Ähnlich ist nur das Äußere
Auf den Kinderfotos sehen sie sich verblüffend ähnlich: helle Augen, dunkle Haare und Grübchen beim Lächeln. „Von Mama geerbt“, sagen sie einstimmig. Gemeinsame Eltern, dasselbe Zimmer sogar. Doch dann ist Schluss mit Ähnlichkeiten. Denn die zwei Schwestern Banak aus Warschau trennen fast 20 Jahre: Beata ist Jahrgang 1970, Monika Jahrgang 1988.
Äußerlich sind sich die beiden Schwestern Beata (39) und Monika (21) sehr ähnlich. Doch ihre Jugend haben sie komplett unterschiedlich verbracht. Foto: Krystyna Tulej6.
Februar 1989, Rosenmontag. Der einzige staatliche TV-Sender in Polen berichtet vom Runden Tisch in Warschau. Die Opposition und das Regime reden miteinander, im Kreis sitzend, über die Zukunft Polens. Dann geht es in den Nachrichten um die chronischen Defizite bei der Toilettenpapierlieferung. In der Krankenschwesternschule in Warschau, wo die 19-jährige Beata Banak lernt, wird an diesem Tag auch heftig diskutiert. Doch es geht um Studniowka, einen traditionellen Ball, der am Samstag zuvor, hundert Tage vor dem Abitur, stattfand. An demselben Tag, als der Runde Tisch aufgebaut wurde. Doch der ist für Beata und ihre Mitschülerinnen nicht mehr als ein gewöhnliches Möbelstück.
20 Jahre später sitzt Beata wieder in ihrem alten Zimmer. „Schockiert? Nein, das waren wir damals nicht.“ Beata lächelt und kneift die Augen zusammen. „Wenn man die Politiker heute hört, hat man den Eindruck, ganz Polen zitterte damals im Revolutionsfieber. Doch die meisten waren mit ihren alltäglichen Problemen beschäftigt.“ Das waren im Jahr 1989 Toilettenpapier, Kartoffeln, Mehl und tausend andere Waren, die es nicht zu kaufen gab.Manchmal zweifelt Beata an ihrem Gedächtnis, wenn sie heute in Interviews Zeitzeugen hört. Alle sprechen von einem Wunder und von Solidarität.
Vielleicht war ihre Umgebung eine Ausnahme? „Dann schaue ich aber auf die Wahlbeteiligung im Wendejahr: 62 Prozent. Zeigt das eine Euphorie?“ Ihre Stimme klingt ironisch. Auch sie hat damals gewählt, es waren die ersten Wahlen in ihrem Leben. Sie ging hin – teilweise aus Tradition („Im Kommunismus war Wählen eine Pflicht.“), teilweise aus Trotz: „Nach dem Motto: Jetzt zeigen es wir ihnen.“
„Überzeugte Idealisten gab es damals auch“, gibt Beata zu. Die glaubten, ab jetzt werde alles gut. Wie ihr Kumpel aus Grundschulzeiten, der mit einem Solidarnosc-Pin in der Jackenklappe herumlief und Wahlplakate aufhängte. „Über Leute wie ihn sprach man wie über einen engagierten Pfadfinder. Man fragte sich, was er davon hat.“ Vielleicht, glaubt Beata heute, habe die Euphorie gefehlt, weil sich viele Polen kaum etwas von den Gesprächen am Runden Tisch und den Wahlen versprachen, vor allem keinen Systemwechsel. 1956, 1968, 1970 und schließlich 1980 – immer wieder gab es Momente der Hoffnung, aus denen nichts geworden ist.
„Wir dachten 1989 wohl, dieses Mal wird es ähnlich.“Überzeugt hat Beata schließlich der Jogurt. Im Sommer 1989 wurden die bis dahin planwirtschaflich feststehenden Preise auf marktwirtschaftliche umgestellt. Der kleine Konsum bei den Banaks um die Ecke hatte drei Tage lang geschlossen. Nach der Wiedereröffnung erlitt Beata förmlich einen Schock: Die Regale waren voll. „So viele Geschmacksrichtungen von Joghurt!“ Früher gab es nur drei: Natur, Vanille und Frucht. An diesem Tag war Beata überzeugt: „Es hat sich dieses Mal tatsächlich etwas geändert.“Der 6. Februar 2009 ist ein Freitag.
Im Parlament und beim Präsidenten wird der 20. Jahrestag des Runden Tisches gefeiert. Getrennt, weil sich die Politiker nicht einig sind, ob die Ergebnisse der Verhandlungen ein Erfolg oder Verrat waren. Diese Diskussion bekommt Monika Banak kaum mit. Für die Studentin ist die Prüfung in Finanzwirtschaft wichtiger. Die Lehrbücher häufen sich auf dem Holztisch. Es ist derselbe Tisch in dem Zimmer, in dem Beata für ihre Abschlussprüfung vor 20 Jahren gepaukt hatte. Doch statt über Krankheiten liest Monika Bücher über Börsen und Aktien.
Beata und Monika beim Betrachten alter Familienfotos. Foto: Krystyna Tulej
Monika, Jahrgang 1988, war während der Gespräche am Runden Tisch noch nicht einmal ein Jahr alt. Ihr junges Leben hat sie in einem freien Polen verbracht. Die Freiheit kam 1989, das weiß Monika. Ob im Februar, Mai oder September, das weiß sie schon nicht mehr so genau. Der Begriff Runder Tisch sagt ihr nicht viel. Die Namen Mazowiecki, Michnik, Kuron sind ihr unbekannt. „Walesa“, nennt sie triumphierend einen der wichtigsten Namen damals. „Walesa hat über den Kommunismus gesiegt.“ Irgendwie. Geschichte sei nicht ihr Lieblingsfach gewesen, entschuldigt sie sich. Das Jahr 1989 gehört für die Twens von heute schon zur Geschichte.
Deshalb versteht Monika oft die Streitereien der Politikern nicht. Tagelang sprechen sie über Kommunismus, wer auf welcher Seite stand, wer ein Held und wer ein Verräter war. „Sollen sie sich nicht lieber mit etwas Vernünftigem beschäftigen? Euro, Arbeitslosigkeit, Wirtschaftskrise oder Frauenrechte?“, denkt Monika häufig und schaltet dann immer den Fernseher aus. Nicht, dass sie kein Interesse an Politik hätte, fügt sie schnell hinzu. Zur Wahl gehe sie schließlich.2007 durfte sie zum erstem Mal mitentscheiden. Stolz war sie, erzählt Monika, und dass sie, wie Beata 1989, bei einem großen Ereignis dabei sein konnte. Denn die Wahlen waren nach der monatelangen Krise mit Kaczynskis Regierung etwas Besonders. Ganz Europa hat auf das Land geschaut. Ähnlich wie 1989. „Die Menschen wussten, dass sie etwas Besseres für Polen wählen konnten“, ist Monika überzeugt.
„1989 ging es darum, den Kommunismus abzuschaffen, 2007 sollte Kaczynski abgewählt werden.“ Die Stimmung, glaubt sie, muss ähnlich gewesen sein. Von ihrer Schwester weiß sie aber, dass der Kommunismus schlimmer war als die Kaczynski-Zeit.Monikas Schwester Beata fuhr erst mit 21 Jahren zum ersten Mal ins Ausland, nach Italien, als Gastarbeiter. Ohne Sprachkenntnisse, ohne Erfahrung und allein. Statt Freude hatte sie Angst. Eine schwierige Entscheidung, erzwungen durch die wirtschaftliche Situation in Polen. In Sizilien arbeitete sie als Kellnerin, ihre Abschlüsse wurde nicht anerkannt. „Alles war bunt, die Leute lachten auf der Straße, verdienten gutes Geld“, erzählt Beata begeistert.
Seit ihrer Rückkehr nach Polen fährt sie immer wieder in den Urlaub nach Sizilien. Jetzt allerdings als Touristin, wohlhabender dazu als die Einheimischen. Andere Urlaubsländer reizen sie nicht.Für Monika ist Reisen ein innerer Zwang. Mit 14 Jahren war sie zum ersten Mal im Ausland. Erst Deutschland, dann London. Bevor sie volljährig wurde, war Polen in der EU. Den Pass braucht sie heute nur noch, wenn sie in die Türkei oder nach Tunesien fährt. Diese Länder faszinieren sie. Ein Traum ist damit verbunden: „Tabaka“. So heißt ein angesehenes Restaurant in Warschau, das auf Exotisches setzt. Dort sieht sich Monika mal als Managerin.
Doch erst kommt das Studium: BWL und Management. Eigentlich habe sie Tourismus studieren wollen. Doch die Vernunft gewann: Mit BWL ist ein Job sicherer und der Verdienst höher.„Vernünftig, aber schade“, sagt Beata. Schade, dass heutzutage immer öfter die Vernunft über die Träume siegt. Als sie sich 1985 für den Beruf der Krankenschwester entschied, waren ihr die Überlegungen der heutigen Jugend fremd. Einfach Menschen helfen und sich um sie kümmern, das wollte Beata. Idealist sein – das war damals viel einfacher, findet sie: „Man bekam nach der Schule Arbeit. Um Geld sorgte man sich kaum, weil man eh' nicht gut verdiente.“
Später, in Italien, musste sie in einem anderen Job arbeiten. Zum ersten Mal dachte sie damals, dass die Berufung allein manchmal nicht ausreicht. Auch heute hat ihr Job in einer Bank wenig mit ihren Träumen zu tun, aber er erlaubt ihr, vernünftig zu leben. Deshalb versteht sie die kleine Schwester.20 Jahre nach der Wende trifft sich die ganze Familie regelmäßig in der Wohnung der Eltern. Außer Beata und Monika kommen ihre drei Brüder mit ihren Kindern und die Schwester aus England, so oft sie können. Eine Tradition aus alten Zeiten, die in anderen Familien kaum überlebt hat. Diese starken familiären Bindungen sind das Einzige aus der Vergangenheit, was Monika gefällt. Sie würde nie mit ihrer fast 20 Jahre älteren Schwester tauschen.
Aber auch Beata ist froh, nicht in oder nach der Wende geboren zu sein. „Die Erfahrungen, die ich gemacht habe, sind einzigartig. Die Transformation war eine Schocktherapie, aber auch ein enormer Impuls. Ich fühlte mich plötzlich verantwortlich für mein eigenes Schicksal. Ich glaubte, ich könnte alles erreichen. Ein schönes Gefühl.“