Tschechien

ABGEORDNETENHAUS BILLIGT LISSABON-VERTRAG

Erste Hürde bei der Ratifizierung ist damit genommen / Zustimmung im Senat unsicher

(n-ost) – Das tschechische Abgeordnetenhaus hat heute den Lissabon-Vertrag gebilligt. Die Entscheidung war seit Dezember wiederholt vertagt worden. Für das Dokument stimmten 125 Abgeordnete der 197 anwesenden Parlamentarier, bei 61 Gegenstimmen. Die  notwendige Verfassungsmehrheit von 120 Stimmen wurde damit erreicht. Mit der Entscheidung hat das Parlament eine wichtige Hürde bei der Annahme des Lissabon-Vertrags genommen.Die oppositionellen Sozialdemokraten, die beiden kleinen Regierungsparteien (Grüne und Christdemokraten) und die meisten Abgeordneten der größten Regierungspartei ODS von Premier Mirek Topolánek stimmten für das Dokument. Gegen den EU-Reformvertrag sprachen sich die Kommunisten und ein Teil der ODS aus. Viele Abgeordnete äußerten sich zufrieden, dass Tschechien als Land, das derzeit den EU-Ratsvorsitz führt, endlich den ersten Schritt in Richtung Ratifizierung unternommen hat.Die Gegner des Vertrags fürchten eine Kompetenzerweiterung der EU und die Einschränkung der nationalstaatlichen Souveränität. Auch könnte ihrer Meinung nach der Lissabon-Vertrag die so genannten Benesch-Dekrete und damit die Nachkriegsordnung der Tschechoslowakei in Frage stellen. Dadurch könnte die Rückgabe des Eigentums an die Sudetendeutschen drohen, die nach dem Krieg ausgesiedelt wurden. Das Abgeordnetenhaus fasste deshalb gleichzeitig mit der Genehmigung des Lissabon-Vertrags einen Begleitbeschluss. Danach dürfen durch den Vertrag die Nachkriegsordnung der Tschechoslowakei nicht revidiert und die Benesch-Dekrete nicht angezweifelt werden.Der Ratifizierungsprozess ist aber erst abgeschlossen, wenn auch die obere Parlamentskammer, der Senat, dem Dokument zustimmt und Staatspräsident Václav Klaus den Vertrag unterschreibt. Der Senat wird sich erst im April mit dem Vertrag befassen, eine Zustimmung gilt als nicht sicher. Viele ODS-Senatoren wollen ohne eine Änderung der Geschäftsordnung des Parlaments dem Lissabon-Vertrag nicht zustimmen. Durch diese Änderung soll erreicht werden, dass einer Übertragung weiterer Kompetenzen auf die EU beide Parlamentskammern zustimmen müssen. Ein Teil der ODS-Senatoren will außerdem den Vertrag erneut vom tschechischen Verfassungsgericht prüfen lassen.Der als europakritisch bekannte Václav Klaus ist erklärter Gegner des Lissabon-Vertrags und hat gerade seine Vorbehalte gegen das Dokument in einem neuen Buch veröffentlicht. Klaus hatte bereits Ende des vergangenen Jahres erklärt, er werde den Vertrag erst unterschreiben, wenn die Iren diesem in einem zweiten Referendum zustimmen.Anders Premier Topolánek: Bei der Debatte im Abgeordentenhaus am Dienstag sagte er: „Ich bin nicht begeistert von dem Lissabon-Vertrag, werde ihm aber zustimmen und rufe auch meine Kollegen dazu auf.“ Denn eine Nicht-Ratifizierung bringe dem Land nichts. Nach der Abstimmung zeigte er sich zufrieden, betonte aber, dass die „Hauptschlacht“ im Senat stattfinde.Topolánek könnte wegen der Genehmigung der Vertrags im Abgeordnetenhaus noch Probleme bekommen. Zwei Abgeordnete der ODS haben damit gedroht, die Partei zu verlassen, sich der neu gegründeten euroskeptischen „Partei der freien Bürger“ anzuschließen und ein mögliches Misstrauensvotum gegen die Regierung zu unterstützen. Da Topolaneks Regierung über keine eigene Mehrheit im Abgeordnetenhaus verfügt, könnte die Lage für den Premier schwieriger werden, sollten die beiden Abgeordneten ihre Drohung wahr machen.Andreas Wiedemann
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