Rumänien

Zwei Welten, ein Traum

In einem Restaurant neben der Film- und Theaterakademie in Bukarest treffen sich Gabriel Spahiu (40) und Laura Ilie (21). Sie essen zu Mittag und unterhalten sich über die  Dreharbeiten, bei denen sie im vergangenen Herbst in Italien zusammengearbeitet haben. Für Laura waren die Dreharbeiten zum Film „Alzati e camina“ der erste richtige Job. „Die Leute aus dem italienischen Team meinten, der Film hätte gute Chancen, in Cannes gezeigt zu werden“, erzählt die Schauspielstudentin begeistert.

Für Lauras Kollegen Gabriel war es der erste Dreh im Ausland. Unter dem kommunistischen Regime hätte er nicht davon zu träumen gewagt – nicht vom Ausland und nicht vom Schauspiel. Insgeheim wollte er schon immer auf die Bühne und insgeheim wollte er zumindest nach Paris, wo sein Bruder seit Anfang der 1980-er Jahre lebt. Doch hatte er Angst seinen Träumen nachzugehen, denn seine Familie wurde ständig von der Securitate überwacht, weil der Bruder ausgewandert war.



Laura Ilie und Gabriel Spahiu auf der Straße / Laura Capatana Juller, n-ost

Noch im Jahr der Revolution, 1989, stand für den 20-jährigen Gabriel die Zukunft als Mathematiker fest. Denn das hatte er studiert. Wie jedem Rumänen hatte auch ihm der Staat eine Arbeitsstelle nach dem Studium zugesichert. Eine Heirat mit einer Absolventin mit ausgezeichnetem Studienabschluss hätte die Chancen vergrößert, das Recht zum Wohnungskauf zu bekommen. Gabriel Spahiu lebte nach dem damals vorgegebenen gesellschaftlichen Modell.Laura lebt auch nach dem Modell, in dem sie aufgewachsen ist. Es ist ein freies, demokratisches System, das ihr erlaubt zu studieren und zu reisen, solange sie sich das leisten kann. Ein System ohne Barrieren, mit bunten Kleidern, unzähligen Schokoladensorten und  Ausbildungsmöglich-keiten. „Nicht, dass ich ignorant wäre, aber die Vergangenheit interessiert mich nicht. Wozu? Ich weiß, es ging den Leuten nicht gut, aber was kann ich da heute machen?“, fragt die Studentin.

Nur Erzählungen ihrer Mutter aus kommunistischen Zeiten und die Architektur in Bukarest, geprägt vom Größenwahn des Diktators Nicolae Ceauşescu, bringen ihr die vergangenen Zeiten nahe. Jeden Tag sieht sie die aneinandergereihten Wohnblocks im Militari-Viertel von Bukarest, wo sie wohnt, und im Iancului-Viertel, wo sie studiert. Überall Wohnblocks, Wand an Wand. „Sie sind so grau und hässlich. Man könnte sie wenigstens farbig anstreichen“, sagt Laura.Für Gabriel erscheinen die Geister der Vergangenheit weit häufiger als nur in Form von Häusern. Vor allem im Kontakt mit den Behörden, denen er kommunistische Mentalität vorwirft. „Solange die Beamten nicht um ihre Arbeitsstelle zittern müssen, behandeln sie ihre Kunden nicht gut, ja sie demütigen sie sogar. Sie haben immer noch den Eindruck, dass du von ihnen abhängst und nicht sie von dir.“ Viele Dinge erinnern den 40-Jährigen heute an das „Goldene Zeitalter“ und an dessen Niedergang. „Wir sind im Kommunismus aufgewachsen und richteten uns nach dessen Werten.

Aber auf einmal galten andere Werte. Wir waren darauf nicht vorbereitet und haben dadurch viel verloren.“ Der Student von damals erkannte erst nach Jahren die Chancen, die das neue System bot. „1990 war die richtige Zeit, ein Unternehmen zu starten oder auszuwandern, aber wir waren lange Zeit wie gelähmt. Meine Generation ist eine Looser-Generation“, sagt Gabriel. Bei ihm kann davon heute keine Rede mehr sein – er ist ein bekannter Schauspieler in Rumänien. Gleich nach der Wende und dem Abschluss des Mathematik-Studiums hat er Schauspiel studiert. Deutschland, Frankreich, Amerika, Portugal, Spanien sind einige der Länder, in denen er Tourneen mit diversen Theatergruppen hatte. „Auf Tour mit ,Eine antike Trilogie’, einem Stück in der Regie von Andrei Serban haben wir in 3-, 4-Sterne-Hotels gewohnt. Viele Kollegen haben Konserven und Essen von zu Hause mitgebracht, um das Tagegeld zu sparen, und aßen im Zimmer“, erinnert sich der Künstler. Er selbst habe auch auf Restaurants verzichtet. Das gesparte Geld, rund 65 D-Mark pro Tag, habe ihm in Rumänien monatelang zum Leben gereicht.

Vor dem ehemaligen Zentralkomitee der Kommunistischen Partei / Laura Capatana Juller, n-ost

Für Laura, Schauspielstudentin im dritten Studienjahr, sind es Geschichten wie diese, die die Vergangenheit interessant, ja spannend machen. Ganz anders als die Informationen, die sie aus den Geschichtsbüchern kennt. Die ihr unbekannte Abkürzung „ZK“ weckt ihr Interesse. Zentralkomitee der Rumänischen Kommunistischen Partei, erklärt Gabriel. „Von dort aus sind die Ceauşescus geflohen, nach ihrem letzten öffentlichen Auftritt auf dem Balkon dieses Gebäudes“, erzählt der ältere Kollege bei einem Spaziergang vor dem einstigen Zentralkomitee.Vor 20 Jahren begann dort die Bukarester Revolution, Zehntausende kamen auf die Straßen, protestierten tagelang gegen das Regime, verbrannten Fahnen und feierten den Sieg. Der Platz vor dem ehemaligen ZK heißt nun “Platz der Revolution”, das Gebäude des ZK fungiert als Innenministerium. „Ich habe nicht viel am Hut mit Politik“, sagt Laura Ilie, die sich, wie die meisten Jugendlichen in Rumänien, nicht politisch engagiert.

Es fehle an Vertrauen in die Politik wie in Politiker. Die ständigen Streitereien der politischen Akteure, die in den Medien ausgetragen werden, und die Lügen in den Wahlkampagnen, seien ein guter Grund dafür, sich von der Politik abzuwenden, glaub Laura. Dennoch wird sie aktiv, wenn es um ihr nächstes Umfeld geht. „Ich bin empört darüber, wie viele Autos es in der Stadt gibt. Es gab Zeiten da wollte ich auf Autos einschlagen“, erzählt sie. Fußgänger hätten keinen Platz mehr auf dem Gehweg, weil Autos dort parken. „Vielleicht müssten sich Politiker auch um solche Sachen kümmern”, sagt die Studentin.Vielleicht müssten Politiker dies wirklich tun, doch Gabriel hat in den 20 Jahren seines kapitalistischen Lebens gelernt, sich verstärkt auf die eigenen Kräfte zu verlassen. Während er vor 20 Jahren als Berufsanfänger eine sichere Anstellung erhalten hätte, muss er sich nun als Freischaffender in einem Land durchsetzen, dessen System er kaum kennt.

Spahiu muss sich selbst um seine Auftritte bemühen, für sich selbst werben und Honorare verhandeln. Und trotzdem: Er verzichtet lieber auf die Sicherheit einer festen Arbeitsstelle etwa als Mathematiker,  um sich als Schauspieler, also in seinem Traumberuf, frei ausdrücken und bewegen zu können.Modeln, Kinderfeste oder Werbung – das sichert Lauras Taschengeld. Noch bieten ihr Universität und die Unterstützung der Mutter eine gewisse Sicherheit, sodass sie nicht arbeiten gehen muss. Über ihre Zukunft zerbricht sich die 21-Jährige nicht den Kopf. Nur, dass sie nichts anders als schauspielern möchte, das steht fest. Im Theater oder im Film oder beides. Und gerne auch im Ausland. Doch weiß sie, dass sie selbst für ihr Schicksal haftet, das hat sie bei ihrem älteren Kollegen gelernt. Ihr Traum ist nicht verboten, allein am Willen liegt ihr Erfolg.


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