Schwangerschaftstourismus
Abtreiben in Deutschland, Kinder zeugen in Polen - an der Oder boomt ein neuer Medizintourismus
(n-ost) - Früher sind die beiden nur zum Einkaufen nach Polen gefahren. Jetzt haben Mandy (30) und Matthias (33)* aus Prenzlau ihre ganze Hoffnung in die Hände von Rafal Kurzawa gelegt. Der polnische Gynäkologe ist für hohe Erfolgsraten in seiner Befruchtungsklinik VitroLife in Stettin bekannt. Dabei hilft ihm das polnische Gesetz, das Methoden zulässt, die in Deutschland durch das Embryonenschutzgesetz von 1991 eingeschränkt oder verboten sind.
Für Mandy und Matthias ist es schon der vierte Versuch, durch künstliche Befruchtung ein Kind zu bekommen. Der Ablauf der Prozedur ist ihnen bestens bekannt: Unter Narkose werden Mandy reife Eizellen entnommen. Dann muss alles blitzschnell gehen: Eine Biologin füllt die rötliche Flüssigkeit in eine Petrischale. Mit dem Mikroskop sucht sie nach brauchbaren Eizellen. Es ist ganz still bis auf den piependen Pulsmesser aus dem Operationssaal. „Ich habe zwei Eizellen“, ruft sie dem wartenden Arzt zu.
Die Eizellen werden in eine Nährlösung gelegt, der Rest landet im Mülleimer. Nach 15 Minuten wird Mandy wieder aus dem Operationssaal geschoben. Eine Stunde später durchsticht die Biologin mit einer Nadel die Zellhaut der ausgewählten Eizellen und injiziert die Samen von Matthias.
Bis zu fünf Tage wartet der Gynäkologe Dr. Rafal Kurzawa, bis er entscheidet, welche befruchtete Eizelle er in die Gebärmutter einsetzt. Sein deutscher Kollege muss gleich nach der Verschmelzung von Samen und Eizelle eine Wahl treffen. Was medizinisch machbar ist, nämlich die Selektion der Embryonen, wird mit dem deutschen Embryonenschutzgesetz von 1991 aus ethischen Gründen eingeschränkt. An der deutsch-polnischen Grenze hat dieses Gesetz zu einem wahren Medizintourismus geführt.
„Etwa dreißig Prozent unserer Patienten sind Deutsche“ erzählt Rafal Kurzawa. Sie zahlen 3000 Zloty, umgerechnet rund 700 Euro für einen Versuch, das sind etwa 1000 Euro weniger als in einer deutschen Klinik. Für Mandy und Matthias zählt vor allem, dass Kurzawa eine höhere Schwangerschaftsrate hat. Bis zu 35 Prozent der Paare sind in Stettin schwanger geworden.
Bereits zwei Stunden nach dem Eingriff ruhen die befruchteten Eizellen in einem dunklen Stahlschrank bei einer Temperatur von 37 Grad. Nach drei Tagen sind einige zu mehrzelligen Embryonen herangewachsen. Eines wird in Mandys Gebärmutter eingesetzt. „Ich denke nicht darüber nach, ob es klappt“, sagt Mandy ausweichend. „Einfach abwarten und Tee trinken“. Während der gesamten Behandlung hat sie die Hand ihres Mannes nicht losgelassen. Am Abend ist das Paar wieder im 60 Kilometer entfernten Prenzlau.
In Prenzlau können Polinnen legal einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen. Foto: Katrin Lechler
Agnieszka Szymanowska* und ihr Mann kommen an diesem Abend zum ersten Mal nach Prenzlau – „und hoffentlich nie wieder“, sagt Agnieszka. Sie hat sich für einen Schwangerschaftsabbruch im Kreiskrankenhaus entschieden. „Ein viertes Kind wäre mir zuviel“, sagt die dunkelhaarige Frau um die 40 aus einem Dorf bei Breslau. „Ich würde es als Belastung empfinden und das will ich ihm nicht zumuten“, sagt sie. Das Kind zur Adoption freizugeben – das hätte sie schlimmer gefunden.
In Polen hat Agnieszka keinen Arzt für diesen Eingriff gefunden. Abtreibung ist laut polnischem Gesetz nur dann erlaubt, wenn die Schwangerschaft auf Vergewaltigung zurückgeht, das Leben und die Gesundheit der Schwangeren bedroht sind oder der Embryo voraussichtlich schwer behindert oder krank ist. Eine schwierige Lebenslage der schwangeren Frau oder die finanzielle Lage reichen als Gründe nicht aus.
Agnieszka ist gut ausgebildet, gut situiert und katholisch – so wie viele Patientinnen, die zur Abtreibung nach Prenzlau oder auch ins Klinikum von Schwedt kommen. „Ich habe hier Professorinnen, Beamtinnen und Studentinnen aus Warschau und Krakau, aber auch aus Ostpolen“, sagt Janusz Rudzinski, polnischstämmiger Gynäkologe am Prenzlauer Krankenhaus. Mittellose oder Geringqualifizierte melden sich kaum bei ihm: Ohne Internet und Auto ist es schwierig, eines der beiden Krankenhäuser anzusteuern – und das gleich zweimal. Denn zwischen der gesetzlich vorgeschriebenen Schwangerschaftsberatung und dem Eingriff müssen mindestens drei Tage vergehen.
Janusz Rudzinski im Prenzlauer Krankenhaus. Foto: Katrin Lechler
Fast jeden Tag steht ein Schwangerschaftsabbruch in Rudzinskis Terminkalender. Während 2007 noch 83 Frauen ohne Wohnsitz in Deutschland eine Abtreibung in Brandenburg vornehmen ließen, waren es laut Statistischem Bundesamt in den ersten drei Quartalen des vergangenen Jahres schon 218. Aber auch die Adressen der Krankenhäuser von Schwedt und Eisenhüttenstadt sind offensichtlich vielen Betroffenen bekannt: Sie erscheinen auf den polnischsprachigen Seiten zum Thema Abtreibung. Die Krankenhäuser werden zudem offiziell von der niederländischen Nichtregierungsorganisation „Women on Waves“ empfohlen, die Schwangerschaftsabbrüche auf offener See durchführt.
Der Eingriff dauert nur wenige Minuten: Der Eingang zur Gebärmutter, der Gebärmutterhals, wird mit Stiften leicht gedehnt. Dann wird mit einem Röhrchen der Embryo im so genannten Fruchtsack herausgesaugt. „Die Frauen sind so dankbar, als hätte ich ihnen ein neues Leben geschenkt“, erzählt Rudzinski mit Verwunderung in der Stimme. „Sie wollen sich eigentlich nicht verstecken und wenn sie hören, dass es in Deutschland legal möglich ist, fällt ihnen die Entscheidung leichter. Bis zur zwölften Schwangerschaftswoche ist die Abtreibung in Deutschland legal. Das sagt Rudzinski als erstes, wenn ihn eine Betroffene auf der polnischsprachigen Hotline anruft. „Die Frauen haben große Angst, sie fürchten sogar, dass das Telefon abgehört wird“, so der 66-jährige Arzt.
„Es ist erstaunlich, wie ängstlich diese Nation ist“, sagt Bozena Choluj, Genderexpertin und Professorin in Warschau und Frankfurt (Oder). Sie stellt einen wachsenden Einfluss der Kirche auf die Geschlechterpolitik des polnischen Staates fest. „Die Kirche ist öffentlicher geworden mit ihrer strafenden und mahnenden Stimme“. Im Kommunismus sei sie ganz einfach ein Bereich der alternativen Freiheit gewesen und habe häufiger über Liebe und Vergebung gesprochen. „Ganz gleich, ob auf dem Land oder in der Großstadt – Frauen und Gynäkologen werden in der Beichte gezielt danach gefragt, ob sie Leben getötet haben“, so Choluj. Und dazu zähle in den Augen der Kirche schon die Verhütung.
Agnieszka rauft sich die Haare, wenn sie an den Beichtstuhl denkt. In einem kleinen Ort fällt es schnell auf, wenn sich ein Bewohner dort nicht mehr zeigt. Aber sie sagt auch entschieden: „Über meine Entscheidung soll Gott richten, nicht die Menschen.“ Nur wenige Freunde wissen von der Fahrt nach Deutschland. 400 Euro haben Agnieszka und ihr Mann für den Eingriff bezahlt. Der Dolmetscher muss extra honoriert werden.
„Die meisten Patientinnen wären auch bereit, mehr zu zahlen“, glaubt Janusz Rudzinski, klein, die steingrauen Haare glatt über den Hinterkopf gezogen. Ein Mann habe ihm am Telefon 15.000 Euro angeboten, 1000 für jede Woche, die die betroffene Frau über dem gesetzlichen Termin von zwölf Wochen lag. „Aber vielleicht war das nur eine Provokation“, überlegt der Mediziner, der von einem polnischen Lokalpolitiker mit dem SS-Arzt Josef Mengele verglichen wurde.
So restriktiv das Abtreibungsgesetz ist, so scheinbar liberal ist der polnische Gesetzgeber bei der künstlichen Befruchtung. Doch sie ist gesetzlich gar nicht geregelt. Allerdings hat Gesundheitsminister Jaroslaw Gowin bereits einen Entwurf vorgestellt, um die künstliche Befruchtung einzuschränken. Bis dahin werden es Mandy und Matthias weiterversuchen. „Unser Ergebnis ist wieder negativ“, schreiben sie in einer Handy-Nachricht. „Wir können darüber nicht reden, weil es richtig schmerzt. Unser Traum ist wieder nicht in Erfüllung gegangen. Aber wir sparen jetzt wieder und nehmen erneut Anlauf.“
* Namen von der Redaktion geändert.Katrin LechlerENDE
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