Kosovo

Keine Feierlaune am ersten Geburtstag

Es ist bitterkalt in der kosovarischen Hauptstadt Prishtina. Genau wie vor einem Jahr, als Kosovo am 17. Februar 2008 seine staatliche Unabhängigkeit ausgerufen hatte – zuerst feierlich im Parlament, dann mit ausgelassenen, fröhlichen und friedlichen Partys auf der Straße. Heute ist von Freude über den ersten Geburtstag des jüngsten Staates der Welt allerdings kaum etwas zu spüren.Besa Luzha hat noch nicht einmal daran gedacht, dass es schon ein Jahr her ist, dass die Unabhängigkeit gefeiert wurde. Die Leiterin des Büros der deutschen Friedrich-Ebert-Stiftung (FES), das an einer belebten Straße mitten im Zentrum von Prishtina liegt, verfolgen andere Gedanken.

Vor wenigen Tagen stürzte sich ein 22-Jähriger vom Dach des Nachbarhauses in den Freitod. Eine Verzweiflungstat, direkt vor den Augen von Besa Luzha. „Der Mann musste sein Studium abbrechen, weil seine Familie das Geld dafür nicht mehr aufbringen konnte.“Der Vater des Suizid-Opfers ist arbeitslos, die Mutter Krankenschwester – ihr Monatslohn liegt bei 170 Euro. Der junge Mann tat alles, um Arbeit zu finden, es ist ihm nicht gelungen. „Dieser Fall zeigt, wie die Lage bei uns wirklich ist“, sagt Besa Luzha nachdenklich. Der Pädagogin ist nicht zum Feiern zumute: „Was hatte man uns bei der Unabhängigkeit nicht alles versprochen: Endlich mal 24 Stunden Strom am Tag, 100 Anerkennungen des Staates Kosovo durch andere Länder, höhere Pensionen – und vor allem neue Jobs. Nichts von alledem ist eingetreten.

In Kosovo, das gut ein Viertel so groß ist wie die Schweiz, leben geschätzt zwei Millionen Menschen. Über 90 Prozent sind Albaner, etwa 130.000 sind Serben. Gesicherte Angaben gibt es nicht, die letzte Volkszählung stammt noch aus jugoslawischer Zeit. Die Arbeitslosigkeit liegt um die 40 bis 50 Prozent. Bei den jungen Leuten – fast drei Viertel der Kosovaren haben das 35. Lebensjahr noch nicht beendet – ist die Quote noch viel verheerender.Nur ein paar Schritte vom FES-Büro liegt das „Rings“, ein In-Lokal direkt am Mutter-Theresa-Boulevard. Dort ist die Anzahl der Krawattenträger überdurchschnittlich hoch. Das gläserne Hochhaus, in dem die kosovarische Regierung unter Führung von Ministerpräsident Hashim Thaci sitzt, das Parlament und das Präsidialamt sind nur einen Steinwurf entfernt.

Ilir Deda kennt viele Gäste im „Rings“. Als Forschungsdirektor des angesehenen kosovarischen Think Tanks Kipred beobachtet er die Arbeit im Zentrum der Macht genau.Deda nimmt kein Blatt vor den Mund: „Die Arbeit unseres Außenministers Skender Hyseni ist ein Desaster.“ Bislang haben nur 54 Länder Kosovo als Staat anerkannt. Im Gegensatz zu seinem serbischen Amtskollegen Jeremic habe Minister Hyseni weder eine außenpolitische Strategie noch besuche er andere Länder, um für die eigene Sache zu werben, wettert Deda. „Unsere Regierung erwartet, dass die USA oder Großbritannien das für uns übernehmen.“ Doch auch die westlichen Freunde Kosovos hätten sich zu wenig um Anerkennungen bemüht. „Dabei ist Kosovo doch ein gemeinsames Projekt“, betont der Analyst.

Am allerwenigsten kann man wohl den USA Desinteresse vorwerfen. Die US-amerikanische Botschaft in Kosovo, die einer modernen Festung gleich inmitten des Botschaftsviertels Arberia über der Stadt thront, ist in den Augen vieler die eigentliche Schaltzentrale der kosovarischen Politik. Ein westlicher Diplomat, der nicht mit Namen genannt werden will, fasst in Worte, was in Prishtina als offenes Geheimnis gilt: „De facto wird dieses Land von den USA geführt.“Die als nicht gerade zimperlich bekannte US-Botschafterin Tina S. Kaidanow würde immer wieder zum Telefonhörer greifen, um dem Premier oder seinen Ministern in unzweideutiger Sprache die Erwartungen der USA bekannt zu geben. Doch die politische Elite in Prishtina scheint damit kein Problem zu haben, im Gegenteil. „Ich bin stolz, Premierminister des pro-amerikanischsten Landes der Welt zu sein“, bekennt Regierungschef Hashim Thaci. Er weiß damit die große Mehrheit seiner Bevölkerung hinter sich.

Auch für Ilir Deda ist klar, dass die USA der zuverlässigste Freund Kosovos sind. Die EU hingegen sei ein unwägbarer Partner. Griechenland, Rumänien, Slowakei, Spanien und Zypern hätten Kosovo ja noch nicht mal anerkannt. In der EU könnten sich zudem die Stimmen mehren, die eine Abspaltung des fast nur von Serben bewohnten Nordteils der Stadt Mitrovica und des Nordkosovos ins Auge fassen. „Ich habe Angst, dass Kosovo den Norden verliert“, sagt der Politikwissenschaftler. Die Folgen davon wären ein massiver Vertrauensverlust der meisten Kosovaren gegenüber Europa und die verstärkte Forderung einer bislang mehrheitlich abgelehnten Vereinigung mit Albanien.

Ilir Deda ist sich sicher, dass die serbische Führung auf eine Teilung Kosovos hinarbeitet, obwohl dies Belgrad strikt von sich weist. Dafür spreche auch die Tatsache, dass der serbische Präsident Boris Tadic die Unruhestifter in Nordmitrovica gewähren lasse, „obwohl er der EU versprochen hatte, diese aus dem Verkehr zu ziehen. Tadic braucht die Instabilität im Norden, um damit die Teilung rechtfertigen zu können“, ist Deda überzeugt. In diesem Moment klingelt sein Handy. Am anderen Ende meldet sich Rada Trajkovic, eine einflussreiche Ärztin aus der nahe Prishtina gelegenen Serben-Enklave Gracanica, mit der Ilir Deda oft zusammenarbeitet.

Kurz vor der Serben-Enklave Gracanica tauchen immer mehr serbische Schriftzüge auf. „Ferkel zu verkaufen“, steht in kyrillischen Buchstaben auf einem Holzschild an der Wand eines einfachen Hauses. Hier und da hängen serbische Flaggen. Das ist alles, was darauf hindeutet, dass Gracanica vorrangig von Serben bewohnt ist. Im Zentrum des Dorfes steht eines der bedeutendsten serbisch-orthodoxen Klöster aus dem 14. Jahrhundert, gleich daneben das Gesundheitszentrum, das Rada Trajkovic leitet. Die Ärztin gehört der Spitze des so genannten Serbischen Nationalrates des Kosovo an und ist eine der prominentesten, aber auch umstrittensten Stimmen unter den Kosovo-Serben.

In Gracanica will man von einem unabhängigen Kosovo nichts wissen. Hier ist Serbien, sagen die Bewohner. Auch Rada Trajkovic, in deren Büro eine große Ikone der Heiligen Muttergottes hängt, teilt diese Meinung: „Die Albaner wissen das. Aber ich bin offen für eine Zusammenarbeit mit ihnen im Kampf gegen die Teilung des Kosovo. Denn wir Serben können dies nicht alleine schaffen.“ Sie stimmt mit Ilir Deda, den sie einen „feinen Kerl“ nennt, überein, dass die serbische Führung auf die Teilung Kosovos hinarbeite. „Die gesamte Strategie Belgrads zielt darauf ab, Nordkosovo zu bekommen – ganze sieben Prozent des kosovarischen Territoriums.“

Was mit den Serben in den zahlreichen Enklaven südlich der Stadt Mitrovica geschieht, scheint Belgrad tatsächlich egal zu sein. Darauf deuten zumindest die von von Rada Trajkovic vorgelegten Zahlen hin: Im serbischen nationalen Investitionsplan 2008 waren laut Trajkovic für die Serben in Nordkosovo über 10 Millionen Euro eingeplant – für jene in den Enklaven gerade mal etwas mehr als 11.000 Euro. „Und nicht einmal davon kam bei uns etwas an.“ Für Rada Trajkovic ist klar: Wird Kosovo geteilt, ziehen die Einwohner der serbischen Enklaven im Süden – rund zwei Drittel aller im Kosovo lebenden Serben – weg. „Für uns wäre ein Leben hier nicht mehr möglich. Denn es gäbe für die Albaner keinen Grund mehr, sich uns gegenüber korrekt zu verhalten. Es würde mit Sicherheit ein Großalbanien geschaffen.“

Doch nicht nur die Souveränität Kosovos ist ein Jahr nach der Unabhängigkeitserklärung alles andere als gefestigt. Auch die innere Verfassung des Landes ist labil. Die Gesetze in Kosovo seien modern, manchmal sogar noch besser als der europäische Standard, sagt der für die Eulex arbeitende Schweizer Jurist Alexander Hug. Doch das Problem liege bei der Umsetzung. „Viele Richter und Staatsanwälte sind schlecht ausgebildet – und verdienen sehr wenig. Der Anreiz für Korruption ist groß.“ Wer den Staatsanwalt oder den Richter genügend schmiere, gewinne Prozess, sagen andere Experten.

Dazu kommt die organisierte Kriminalität. Rainer Kühn – eigentlich Polizeidirektor in Düsseldorf – ist für zwei Jahre Chef der Polizei-Komponente innerhalb der EU-Rechtstaatskommission Eulex und damit der oberste internationale Polizist in Kosovo. Allein die unzähligen Motels, Tankstellen und Kasinos seien „ein klarer Indikator für Geldwäsche und damit für organisierte Kriminalität“. Schon im Frühling will Kühn Erfolge vorlegen.  Die Menschen in Kosovo wünschen sich vor allem eines: dass es der Mafia im Land an den Kragen gehe.

Korruption und mangelnde Rechtsstaatlichkeit sind wesentliche Gründe dafür, dass bislang kaum ausländische Firmen ihr Geld in Kosovo investiert haben. Ein EU-Berater, der im Internationalen Zivilbüro (ICO) arbeitet und nicht namentlich genannt werden möchte, sieht dafür noch andere Ursachen. Es gebe bei den kosovarischen Behörden bislang kaum Ansprechpartner für potenzielle Investoren, so der Volkswirt. „Die Regierung verharrt nach wie vor im Kampf um die Unabhängigkeit.“ Da bleibe wenig Raum, dem Ausland Kosovo als Investitionsstandort schmackhaft zu machen.

Dass bislang noch kein großer Fisch an Land gezogen wurde, wird dem EU-Berater jedes Mal bewusst, wenn er aus dem Fenster seines Büros über das Amselfeld schaut und die Schlote des riesigen Braunkohlekraftwerks von Obilic rauchen sieht. Prishtina versucht das veraltete Kraftwerk, das ganz Kosovo mit Strom versorgt, nun zu privatisieren und gleichzeitig die Rechte für den Bau eines neuen Kraftwerkes an einen ausländischen Investor zu vergeben. Es geht dabei um einen Milliarden-Deal. Doch bis jetzt ist dieser nicht zustande gekommen.Es scheint, als müsse Kosovo noch lange auf den Strom warten, der der Bevölkerung bei der Unabhängigkeitserklärung vor einem Jahr versprochen worden war. Von einer 24-Stunden-Versorgung des Landes ohne Stromausfälle und sogar von Elektrizitäts-Export war die Rede gewesen – und von unzähligen Arbeitsplätzen, die damit verbunden seien. Alles bleibt vorerst ein Traum – Unabhängigkeit hin oder her.


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