Polen

Zwischen drei Welten

Er ist nach Papst Benedikt XVI. einer der bekannteste Deutschen in Polen: der Schauspieler und Kabarettist Steffen Möller (39). Als Pechvogel und Romantiker in der polnischen TV-Soap „L wie Liebe“, als Comedian in der polnischen TV-Show „Europa lässt sich mögen“ und als Kabarettist in Deutschland schafft er es, Nachbarschaftsklischees zu pflegen und zu durchbrechen. 

Frage: Welches ist Ihr Lieblingsklischee über die Polen?

Steffen Möller: Das Klischee, das mir immer wieder überall begegnet, ist, dass angeblich alle Polen Schnurrbärte haben. Das ist schon längst nicht mehr so. Zumindest die Männer unter 40 tragen überhaupt keine Schnurrbärte.

Frage: Und über die Deutschen?

Möller: Die deutschen Frauen rasieren sich die Beine nicht – das sagen Polen oft über Deutsche. Und dass wir humorlos sind.


Steffen Möller Foto: Ludwig Rauch

Frage: In Ihrem Kabarett spielen Sie sehr viel mit Klischees. Was fasziniert Sie daran, Klischees zu pflegen und zu widerlegen?

Möller: Kabarett basiert immer auf Klischees. Und Klischees basieren nicht auf Unwissen, sondern auf Halbwissen. Das Halbwissen ist das eigentliche Dynamit zwischen den Völkern. Wenn ein Deutscher sagt, alle Polen sind Autodiebe, ist das falsch, weil nur ungefähr 0,00001 Prozent aller Polen Autodiebe sind. Umgekehrt funktioniert es genauso: Die Polen halten die Deutschen entweder für Ordensritter – über die berühmte Schlacht 1410 bei Tannenberg, als der deutsche Orden vom polnischen König eins auf die Mütze bekam, wird hier immer wieder gern geredet – oder für Gestapo-Männer.

Frage: Wenn Klischees so sehr die Wirklichkeit verzerren, warum begegnen sie uns dann so häufig?

Möller: Sie entstehen, wenn wir Vertreter anderer Nationen sehen, die sich in unserem eigenen Land befinden. Es gibt in Deutschland viele Polen, die als Putzfrauen oder Krankenschwestern arbeiten. Aber in Polen gibt es sehr viel mehr Leute, die das nicht tun. Wir sehen also in den anderen das, was wir aus der eigenen Erfahrung kennen.

Frage: Wie stark gelingt es Ihnen als Kabarettist, mit Klischees aufzuräumen?

Möller: Immer wieder kommen Leute nach meinen Auftritten in Deutschland zu mir und sagen, dass sie nun Lust hätten, einen Polnisch-Sprachkurs zu machen. In meinem Kabarett-Programm stelle ich immer ein paar Wörter vor, die typisch sind für die polnische Mentalität. Außerdem mache ich mit dem Publikum so eine Art Crashkurs zur Aussprache des Polnischen. Ich glaube, die Sprachbarriere ist für die meisten Deutschen das größte Hindernis, in Polen Urlaub zu machen.

Frage: In Ihrer Rolle als Deutscher in einer polnischen TV-Serie könnten Sie ja dort auch mit den Klischees über Deutschland aufräumen...

Möller: Mir wird in Polen immer wieder gesagt, dass ich die Klischees über Deutsche widerlege, weil ich in der Fernsehserie „L wie Liebe“ so schüchtern und so romantisch bin. Das sind Eigenschaften, die man den harten deutschen Realisten nicht zugetraut hätte. Es gibt auch Polen, die auf dem Weg nach Frankreich in Wuppertal von der Autobahn abfahren, um zu testen, ob das Brot, von dem ich immer so schwärme, auch wirklich das beste Brot der Welt ist. Die Polen sind ja überzeugt davon, dass sie selbst das beste Brot der Welt haben.

Frage: Ihr Kabarettprogramm in Polen, „Europa lässt sich mögen“, beruht zum Teil darauf, dass Sie Polen von außen betrachten. Inzwischen sind Sie so stark in Polen integriert, dass Sie auch Ihr Heimatland als Außenstehender beurteilen können. Was fällt Ihnen dabei auf?

Möller: In Deutschland gibt es viele Dinge nicht, die für mich in Polen so wichtig sind, zum Beispiel die polnische Herzlichkeit. Das habe ich gerade in der Weihnachtszeit wieder erlebt. Man bekommt in Polen am 24. und 25. Dezember 50 SMS mit langen Weihnachtswünschen. Darin steht zum Beispiel: „Ich wünsche Dir, dass Du im neuen Jahr so viel Glück hast, wie unsere Minister Geld veruntreut haben.“ Aus Wuppertal, meiner alten Heimat, bekomme ich eine einzige SMS mit den Worten: Frohes Fest. Dann antworte ich: Dito.

Frage: Sie pendeln nach wie vor zwischen Polen und Deutschland. Das sind zwei Welten, die vor 20 Jahren durch den Eisernen Vorhang getrennt waren. Was davon spüren Sie heute noch?Möller: Zum Glück immer weniger. Es ist für mich stets ein großer Augenblick, wenn ich in Görlitz oder Forst oder Frankfurt (Oder) über die Grenze fahre. Dort verengt sich die Fahrbahn und ich spüre immer noch, wie misstrauisch die Zöllner früher geschaut haben. Jetzt steht da niemand mehr und man fährt einfach durch. Das ist immer ein großer Moment. Aber trotzdem gibt es natürlich  tausend Unterschiede, vor allem beim Lebensstandard und dem Aussehen der polnischen Städte. Sie sind noch nicht perfekt saniert wie beispielsweise Görlitz. Und das wird sicher auch noch 20 Jahre dauern.

Frage: Verläuft die Grenze zwischen diesen beiden Welten für Sie an Oder und Neiße oder eher an der ehemaligen innerdeutschen Grenze?

Möller: Das ist eine interessante Frage. Man müsste eigentlich von drei Welten sprechen. Der polnische Schriftsteller Andrzej Stasiuk hat das sehr schön in seinem Buch über Deutschland beschrieben: Für ihn ist das Gebiet der DDR ein Vorposten Polens, ein Verbindungsstück und Übergangsgebiet zwischen Ost und West. Dort spüre er noch, dass die DDR zum Osten gehört hat, weil man dort vieles finde, was es so im Westen nicht gebe: Herzlichkeit, Spontanität, Natürlichkeit. Das würde ich sofort unterschreiben. Das sehe ich heute auch, aber ich habe es früher überhaupt nicht bemerkt.


Steffen Möller Foto: Ludwig Rauch

Frage: Sie nehmen Deutschland heute also auch noch nicht als ein Ganzes wahr?

Möller: Aus polnischer Sicht ist der deutsch-deutsche Unterschied sicher irrelevant. Dass sich die Deutschen untereinander nicht so gut verstehen, ist im Ausland schwer zu vermitteln. Die Polen fragen: Warum sind die Ossis eigentlich so wütend auf die Wessis, denen geht es doch gut? Wir  Polen haben immerhin den Kommunismus gestürzt und krebsen immer noch herum.

Frage: Was antworten Sie ihnen auf diese Frage?

Möller: Dass es das Problem von zwei Brüdern ist, von denen der eine etwas reicher und der andere ärmer ist. Das ist immer schwierig.

Frage: Wird es die Klischees über Ost- und Westdeutsche irgendwann einmal nicht mehr geben? Wann?

Möller: Das passiert mit Sicherheit irgendwann. Ich bringe als Beispiel immer gern das Klischee über die Italiener und die Spanier. Als ich in den 70er-Jahren in Wuppertal in die Grundschule ging, waren die Italiener noch die Makkaronis und italienische Autos ein Witz. Die Spanier waren die Orangenpflücker. Und heute lernt alle Welt Italienisch und Spanisch und ist begeistert. Das hat zum Teil mit der Öffnung Spaniens als Urlaubsland in den 80er-Jahren zu tun. So wird es auch mit Polen und Ostdeutschland kommen. Dann muss ich weiterziehen, denn dann wird es hier alles zu eng und zu schön.

Frage: Wohin wollen Sie denn gehen?

Möller: Ich war vergangenes Jahr in Usbekistan. Das Problem dort ist: Es ist alles noch sehr postkommunistisch, unter der Fuchtel eines Diktators und sehr einheitlich. Da ist es schwierig, so ein kleines individualistisches Leben zu führen, wie ich es mag. Vielleicht gehe ich nach Kamtschatka.


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