Bosnien-Herzegowina

Großmufti will Scharia ohne Todesstrafe

Mit der Džube, dem schwarzen Mantel des Imams, und der Ahmedija auf dem Kopf betritt Mustafa Cerić festen Schrittes den Empfangsraum der ehrwürdigen, 1566 erbauten Kaiser-Moschee in Sarajewo. Der Reisu-l-Ulema, so sein offizieller Titel, ist das Oberhaupt der rund zwei Millionen Menschen umfassenden Islamischen Gemeinschaft von Bosnien und Herzegowina.

Im selben Ornat nahm Mustafa Cerić Ende November 2008 in München den Eugen-Biser-Preis entgegen. Er und zwei islamische Geistliche aus Jordanien und den Vereinigten Arabischen Emiraten wurden „für ihren außerordentlichen Beitrag zum muslimisch-christlichen Dialog“ ausgezeichnet. Mustafa Cerić hatte jedoch schon vor der Verleihung des Preises für Schlagzeilen gesorgt: „Es gab Leute, die herausgefunden haben wollten, dass ich Europa islamisieren und die Scharia einführen wolle“, erklärt der 57-jährige Reisu-l-Ulema.



Mustafa Cerić, der Großmufti von Bosnien und Herzegowina. / Norbert Rütsche, n-ost


Diese Vorwürfe beziehen sich auf einen Artikel in der der Europäischen Volkspartei (EVP) nahe stehenden Zeitschrift „European View“, in dem der Großmufti 2007 unter anderem geschrieben hatte: „Die Scharia ist immerwährend, nicht verhandelbar und unbefristet.“ Zu dieser Aussage steht Cerić. Das Problem sei, dass die Scharia in der europäischen Öffentlichkeit immer nur in Verbindung mit einem rigiden Strafrecht – Handabhacken, Todesstrafe, etc. – gesehen werde, gibt der Geistliche zu bedenken.


Eugen-Biser-Preis und Preisträger
Die Eugen-Biser-Stiftung fördert – mit dem Blick aus der christlichen Welt heraus – den interreligiösen und interkulturellen Dialog. Der Preis, der ebenfalls den Namen des Theologen und Philosophen Eugen Biser trägt, wurde am 22. November 2008 zum dritten Mal vergeben.

Ausgezeichnet wurden neben Mustafa Cerić zwei islamische Geistliche aus Jordanien und den Vereinigten Arabischen Emiraten „für ihren außerordentlichen Beitrag zum muslimisch-christlichen Dialog“, wie die Stiftung schreibt.
Die Preisträger waren maßgeblich an dem im Herbst 2007 von 138 muslimischen Geistlichen und Intellektuellen unterschriebenen Offenen Brief „A Common Word between Us and You“ an den Papst und die christlichen Kirchen beteiligt. Als Reaktion auf die Regensburger Rede von Benedikt XVI. bekannten sich die Unterzeichner darin ausdrücklich zu den gemeinsamen Grundlagen des Islams und des Christentums und zum Dialog (www.acommonword.com).


Aber die Scharia sei weit mehr, nämlich ein Prinzip oder eine Weltanschauung, wie die Zehn Gebote bei Christen und Juden. „Diese Richtlinien sind nicht verhandelbar. Doch Modelle für deren Anwendung kann es Hunderte geben.“ Deshalb sei auch das Strafrecht der Scharia durchaus veränderbar. „Als europäischer Moslem ist es mein Recht, die Scharia im Kontext meiner Erfahrung von Demokratie und Menschenrechten zu interpretieren und zu sagen, dass die Todesstrafe falsch ist“, ist der Großmufti überzeugt. Für ihn ist klar, dass die Verfassung und die Gesetze des Staates für alle Gültigkeit haben und über allem stehen.

Zu einer Kritik gegen die teilweise rigide Anwendung des Scharia-Strafrechts in gewissen muslimischen Ländern will Cerić, der in Kairo Theologie und Philosophie studiert hat und Arabisch spricht, aber nicht ausholen: „Dazu habe ich kein Recht. Wir müssen zunächst hier in Europa ein gutes Beispiel vorleben“. Als einen Beitrag dazu sieht er seine „Erklärung der Europäischen Muslime“ vom Februar 2006 – eine Reaktion auf die Terroranschläge von New York, Madrid und London.

Der Reisu-l-Ulema legte in der Deklaration ein unmissverständliches Bekenntnis zu Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Menschenrechten ab, unterstrich die Bedeutung des Dialogs zwischen den Religionen und verlangte gleichzeitig den „Schutz der europäischen Muslime vor Islamophobie“. Nicht zuletzt aufgrund dieser Erklärung wurde Cerić im Jahr 2007 der nach dem ersten deutschen Bundespräsidenten benannte Theodor-Heuss-Preis verliehen.

Europa – auf dieses Thema kommt Mustafa Cerić, der auch einige Jahre in Chicago als Imam gewirkt und in Kuala Lumpur als Professor gelehrt hat, in Gesprächen immer wieder. Europa sei für Muslime ein guter Platz um zu leben. „Aber die Muslime müssen hart arbeiten, um ihren Platz in der Gesellschaft zu bekommen“, so der Großmufti. Für die Vorbehalte, die es in Europa gegenüber dem Islam gibt, zeigt er Verständnis. Die meisten Europäer wüssten kaum etwas über den Islam, seien mit dieser ihnen fremden Religion nicht vertraut – deshalb mache der Islam vielen Menschen Angst.



Mustafa Cerić / Norbert Rütsche, n-ost


Bewegungen, die den Bau von Moscheen oder Minaretten in Europa verhindern wollen, nennt Mustafa Cerić „antieuropäisch“ und appelliert an die Politik: „Wenn die Muslime ihre Moscheen nicht auf dem Boden errichten dürfen, werden sie sie im Untergrund bauen. Erlaubt ihnen, ihre Moscheen zu haben, offen und transparent; damit sichtbar wird, was sie predigen und wer sie sind.“ Cerić begrüßt denn auch ausdrücklich die vom deutschen Innenminister Wolfgang Schäuble 2006 ins Leben gerufene Deutsche Islamkonferenz, ein Forum für den Dialog zwischen den in Deutschland lebenden Muslimen und dem Staat. „Schäuble hat Europa gezeigt, wie man mit den Muslimen sprechen soll – anstatt nur über die Muslime zu reden.“

Während der Reisu-l-Ulema auf internationalem Parkett Lob und Anerkennung für seine Bemühungen im interreligiösen Dialog erntet, gibt es in seinem Heimatland viele kritische Stimmen – auch von islamischen Intellektuellen. Cerić mische sich als Religionsführer viel zu oft in die Politik ein, unternehme aber zu wenig gegen das Erstarken der als Wahhabiten bezeichneten islamischen Fundamentalisten.

Das sei alles politische Propaganda von Kräften, die einen Konflikt unter den Muslimen und eine islamophobe Stimmung in Bosnien und Herzegowina schaffen wollten, wiegelt der Großmufti ab und fügt hinzu: „Wir sind uns des Problems durchaus bewusst.“ Doch es sei besser, diese Leute zu integrieren, anstatt sie aus der Gemeinschaft auszuschließen. „Alle Moscheen in Bosnien und Herzegowina – es gibt Tausende davon – und alle Imame, die dort predigen, sind unter meiner Kontrolle“, sagt der Reisu-l-Ulema mit fester Stimme und rückt seine Ahmedija zurecht. Es ist kurz vor zwölf Uhr, das Mittagsgebet in der fast 450 Jahre alten Kaiser-Moschee beginnt gleich.


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