Tee, Socken und Klebeband gegen die Kälte
Roman hat eingekauft: Milch, Brot, Sauerrahm, Teebeutel, Klebeband. Erstere zum Essen und Trinken; letzteres zum Abdichten der Fenster. Denn es wird kalt in seiner Wohnung. Und obwohl die Ukrainer Gas-Konflikte mit Russland bereits mit solch gelassener Routine hinnehmen wie den Schnee im Winter: Diesmal ist doch irgendwie alles anders.Und deswegen wird Roman die zugigen Fenster in seiner Wohnung verkleben. Auch den Schlafsack hat er aus der hintersten Ecke seines Schranks geholt. Er ist gerüstet für den Ernstfall. Dann kocht er Tee – mit einem Fingerzeig auf den elektrischen Wasserkocher. „Wir haben große Wälder rund um Kiew“, fügt er hinzu. Draußen beginnt es nach einigen wärmeren Tagen zu schneien.
Noch gibt es Gas. Aber wohl nicht in Fülle. Die Zentralheizungen laufen auf Minimum, in den Wohnungen ist es zunehmend kalt. Und das Warmwasser aus den Fernwärmekraftwerken ist bestenfalls lauwarm. Währenddessen wird in Moskau beraten, wie man den Konflikt beilegen könnte.
Roman hat vor langer Zeit aufgehört, Nachrichten zu verfolgen. „Nicht aus Desinteresse“, wie er sagt. Viel eher aus Ärger darüber, für diese ukrainische Regierung Steuern zu zahlen. Dabei hatte er sie einst selbst gewählt. Der jetzigen Situation gibt er das Prädikat „absurd. Ganz egal, was in Moskau beschlossen werde. Und ihm gehe es letztlich nur darum, irgendwie der Kälte zu entgehen: „Ob durch Gas, Holz, Atomstrom oder eine Fernreise in den Süden.“„Nehmen sie sich Urlaub, fahren sie auf die Malediven“ - das Plakat prangt über einem Boulevard, auf dem sich Schneematsch breit macht. Darunter, neben der Treppe zur Metro, sitzen auf kleinen Hockern zusammengekauert mehrere alte Frauen und verkaufen Nüsse. „Gas ist nur Luft“, sagt eine. Und Luft sei alles, was Politiker aus dem Mund brächten. „Nur die ist leider kein Gas – sonst hätten wir genug davon“, sagt eine andere.
„Vollkommener Gasscheißdreck“ titelte eine ukrainische Boulevardzeitung dieser Tage. Eine beinahe beschönigende Beschreibung dessen, worin die Ukraine steckt: einer extremen Wirtschaftskrise, die alle ökonomischen Bereiche erfasst und der der Gas-Streit die Krone aufgesetzt hat. Es geht nicht mehr um politische Positionen oder wirtschaftliche Feilschereien. Für die Ukrainer geht es um die Existenz.
Und da hilft es nicht viel, wenn beispielsweise Elena zwar die russische Position verstehen und nachvollziehen kann – aber jetzt auch noch in einer kalten Wohnung ohne Warmwasser sitzt. Elena ist zweifache Mutter, die ohnehin schon nicht weiß, wie sie ihre Kinder satt bekommen soll, weil sie ihr Arbeitgeber auf Teilzeit gesetzt hat.
Wie viel soll die Ukraine für Gas bezahlen? „Den Weltmarktpreis, wenn Russland auch den Weltmarktpreis für den Transit zahlt“, sagt ein älterer Mann. Er fuchtelt mit den Armen durch das Schneegestöber. Aus dem Donbas-Gebiet stamme er, dem Teil der Ukraine, wo der Großteil der russischen Minderheit lebt. Die ist von den Gas-Engpässen besonders schwer betroffen. Die Schuld für die Blockade gibt der Mann Russland. Aber die Führung der Ukraine sei es gewesen, die den Streit habe eskalieren lassen. Jetzt habe die Ukraine den Schlamassel – und der Mann seine eigene Strategie dagegen: „Zwei Paar Socken und viel heißer Tee.“