Ungarn

Bildung ist der Schlüssel

Mit Bildungsprojekten will der Roma Education Fund dem Rassismus gegenüber Roma entgegnen

(n-ost) - Rund zwölf Millionen Roma leben in Europa, vor allem in Mittel- und Südosteuropa. Viele leiden unter Diskriminierung, Arbeitslosigkeit und schlechter Bildung. Der in Budapest ansässige Roma Education Fund (REF) hat es sich zur Aufgabe gemacht, den Bildungsstandard der Roma zu heben. Denn damit könne auch der Rassismus gegenüber den Roma bekämpft werden, erklärt der REF-Geschäftsführer Tobias Linden im n-ost-Interview.Frage: Am 19. Dezember begann in Berlin der Bau des Mahnmals für die in der NS-Zeit ermordeten Sinti und Roma. Warum ist die Gedenkstätte für die Roma ein wichtiges Zeichen?Linden: Es ist immer wichtig, dass ein Staat historische Diskriminierung und Ungerechtigkeiten gegenüber den Roma begreift. Ein solches Mahnmal ist eine Möglichkeit, dies anzuerkennen. Allerdings sollten Regierungen darauf achten, dass sie nicht nur die Vergangenheit schauen, sondern dass derartiges in Zukunft nicht mehr passiert.Frage: Der Roma Education Fund (REF) fördert Bildungsprojekte für junge Roma in Mittel- und Südosteuropa. Warum nicht in Deutschland?Linden: Deutschland ist kein formelles Mitglied der im Jahr 2003 von zahlreichen mittel- und südosteuropäischen Staaten ins Leben gerufenen Roma-Dekade, in deren Rahmen der REF gegründet wurde. Klar ist aber auch, dass viele Probleme der Roma in dieser Region wie Bildungsdefizite, Arbeitslosigkeit, Diskriminierung oder schlechte Wohnbedingungen auch in Deutschland auftreten.Frage: Es mangelt vor allem an Bildung. Schätzungen zufolge gehen 600.000 schulpflichtige Roma-Kinder in Mittel- und Südosteuropa nicht zur Schule. Warum?Linden: Dafür gibt es mehrere Gründe. Viele Eltern haben nicht genügend Geld, ihre Kinder in die Schule zu schicken. Sie können Fahrtkosten, Schulgeld oder Unterrichtsmaterialien nicht bezahlen. In der Schule werden Roma-Kinder vielerorts von Lehrern und Mitschülern diskriminiert. Ein weiteres Problem ist, dass Roma in etlichen osteuropäischen Ländern in getrennte Schulen oder Einrichtungen für körperlich und geistig Behinderte abgeschoben werden.Frage: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg hat dem doch Ende 2007 einen Riegel vorgeschoben.Linden: Das Urteil gilt nur für die Tschechische Republik. Diese Praxis existiert jedoch immer noch in anderen Ländern wie zum Beispiel der Slowakei oder Serbien. Die separaten Schulen haben zwei gravierende Nachteile. Zum einen unterrichten dort schlechte Lehrer, die Lehrpläne sind miserabel und es fehlen finanzielle Mittel. Zum anderen werden die Roma-Kinder abgeschottet. Sie haben keine Möglichkeit, mit Gleichaltrigen zu lernen und sich in die Gesellschaft zu integrieren. Das ist nicht nur negativ für die Ausbildung und Erziehung der Roma-Kinder, es ist von Nachteil für die gesamte Gesellschaft. Deshalb setzt sich der REF für Schulen ein, die Roma und Nicht-Roma-Kinder gemeinsam besuchen.



Tobias Linden, Geschäftsführer des Roma Education Fund. Foto: REF


Frage: Was unternimmt der REF gegen den Bildungsmangel der Roma?Linden: Der REF hat seit seiner Gründung im Jahr 2005 mehr als 130 Projekte mit etwa 16 Millionen Euro gefördert. Damit werden zum Beispiel Förderprogramme für Schüler sowie Integrationsprojekte unterstützt. Wir organisieren das größte Stipendienprogramm für Roma-Studierende im Hochschulbereich in Europa sowie Mentoringprojekte an Universitäten. Außerdem helfen wir in Mittel- und Südosteuropa Regierungen und Nichtregierungsorganisationen, Geld aus verschiedenen EU-Förderprogrammen für Roma-Projekte zu beantragen.Frage: Mit welchen Staaten klappt die Kooperation besonders gut?Linden: Der REF hat in jedem Land Projekte, die gut angenommen werden. Rumänien zum Beispiel hat ein Stipendienprogramm für Roma-Jugendliche ins Leben gerufen, die die Oberschule besuchen. Am Anfang war das ein kleines Projekt, das auch wir mitfinanziert haben. Als die Regierung den Erfolg sah, hat sie das Programm auch mit Mitteln aus Brüssel auf über fünf Millionen Euro ausgebaut. In Bulgarien unterstützen wir integrierte Grundschulen und helfen, bei Nicht-Roma-Eltern das Verständnis für Roma zu fördern.Frage: Aber nicht überall läuft es so erfolgreich...Linden: In Tschechien und der Slowakei, wo eine große Zahl Roma leben, hat der REF nur sehr wenige Projekte. Wir sprechen viel mit Regierungen und den NGOs vor Ort. Langsam scheinen sie zu erkennen, dass man etwas unternehmen muss. Der REF will ihnen dabei helfen.Frage: Was erschwert Ihre Arbeit?Linden: Den REF gibt es ja erst seit drei Jahren, deshalb stehen wir erst am Anfang. Wir wissen aber mittlerweile, dass viele Roma-Eltern ihre Kinder sehr wohl gerne zur Schule schicken möchten und diese dort durchaus auch Erfolge vorweisen können. Natürlich wendet sich nicht alles über Nacht zum Guten, aber es ist die Basis für eine längere Entwicklung, die die Politiker aber unterstützen müssen. Es hängt auch immer davon ab, wer an der Regierung ist, aber das können wir nicht beeinflussen.Frage: Die Bildungsdefizite der Roma sind nur eines der großen Probleme. Wie bekämpft der REF den Rassismus gegenüber Roma?Linden: Der Kampf gegen Rassismus funktioniert vor allem über Bildung. Das beginnt in gemeinsamen Schulen, in denen Kinder aus Roma- und Nicht-Roma-Familien gemeinsam spielen, lernen und aufwachsen. Dadurch können gegenseitige Vorurteile abgebaut werden. Dank einer guten Ausbildung können Roma auch lohnende Jobs bekommen. Das ist nicht nur für sie und ihre Familien, sondern auch für die Akzeptanz in der Bevölkerung wichtig. So können sie ihren Beitrag für die Gesellschaft liefern.Frage: War der EU-Beitritt etlicher mittel-und südosteuropäischer Staaten für die Roma von Vorteil?Linden: Die EU-Mitgliedschaft hat Vor- und Nachteile. Auf der einen Seite hat sich der Zwang auf die Regierungen, die Rechte der Roma zu fördern, mit dem Beitritt verringert. Während des Aufnahmeverfahrens war der Brüsseler Druck auf die Kandidatenländer weitaus höher, weil sie Erfolge vorweisen mussten. Auf der anderen Seite sehen wir nun, dass der Umgang mit den Roma ein gesamteuropäisches Thema ist. Es ist für jeden Staat und für die EU-Kommission wichtig, die Rechte einer so großen Minderheit zu stärken. Will Europa in Zukunft wettbewerbsfähig sein, kann es sich nicht leisten, Teile der Bevölkerung auszuschließen. Viele Staaten und die EU haben das mittlerweile erkannt.Frage: Wirtschaftlich haben viele Roma aber nicht vom EU-Beitritt profitiert.Linden: Das ist richtig. Die meisten der staatlichen Unternehmen, in denen Roma eine Arbeit hatten, kollabierten während der Transformation in Osteuropa in den 90er Jahren. Viele Roma verloren dadurch ihre Jobs. Die Roma waren, und das wird häufig vergessen, die Leidtragenden der politischen Wende. Diese Situation hat sich bis heute nicht verändert.
Infokasten:Der Roma Education Fund (REF) entstand im Jahr 2005 im Rahmen der „Decade of Roma Inclusion, 2005-2015“. Die Regierungen von Bulgarien, Kroatien, Ungarn, Mazedonien, Rumänien, Serbien, der Slowakei und der Tschechischen Republik verpflichteten sich dabei, die Diskriminierung der Roma zu stoppen. Umsetzen soll das u.a. die in Budapest ansässige Stiftung. Der REF fördert Programme, um vor allem die Bildungsnachteile der Roma-Kinder wie zum Beispiel eine höhere Analphabetenquote oder eine kürzere Schulbesuchsdauer wettzumachen. Bis zu sieben Millionen Euro stehen der Stiftung dafür pro Jahr zur Verfügung. Hauptsponsoren sind das Open Society Institute und die Weltbank. Insgesamt zwei Millionen Euro hat auch die Bundesregierung zugesagt.Nach REF-Schätzungen leben in Europa rund 12 Millionen Roma, die meisten davon in Rumänien (drei Mio.) und Spanien (eine Mio.). Den höchsten Roma-Anteil an der Gesamtbevölkerung gibt es mit jeweils rund zehn Prozent in Mazedonien, Bulgarien und Rumänien. In Deutschland sind schätzungsweise zwischen 110.000 und 130.000 Roma ansässig. Sie machen 0,15 Prozent der Bevölkerung aus.Weitere Informationen unter www.romaeducationfund.huBenjamin Haerdle
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