Runder Tisch von 1989 in der Kritik
Der Gründungsmythos der III. Republik Polen ist heute umstrittener denn je
(n-ost) - Was für die Deutschen der Fall der Berliner Mauer, ist für viele Polen der Runde Tisch: Am 6. Februar 1989 begannen die auch international viel beachteten Gespräche in Warschau, bei denen Vertreter der kommunistischen Staatspartei PVAP mit Oppositionellen vor allem der Solidarnosc-Bewegung zwei Monate lang verhandeln sollten. Hintergrund der Gespräche waren die allmählich zugrunde gehende Sowjetunion, die desolate Lage der polnischen Wirtschaft sowie anhaltende Streiks. Gleichwohl ging es dem Regime nicht um ein Abtreten der Macht, sondern höchstens um das Einbinden der Opposition und gewisse Liberalisierungen.Und dennoch: die Verhandlungen, die zum großen Teil im Staatsfernsehen übertragen wurden, waren im Ergebnis bahnbrechend: Beschlossen wurden die Legalisierung der unabhängigen Solidarnosc-Gewerkschaft, der Zugang der Opposition zu Massenmedien sowie halbfreie Wahlen, bei denen 35 Prozent der Sitze in der ersten Parlamentskammer (Sejm) in freien Wahlen vergeben werden sollten.Doch es kam vieles anders. Die halbfreien Wahlen am 4. Juni 1989 waren ein überwältigender Erfolg für die Opposition. Die PVAP, die so gut wie keinen Rückhalt mehr in der Bevölkerung hatte, zeigte Auflösungserscheinungen. Zwar wurde General Wojciech Jaruzelski im Juli 1989 von einer Versammlung aus Sejm und Senat mit knapper Mehrheit zum ersten Präsidenten gewählt, doch die Kommunisten schafften es nicht, eine Regierung zu bilden.So blieb es Oppositionspolitiker Tadeusz Mazowiecki vorbehalten, als erster nichtkommunistischer Premier im Ostblock im August 1989 ein Kabinett zu bilden. Ende 1990 wurde in der ersten freien Direktwahl Lech Walesa vom Volk zum Präsidenten gewählt, im Oktober 1991 gab es erstmals freie Parlaments- und Senatswahlen. Der Rest ist demokratisch – und eben auch postkommunistisch geprägte Geschichte der III. Republik.Um die Deutung der Gründungszeit dieser Republik wird nach 20 Jahren heftiger denn je gerungen. Die Auseinandersetzung dreht sich vor allem um die Frage, ob der Zeitpunkt der Verhandlungen aus Sicht der Opposition richtig war – und sie so der Gegenseite zu viele Eingeständnisse machte, etwa in der später betriebenen Politik einer generellen Nicht-Abrechnung kommunistischer Verbrechen.Laut Zbigniew Pelczynski, einem ehemaligen Professor für politische Philosophie am Pembroke College in Oxford, hat die damalige kommunistische Führung geglaubt, mit den Ergebnissen des Runden Tisches die Zügel auch nach 1989 in der Hand zu behalten. Zugleich betont Pelczynski, dass die Regierungspartei so fest im Machtsystem etabliert war, dass sie sich dort auch nach dem Umbruch von 1989 über einen langen Zeitraum halten konnte.Hingegen werten viele alte Solidarnosc-Kämpfer den Runden Tisch als eine Veranstaltung von Eliten. Andrzej Gwiazda, ehemaliger Mitstreiter und Stellvertreter von Lech Walesa bei der Solidarnosc, war entschiedener Gegner von Verhandlungen mit der kommunistischen Führung. „Es gab beim Runden Tisch keine Person, die die polnische Gesellschaft repräsentiert hätte“, sagte Gwiazda kürzlich gegenüber einem TV-Sender. Der Historiker Antoni Dudek sieht bei den Ergebnissen des Runden Tisches klare Vorteile der Kommunisten, die die Solidarnosc in einer Phase an den Verhandlungstisch geholt hätten, als diese relativ schwach gewesen sei.Den Zorn vieler Polen über Ungerechtigkeiten und die Klüngelwirtschaft der III. Republik hat sich vor allem die Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) der Kaczynski-Zwillinge Lech und Jaroslaw zu Nutze gemacht. 2005 gewann die PiS die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen und machte sich fortan an die Gründung der IV. Republik. Die kommunistische Vergangenheit sollte gnadenlos aufgeklärt, Korruption aufs Schärfste bekämpft, die Biographien von Größen polnischer Politik bis ins Detail durchleuchtet werden.So kam 2008 ein Buch über die Geheimdienst-Verstrickungen des Oppositionshelden und ersten frei gewählten Präsidenten Polens, Lech Walesa, heraus. Walesa soll in den 70er Jahren als inoffizieller Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes SB fungiert haben. Herausgeber des Buches ist das staatliche Institut für Nationale Erinnerung (IPN). Über das Buch wurde eine mediale Schlacht geführt. Unabhängig von der Faktenlage ist für viele aber klar, dass so ein Werk vor 2005 nicht durch ein staatliches Institut veröffentlicht worden wäre. Die PiS ist seit 2007 in der Opposition, doch der Kampf um die geschichtliche Deutungshoheit geht weiter.Überhaupt herrscht spätestens seit 2005 eine Art medialer Krieg zwischen Befürwortern und Gegnern einer radikalen Aufarbeitungspolitik. Hauptzielscheibe für Gegner der III. Republik ist dabei der Intellektuelle und Publizist Adam Michnik. Zwar ist er für die einen die Galionsfigur des friedlichen Übergangs zur Demokratie. Als Chefradakteur der einflussreichen „Gazeta Wyborcza“ unterstützt er die wirtschaftsliberalen Reformen, verteidigt die Ergebnisse des Runden Tisches. Michnik, der als Oppositioneller mehrere Jahre in kommunistischen Gefängnissen verbrachte, verteidigt auch seine einstigen Peiniger.Für andere verkörpert Michnik jedoch wie kein anderer den angeblich faulen Kompromiss von 1989. So kritisiert etwa der einflussreiche konservative Publizist Bronislaw Wildstein vor allem, dass die Eliten der Dritten Republik – mit Michnik als intellektueller Speerspitze – mit ihrer medialen und politischen Macht nur eine Interpretation der Umbruchszeit von 1989 zulassen. Dabei habe es eine „Heirat von Teilen der oppositionellen Elite mit der kommunistischen Nomenklatura“ gegeben, schreibt Wildstein in der konservativen Zeitung „Rzeczpospolita“. Er erbost sich auch über postkommunistische Nutznießer der Transformation, die sich ihre früheren Posten zu Nutze gemacht und bei der Privatisierung groß abgeräumt hätten.Präsident Lech Kaczynski, der 1989 auf der Oppositionsseite am Runden Tisch gesessen hatte, hat ein ambivalentes Verhältnis zu den damaligen Ereignissen. Sie seien zwar ein „taktisches Manöver im Rahmen des Spiels um ein freies Polen“ gewesen, sagte Kaczynski gegenüber dem Magazin Newsweek. Zugleich kritisiert Kaczynski die „Verbrüderung“ eines Teils des oppositionellen Lagers mit der Regierung. Es habe jedoch keine geheimen Absprachen gegeben, sagte Kaczynski.Tatsächlich ist auch die Bevölkerung in der Frage des Runden Tisches gespalten. Rund 40 Prozent der Polen haben laut einer repräsentativen Umfrage heute ein eher positives Bild vom Runden Tisch, rund 30 Prozent ein eher negatives. Immerhin 26 Prozent sehen den Runden Tisch als „Verschwörung oder Verabredung der Eliten“, 44 Prozent bezeichnen die Ergebnisse als „Gesellschaftsvertrag“.Die „Elite“ indes feiert das Jubiläum des Runden Tisches ganz groß – auch mit den Deutschen. Am Montag (9. Februar) treffen sich der polnische und der deutsche Außenminister in Berlin, um über die Bedeutung des Runden Tisches sowie den Einfluss der Solidarnosc beim Fall des Kommunismus zu debattieren. Und am 4. Juni kommt zum 20. Jahrestag der „halbfreien Wahlen“ Kanzlerin Merkel nach Polen – viel Kritik an den Errungenschaften des Runden Tisches dürfte es dabei wohl nicht geben.Jan Opielka und Katarzyna Opielka
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