Tschechien

COUNTDOWN FÜR DIE NORDISCHE SKI-WM

Über den Wettkämpfen in Nordböhmem weht der Hauch eines Finanzskandals

(n-ost) – Zdenek Soudny ist nicht zu beneiden. Das Handy scheint an seinem rechten Ohr festgewachsen zu sein. Ununterbrochen muss der jungenhafte Mittdreißiger, Sprecher der Nordischen Ski-WM, die am Mittwoch im nordböhmischen Liberec (Reichenberg) beginnt, Rede und Antwort stehen. Wenig später trifft er “Katka” – die Chefin des Organisationskomitees und Ikone des tschechischen Ski-Langlaufs – die  mehrfache Weltmeisterin und Olympiasiegerin Katerina Neumannova. Zwischen Telefon-Interviews mit Journalisten ist sie im Langlaufareal auf Skiern zu sehen – ein Termin für das  Tschechische Fernsehen.


Das Ohr immer am Handy: Pressesprecher Zdenek Soudny muss nicht nur Fragen zum Wettbewerb beantworten. Foto: Björn Steinz

Die vielen Termine der beiden vertreiben ihre wachsende Nervosität. Die letzten Tage vor Beginn der Weltmeisterschaft waren nicht eben erfreulich für die Organisatoren. Kaum jemand redet mehr über die Rekordbeteiligung an Sportlern und Ländern, über das Skispringen der Frauen, das erstmals bei einer WM ausgetragen wird, über die weit mehr als tausend Journalisten, die berichten. Alles dreht sich nur noch ums Geld.Millionen seien veruntreut worden, sagt die Oberste Kontrollbehörde des Landes, die über den Umgang mit Steuergeldern wacht. Ins Visier sind das federführende Ministerium für Bildung und Sport, die Stadt Liberec und die dortige Technische Universität geraten. Die Vorwürfe sind heftig, die Staatsanwaltschaft ermittelt. Neumannova ist sauer: „Auch wenn wir nichts mit den Unregelmäßigkeiten zu tun haben, zu denen es bei der baulichen Vorbereitung gekommen sein soll – für das Image der WM ist das natürlich alles andere als positiv.” Wenn die WM vorbei ist, will sich nun auch noch die tschechische Wettbewerbsbehörde in die dubiosen Zahlen vertiefen.Dabei gibt es auch so schon Probleme genug. Der Kartenvorverkauf lief nicht gut. Am vergangenen Wochenende waren gerade mal 60 Prozent der Tickets verkauft. Die meisten im Ausland, der Löwenanteil davon im benachbarten Deutschland. Vielen Tschechen ist der Spaß schlicht zu teuer. Nun bekommen die Einheimischen einen Preisnachlass. An die Liberecer Schulen wurden reichlich Freikarten ausgegeben. Ob das die Tribünen unter dem Jested (Jeschken) mit dem berühmten Fernsehturm oder am Langlaufareal füllen wird, muss abgewartet werden.In der Fußgängerzone der Stadt ist die Stimmung gemischt. „Es ist toll, dass wir die WM haben”, sagt ein älterer Herr. „Ich freue mich auf die zahlreichen Besucher aus dem Ausland. Die bringen Geld mit, das wir in der jetzigen Krise gut gebrauchen können.” Von vielen Besuchern wollen andere Liberecer nichts hören. „Ich bin gerade eine halbe Stunde mit dem Auto rumgekurvt, um einen Parkplatz zu ergattern“, erzählt einer. „Dabei kommen die Zuschauer aus dem Ausland erst noch. Von 200 000 ist die Rede. Wie soll das die Stadt verkraften?” Richtig verärgert ist ein Trupp von Studenten. „Wir sind mitten in den Prüfungen, mussten aber Mitte Januar aus den Wohnheimen raus, weil die für die Sportler feingemacht werden mussten. Jetzt sind wir bei Freunden untergeschlüpft, einige fahren täglich nach Hause, das ist alles unbequem und passt uns überhaupt nicht.”Auf einem Internetportal gibt es Überlegungen von Studenten, wie man die WM stören könnte. Die Organisatoren haben mit solchen Störungen bereits ihre Erfahrungen. Vor ein paar Tagen gingen mehrere transportable Toilettenhäuschen in Flammen auf. Daraufhin wurde die Bewachung verstärkt. Im vergangenen Monat stellten Unbekannte die Tag und Nacht arbeitenden Schneekanonen ab, weil die ihnen einen zu großen Lärm machten. Mehr als zweihundert Schneekanonen waren im Einsatz, vor allem im Langlaufareal Vesec.Der Name Vesec soll aus der Indianersprache kommen und soviel bedeuten wie „Der Ort, an dem man vergeblich Schnee sucht”. Das war wohl auch die Sorge der Organisatoren, denen die Pleite des vorjährigen Weltcups noch in den Knochen steckte, als für die als Generalprobe für die WM deklarierte Veranstaltung der Schnee fehlte. An Schnee mangelt es heute glücklicherweise nicht. „Im Gegenteil, wir wären froh, wenn jetzt nichts mehr dazukommen würde”, beschwört Neumannova Frau Holle. Die schüttelt zu diesem Zeitpunkt gerade mal wieder die Betten etwas auf, es rieselt aber nur sacht vor sich hin. Keine Gefahr für die gut präparierten Loipen.


Katerina Neumannova, die Chefin des Organisationskomitees der Ski-WM in Liberec ist eine Ikone des tschechischen Ski-Langlaufs. Foto: Björn Steinz

Mehr zu schaffen macht der Schnee in der Stadt. Wenigstens der Platz vor dem schmucken Rathaus, auf dem Abend für Abend die Medaillen übergeben werden sollen, wird ständig sauber gehalten. Die in den hübschen Häusern um den Platz befindlichen Cafés und Gaststätten sind ein paar Tage vor Beginn der WM noch im Tiefschlaf. Viele Hinweisschilder für potentielle Gäste gibt es, aber alle ausschließlich auf Tschechisch. An der Tür eines Fast-Food-Restaurants kann man immerhin erahnen, dass sich die übergangsweise bis 3 Uhr morgens erweiterte Öffnungszeit auf die Tage der WM bezieht.


Willkommen in Liberec: Die Ausländischen Gäste der Ski-WM werden in Lokals und Tourist-Infos fast ausschließlich auf Tschechisch begrüßt. Foto: Björn Steinz

Den in barschem Tschechisch gehaltenen Hinweis des benachbarten Cafes “Praha”, dass man die Tür hinter sich schließen soll, weil es sonst ziehe, dürften die ausländischen Gäste freilich nicht verstehen. Speise- und Getränkekarten in Englisch oder Deutsch sind im ganzen Zentrum Mangelware. In Sachen Preispolitik sind die Wirte dagegen auch ohne Anweisungen auf dem Laufenden. Etwa Ivan Duleba, der Eigentümer des Restaurants Plzenka in der Moskauer Straße unweit des Rathauses. „Wir tragen nicht nur die WM aus, wir sind momentan auch die Chefs in der Europäischen Union. Also werden wir auch europäische Preise haben.” Vor der WM bekam man in dem Restaurant Fertiggerichte wie Gulasch oder Kasseler für umgerechnet drei Euro. Vermutlich wird man dafür in den Tagen der WM das Doppelte berappen müssen.Im städtischen Informationszentrum, einen Katzensprung vom Rathaus entfernt, bekommt ein ausländischer Journalist keine Antwort auf entsprechende Fragen, selbst dann nicht, wenn man höflich Tschechisch fragt. „Wir dürfen Journalisten nichts sagen“, wiederholt die Angestellte gebetsmühlenartig. „Das ist eine Anweisung der Stadtoberen.“ Ein seltsames Gebaren in einer Stadt, die sich anschickt, die bislang größte Sportveranstaltung in der Geschichte Tschechiens auszurichten.An anderen Stellen laufen die WM-Vorbereitungen indes unerwartet pingelig. So ist in allen Hotels und Herbergen der Stadt vor der WM die Qualität des Trinkwassers untersucht worden. Man kann es tatsächlich trinken, wie die örtliche Zeitung erleichtert berichtete. Auch um die VIPs, die zur WM erwartet werden, hat man sich im Vorfeld rührend gekümmert. Für den norwegischen Thronfolger Haakon beispielsweise fand sich kein geeignetes Hotel in der Stadt. Der Kronprinz darf sein Haupt nun in einer Superluxus-Absteige in der Nähe des Schlosses Sychrov vor den Toren der WM-Stadt betten. Für noch verwöhntere Gäste machen die Organisatoren auch schon mal eine Nobel-Herberge in Prag klar, das gerade mal eine Autostunde von Liberec entfernt ist.Was bleibt in Liberec, wenn die Spiele vorbei, die Medaillen vergeben sind? Folgt man Katka Neumannova, dann haben die Einwohner der Stadt unter dem Jeschken in den Glückstopf gegriffen. Angesichts des Geldes, das in die WM gesteckt wurde, „könnten vielleicht die Leute in Brno oder Ostrava sauer sein. Aber die Liberecer haben einen echten Gewinn davon.” Das stimmt zum Teil: Die Studenten werden in fein gemachte Wohnheime zurückkehren. Für die Liberecer stehen neue Häuser zur Vermietung an, die extra für die Journalisten gebaut wurden.Ein Haken bleibt bei dem, was am wichtigsten ist: den Sportstätten. Für das Skiareal hat sich dem Vernehmen nach eine Firma eingekauft, die damit richtig Kohle machen möchte. Freizeitlanglauf auf den WM-Loipen, heißt das Motto. Kenner der Szene bezweifeln allerdings, dass das ein gutes Geschäft werden könnte. Die Tschechen stünden zwar furchtbar gern auf den Skiern – aber nur da, wo sie es umsonst haben können.

Hans-Jörg Schmidt
ENDE
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