteuern sollen sinken. Insbesondere kleine und mittlere Unternehmen sollen unterstützt werden, denn drei von vier Ungarn arbeiten in solchen Firmen.
Mit einem Sieben-Milliarden-Euro-Paket wollen die Sozialisten die schwächelnde Bauindustrie unterstützen. Straßen, Wohnungen und Schulen sollen mit dem Geld saniert werden. Um mehr Geld in die Kassen des Fiskus zu spülen, hat die Regierung Gyurcsány der Schwarzarbeit den Kampf angesagt – eines der größten Übel in Ungarn. Beträge über 250.000 Forint (etwa 830 Euro) dürfen nur noch per Banküberweisung ausgezahlt werden. Die Regierung hofft so auf ein jährliches Plus von bis zu 300 Millionen Euro in der Staatskasse. Aber neue Kosten könnten hinzukommen: Denn bereits in den ersten drei Krisenmonaten verloren laut Regierung 20.000 Ungarn ihre Jobs. Die Verlierer sind Ungelernte und Roma.
Das Betriebsgelände der Zsolnay-Porzellan-Manufaktur in Pécs eignet sich bestens für das geplante Künstlerviertel / Stephan Oszváth, n-ost
In der traditionsreichen Zsolnay-Porzellan-Manufaktur in Pécs, der Kulturhauptstadt 2010, wird momentan nur noch halb so viel produziert wie noch 2005. Damals verkaufte die Firma eine halbe Million Tassen, Teller, Schüsseln und Vasen. Die Produktion ist wegen der Konkurrenz aus Fernost zurückgegangen. Nun setzt man auf das Kulturhauptstadtjahr. Denn dafür soll das „Zsolnay Kulturviertel“ entstehen – mit einem Volumen von 37 Millionen Euro das größte Bauvorhaben für die Kulturhauptstadt. Doch noch ist kein Bauarbeiter zu sehen.
„Mit viel Glück wird es in einem Jahr fertig“, sagt der 53-jährige István Komor, der das Zsolnay-Kulturerbe verwaltet.Das geplante Kulturviertel soll allein fünf Hektar des sieben Hektar großen Firmengeländes einnehmen. Es würde auch der Porzellan-Manufaktur gut tun, glaubt Komor. „Der geht es im Moment gar nicht gut“. Er berichtet von einer Kreditklemme und schwierigen Verhandlungen über eine Privatisierung. Die Porzellanfabrik gehört zur Hälfte der Stadt. Die will wegen ihrer klammen Kassen ihren Anteil gern verkaufen. Zwei Bewerber haben sich präsentiert. „Einer von ihnen ist ein Unternehmer aus Pécs, ein Zsolnay-Sammler“, erzählt István Komor.Dem traut Komor die Aufgabe, das Traditionsunternehmen vor dem Ruin zu bewahren, durchaus zu. Wegen des starken Rückgangs in der Produktion ist in der örtlichen Presse von Entlassungen die Rede.
Derzeit arbeiten noch rund 250 Menschen für die Manufaktur. Die Managerin hetzt im Moment von Termin zu Termin, um die Firma zu retten. „Wir wissen überhaupt nichts“, sagt eine der Arbeiterinnen, die schon seit mehr als 20 Jahren für einen Mindestlohn dort schuftet. „Aber die Unsicherheit ist sehr groß.“