Ein Konflikt um politische Preise / Interview mit Bohdan Sokolovskyi, Berater des ukrainischen Präsidenten Viktor Juschtschenko
Bohdan Sokolovskyi, Berater des ukrainischen Präsidenten Viktor Juschtschenko in Energieangelegenheiten, hat die Europäische Union aufgerufen, im Streit um die Gaspreise mit Russland zu vermitteln. Denn der Streit sei ein gesamteuropäisches Problem. Ohne EU-Unterstützung sieht er geringe Chancen auf eine Normalisierung der Lage. Im n-ost-Interview spricht er über die aktuelle Krise mit Russland, die Auswirkungen auf die Ukraine und mögliche Auswege aus dem Konflikt.
Ostpol: Ist der derzeitige Konflikt zwischen der Ukraine und Russland ein kommerzieller oder ein politischer?
Sokolovskyi: Es ist ein kommerzieller Konflikt, in dem zu viel Politik mitspielt. Warum sprechen jetzt Politiker über dieses Thema? Weil die russische Seite politische Preise verlangt. Für Gas, für Transit.
Ist die russische Forderung nach Weltmarktpreisen für die Ukraine angesichts der politischen Orientierung Kiews westwärts und der wirtschaftlichen Lage in Russland denn ungerechtfertigt?
Sokolovskyi: Wir wollen Weltmarktpreise zahlen – nur nicht jetzt. Wir wollen eine Übergangsperiode. Das wurde auch auf Präsidentenebene besprochen. Es gibt auch eine schriftliche Vereinbarung aus dem Vorjahr darüber auf Ministerpräsidentenebene – bei gleichzeitiger Anhebung der Transittarife. Das alles in einer Periode von drei Jahren. Die russische Seite hat dieses Abkommen scheinbar vergessen.
Beim letzten Konflikt vor einem Jahr haben Timoschenko und Juschtschenko ja parallel Gespräche geführt. Bei wem liegt nun letztlich die Verhandlungshoheit auf ukrainischer Seite?
Sokolovskyi: An der Spitze der ukrainischen Delegation steht der Chef des ukrainischen Energiekonzerns Naftogaz. Er hat das Recht, die Verhandlungen zu führen und alle Verträge zu unterzeichnen. Die russische Seite hat diese Entscheidung angenommen. Einen Entwurf über einen Vertrag über Preise und Transit gab es dann bereits Mitte November. Das Problem war dann aber, dass sich die Positionen der russischen Seite mehrmals geändert haben.
Was bedeutet das jetzt für die Ukraine: Die letzte Forderung steht bei 450 Dollar?
Sokolovskyi: Ja, aber das wissen wir nur aus den Massenmedien. Ein offizielles Angebot gibt es nicht. Warum diskutieren wir jetzt so stark über den Gaspreis? Wir müssen die Preise für Gas und Transit gleichzeitig erhöhen. Das sehen die Vereinbarungen vor. Die russische Seite möchte nur den Gaspreis erhöhen, den Transit aber so billig wie möglich halten. Für uns kann das katastrophale Folgen haben. Nämlich, dass wir im nächsten Winter dieselben Probleme wie jetzt haben. Und Naftogaz kann nicht normal funktionieren, wenn die Transittarife so niedrig bleiben.
Warum kocht dieser Konflikt immer nur um die Ukraine hoch? Warum passiert das nicht mit anderen Transitländern wie etwa Weißrussland?
Sokolovskyi: Lassen wir Weißrussland beiseite. Die Frage müsste man an die russische Seite stellen. Es gibt viele Länder, die bei Russland Gasschulden haben. Aber Gazprom spricht nur über die ukrainischen Schulden. Derzeit haben wir nicht einmal Schulden.
Wie kommentieren Sie den Vorwurf, dass die Ukraine aus den Transitleitungen Gas abzweigt?
Sokolovskyi: Seit heute früh fließt kein Gas mehr. Alle Leitungen sind gekappt. Derzeit wird kein Gas aus Russland in oder durch die Ukraine gepumpt. Und derzeit versorgen wir uns nur aus eigenen Quellen und unseren Gasspeichern.
Was hat die Ukraine letztlich in der Hand im Streit mit Russland?
Sokolovskyi: Wir hoffen, dass so bald wie möglich die Verhandlungen wieder aufgenommen werden. Das könnte schon heute oder morgen passieren. Unsere Vorteile: Wir haben keine Schulden, wir haben schriftliche Vereinbarungen über die Preis- und Transitpolitik auf Präsidenten-, Ministerpräsidenten- und Firmenebene. Diese Abkommen gelten für beide. Eine technische Möglichkeit, die Gasleitungen zu kappen, wie uns vorgeworfen wird, haben wir nicht. Alle Messstationen und Schalthähne der Transitleitungen befinden sich auf russischem Territorium.
Die Ukraine hat also de-facto keine Oberhoheit über ihre Transitleitungen?
Sokolovskyi: Genau. Wenn es heißt, die Ukraine blockiere die Leitungen nach Europa oder drehe den Gashahn zu, so ist das eine Lüge. Wir können die Leitungen rein technisch nicht schließen, auch wenn sie rein formell uns gehören.
Was kann die EU in diesem Konflikt tun? Beide Seiten haben ja die EU um Vermittlung gebeten.
Sokolovskyi: Die Länder der EU sind unmittelbar betroffen. Es ist nicht nur ein ukrainisches Problem. Wir brauchen die EU, um diese Diskussion wieder auf normale Wege zu bringen. Ja natürlich, verhandeln müssen wir selbst miteinander. Aber ohne EU-Unterstützung sehe ich sehr geringe Chancen, dass sich die Lage normalisiert.
Was gedenkt die Ukraine langfristig zu tun, um aus der Energieabhängigkeit von Russland heraus zu kommen?
Sokolovskyi: Es gibt verschiedene Ansätze. Wir versuchen andere Quellen, Wege und Korridore für Energielieferungen zu finden. Es gibt konkrete Projekte. Wir haben etwa vorgeschlagen, ein internationales Logistikzentrum für den Gas- und Öl-Handel zu bauen. Damit sollen die Gas- und Öl-Flüsse automatisch und sehr genau nachgemessen werden können. Heute lässt sich das sehr schwer nachvollziehen. In einer Krise wie der gegenwärtigen, wäre das ein sehr hilfreiches Instrument.
Sokolovskyi: Inwiefern hat die jetzige Eskalation Einfluss auf die bevorstehenden Präsidentenwahlen in der Ukraine?
Sokolovskyi: Ich möchte nicht, dass Öl und Gas Auswirkungen auf die Wahlen in der Ukraine haben. Ich hätte gerne, dass diese Zeiten vorbei sind. Aber die heutige Situation birgt schon dahingehende Gefahren. Das würde aber Nachteile sowohl für die Ukraine als auch für Russland bringen.
Welche Auswirkungen hat die Krise auf die internen ukrainischen Konflikte?
Sokolovskyi: In der jetzigen Situation spricht die Ukraine mit einer Stimme. Aber wenn sie die Art betrachten, mit der die russische Seite die Lieferungen in die Ukraine gestoppt hat, so könnte man zu dem Schluss kommen, dass jemand wollte, dass vor allem der Osten der Ukraine ohne Gas bleibt. Das ergibt sich aus der Art, wie, wann und wo die Leitungen abgeschaltet wurden. Unsere Ingenieure haben es aber geschafft, Gas aus Speichern im Westen in den Osten zu leiten. Russlands Reaktion war die Schließung aller Leitungen in die Ukraine.
Wie lange kann die Ukraine ohne Gas aus Russland durchhalten?
Sokolovskyi: Den Winter werden wir überstehen. Aber es wird nicht einfach werden.
Ist die Ukraine ein sicheres Transitland?
Sokolovskyi: Europa kann sich vergewissern, wie die momentane Situation ist und dass die Ukraine alles tut, um ihren Ruf als sicheres Transitland zu behalten.