Mehr Loipen als Strassen
Die Hochebenen des Böhmerwaldes bieten ein gut gespurtes Loipennetz in stiller Natur
(n-ost) - Mit ihren schneebedeckten Dachgauben wirken die Holzhäuser von Filipova Hut’ so, als hätten sie sich tatsächlich breitkrempige Hüte aufgesetzt. Glaubt man den Einheimischen, so kann es in der Hochebene des Nationalparks Šumava (Böhmerwald) an der tschechisch-bayerischen Grenze in jedem Monat des Jahres schneien. Ein Klima-Kuriosum, dass im Winter bis März vor allem eines garantiert: Jede Menge Schnee – ideal für Skilanglauf in stiller Natur.„Was es hier gibt? Nichts.“ Werner Graggo, der regelmäßig im Böhmerwald auf Ski-Touren geht, schmunzelt: „Nur Landschaft. Aber deshalb kommt man ja.“ Etwa 300 Kilometer Loipen durchziehen das Nationalparkgebiet rund um Modrava, Prašily, Kašperske Hory und Kvilda. Damit gibt es in dem Gebiet mehr Loipen als Straßen. Lediglich 900 Menschen leben in verstreuten Siedlungen, von denen etliche bescheiden die Bezeichnung „Hut“ für „Hütte“ führen. Auffallend still ist es, auch in Filipova Hut’ (Phillipshütten). Auf 1115 Metern befindet sich das höchstgelegene Dorf des Böhmerwaldes, rund eine Stunde Autofahrt vom Grenzübergang Bayerisch-Eisenstein entfernt. Das ehemalige Forsthaus, zur Pension umgebaut, wirbt mit dem Blick auf den Rachel-Gipfel im nahen Bayerischen Wald. Direkt vor der Haustür kann man die Ski anschnallen.Filipova Hut’ ist Ausgangspunkt für zahlreiche Touren, die der Regensburger Werner Graggo mit seiner Frau Maria Theresia seit Jahren immer wieder mit Begeisterung fährt. Die Trassen sind meist maschinengespurt und sorgfältig gepflegt. Vereiste Stellen werden mit Leuchtfarbe markiert. Die Loipen führen zur Moldauquelle und ins Dreiseenmoor, entlang an idyllischen Bächen und ehemaligen Schwemmkanälen für den Holztransport bis hinauf zu den Bergkuppen von Březnik oder Oblik. Oft seien sie dabei stundenlang allein, schwärmt das Ehepaar. „Kommt einem doch jemand entgegen, so ist man freudig erstaunt, dass sich auch andere Menschen auf den Weg gemacht haben.“
Menschenleer sind die Hochebenen des Böhmerwaldes. Foto: Beate Franck
Wer sich trotz ausreichender Beschilderung keine Alleingänge zutraut, kann den Böhmerwald in der Gruppe erkunden. Zum Beispiel mit dem Regensburger Kulturwissenschaftler Dr. Erwin Aschenbrenner. Er organisiert mit tschechischen Freunden Gruppen-Urlaub im böhmischen Winterparadies. Der Vorteil: Je nach Leistungsvermögen kann man sich entweder den „Geübten“ oder den „Gemütlichen“ anschließen. Stress ist dabei nicht angesagt. Selbst die weniger Routinierten könnten bequem 20 Kilometer am Tag laufen, meint Aschenbrenner. Und auch pure Anfänger bekommen eine Chance.„Meine Strecke ist die flachere, aber schönere“, wirbt Radka Bonackova aus Aschenbrenners Team für ihre Tour. Die junge Frau, die in Prachatice aufgewachsen ist, kennt den Böhmerwald gut. Pausen, in denen die Gruppe auf Nachzügler wartet, sind deshalb bei ihr selten langweilig. Radka erzählt dann aus der Geschichte des Böhmerwaldes. Von den kühnischen (königlichen) Freibauern, die das Land bewirtschafteten und keine Leibeigenschaft mehr kannten. Von Karel Klostermann, dem Dichter, der die Natur und das Leben der kleinen Leute „aus der Welt der Waldeinsamkeit“ auf Deutsch und Tschechisch im 19. Jahrhundert realistisch beschrieb.Der dicke Schneemantel legt sich gnädig über unschöne Hinterlassenschaften der neueren Zeit. Bis zum Fall des Eisernen Vorhangs waren Teile des Böhmerwaldes Sperrgebiet. In Modrava kurz hinter Filipova Hut’ fiel die Schranke: Betreten verboten! Von der Kuppe des Březnik zeigt Radka immer noch sichtbare Spuren der Militärzone: „Die dicke Schneise durch den Wald ist der ehemalige Grenzstreifen.“ An anderen Stellen wirken die Bäume wie Gerippe – ein Erbe des Orkans Kyrill, der vor zwei Jahren über Europa hinwegfegte. An diesen kahlen Stellen sollen im Schutz der toten Bäume junge Schösslinge wieder nachwachsen, ohne dass der Mensch eingreift, erklärt die Tourleiterin.
Nur hin und wieder trifft man auf Holzhütten, in etlichen kann man Einkehr halten. Foto: Beate Franck
Skilaufen kombiniert mit Landeskunde – das macht besonders hungrig. Einkehrmöglichkeiten gibt es im Böhmerwald einige. Viele der Holzhütten beherbergen Pensionen, die den Wintersportlern mittags warme Suppen und typisch böhmische Gerichte zum Preis von umgerechnet drei bis vier Euro anbieten. Die Ski stellt man derweil einfach draußen ab. Vor allem am Wochenende aber muss man sich inzwischen auf volle Gaststuben gefasst machen. Denn Langlauf ist in Tschechien Nationalsport. Und so zieht es samstags und sonntags Pärchen und Familien mit Hunden auf die Loipen im Böhmerwald.Ganz so weltabgeschieden, wie Skifan Werner Graggo glaubt, ist der Nationalpark Šumava also nicht mehr. Und Kleinode sind nicht nur in der idyllischen Landschaft, sondern auch in den Dörfern zu entdecken: In Kvilda eine Kirche mit Altar, der aus einem Baum wächst, in Srni eine winzige Kneipe mit Dutzenden von Geweihen an der Wand. In Horska Kvilda bietet sich gar ein unerwarteter Anblick: eine zottige Herde von Hochlandrindern, die sich mit ihren wuscheligen Kälbchen im Schnee genauso wohlzufühlen scheint wie die Skiläufer.
SERVICESchneelage und Loipen:
Über die aktuelle Situation kann man sich auf www.bilastopa.cz informieren. Das Touristinfozentrum von Modrava bietet unter www.sumavanet.cz eine Webcam aus der Region.Unterkunft:
In Filipova Hut’ und Modrava gibt es etliche Privatunterkünfte und Pensionen sowie einige neue Hotels. Eine Übernachtung kostet in der Wintersaison in einer Pension zwischen 450 und 550 Kronen (18 bis 22 Euro). Informationen und Vermittlung ebenfalls über www.sumavanet.cz.Beate Franck
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