Regierung will EU mit Pragmatismus führen
Prager Regierung will die die EU ab Januar mit Pragmatismus führen
(n-ost) - „Tschechien ist zwar in der EU, wir verhalten uns aber nicht wie Europäer.” Nicht irgendein Tscheche hat das dieser Tage in einem Zeitungsbeitrag geschrieben, sondern Jiri Pehe, der tschechische Star-Politologe. Früher hatte er Vaclav Havel als Chefberater gedient. Pehes Wort hat Gewicht in der Prager Presselandschaft. Seine Analysen treffen den Kern. Meistens.„Wie wollen wir Europa führen, wenn wir uns nicht einmal selbst führen können?“, fragte er in diesem Essay. Das war ein Hinweis auf die Regierung aus Liberal-Konservativen, Christdemokraten und Grünen, die im Parlament keine Mehrheit mehr hat und ständig ums Überleben kämpft. Durch zwei Wahlen im zu Ende gehenden Jahr schwer gebeutelt, hat sie das von den Sozialdemokraten geführte linke Lager am Hals. Die Ratifizierung des Lissabon-Vertrages wurde auf Antrag der größten Regierungspartei, der ODS, auf Februar kommenden Jahres verschoben. Aus reiner Angst, dass derzeit nicht genügend Stimmen für das von beinahe allen europäischen Ländern durchgewinkte Grundsatzdokument zusammenkommen könnten.Pehes Analyse dürfte eine weitere gute Vorlage für Politiker in Westeuropa sein, die Tschechien seit Wochen die Fähigkeit absprechen, Europa in diesen schwierigen Zeiten führen zu können. Nicolas Sarkozy beispielsweise hatte den Tschechen indirekt empfohlen, ihm das Steuer der Union doch einfach zu überlassen. Er sei so gut drin in der Arbeit für Europa. Abgesehen davon, dass dies die Regularien der EU nicht vorsehen – die Tschechen reagierten ziemlich verschnupft. Premier Mirek Topolanek reiste nach Paris, um den rastlosen Sarkozy zu bremsen. Und der gab klein bei. Er werde gern helfen, aber nicht hineinreden, wenn die Tschechen das Sagen hätten.Ähnlich wie Sarkozy schickte dann auch Angela Merkel freundliche Worte nach Prag: Die tschechische Regierung könne sich bei seiner Präsidentschaft auf die volle Unterstützung der Deutschen verlassen. Sie freue sich darauf, mit Topolanek zusammenarbeiten zu können. Und zur Bekräftigung ihrer Verbundenheit fügte sie ein paar Brocken auf Tschechisch an, die sie noch von zwei Prag-Aufenthalten als Praktikantin der Akademie der Wissenschaften der DDR im Gedächtnis hatte.
Karl Fürst Schwarzenberg. Foto: Björn Steinz
„Wir sind zwar keine Großmacht wie Frankreich, verfügen nicht über Atomwaffen oder U-Boote wie Paris, aber wir sind auch keine heurigen Hasen“, hat Prags Europaminister Alexandr Vondra erklärt. „Wir wollen die EU in unserer Präsidentschaft nicht dominieren, eher wollen wir moderieren.“ Und das sollte den Tschechen, die weitaus ambitionierter in ihre EU-Präsidentschaft gehen, als allgemein angenommen wird, auch gelingen.„Barierrefrei“ wollen sie Europa machen, sagen sie. Freizügiger und mit weniger bürokratischen Regeln. Das klingt nicht schlecht. Es wird aber nicht überall gelingen. Schon jetzt ist klar, dass die Deutschen und die Österreicher ihre Arbeitsmärkte den Osteuropäern nicht vorzeitig öffnen werden, wie das andere EU-Länder längst getan haben. Vor allem der deutschen Bundesregierung scheint das im Wahljahr 2009 nicht vermittelbar zu sein.
Außenminister Karl Fürst Schwarzenberg. Foto: Björn Steinz
Außerdem steht die Öffnung der EU nach Osten auf der Agenda von Topolaneks Regierung, nachdem Sarkozy die afrikanischen Mittelmeerländer näher an die Union geholt hatte. „Wir haben nun einmal eine besondere Kompetenz in Osteuropa“, sagt der tschechische Außenminister Karl Fürst Schwarzenberg. Freilich heiße das nicht, dass sich die Tschechen besonders heftig für ein neuaufgelegtes Liebesverhältnis zu Russland stark machen werden.Dennoch sollen die Bindungen zu Moskau wieder enger werden. Schon aus Eigeninteresse. Die Tschechen haben in diesem Jahr erlebt, wie es ist, wenn die russischen Ölquellen plötzlich für sie versiegen. Energiesicherheit für den alten Kontinent steht ganz oben auf ihrer EU-Agenda. Ostkompetenz heißt für Prag auch, für die baldige Aufnahme Kroatiens in die EU zu werben. Kein leichtes Unterfangen, wenn man an die Missstimmung denkt, die die letzten neuen EU-Mitglieder Rumänien und Bulgarien erzeugt haben.Die Prager Ratspräsidentschaft möchte vor allem auch die transatlantischen Bindungen der EU zu den USA und zu deren neuem Präsidenten Obama stärken. Wenn es nach den Tschechen geht, dann soll Prag auch die erste europäische Stadt sein, die der neue Mann im Weißen Haus besuchen wird. Eine besondere Aufgabe sehen die Tschechen auch im Nahen Osten. Sie wollen zwischen Israelis und Palästinensern moderieren und dieses Feld nicht nur den Amerikanern überlassen.
Tschechiens Präsident Vaclav Klaus. Foto: Björn Steinz
Schwierig dürfte es werden, den Iren in Sachen Lissabon-Vertrag gut zuzureden, damit diese dem Reformvertrag in einem zweiten Anlauf zustimmen. Prag ist dabei allerdings in einer schwachen Position, denn Tschechien hat das Dokument selbst noch nicht ratifiziert. „Da können wir schlecht Druck auf Dublin ausüben“, sagt Premier Topolanek.Die Brüsseler EU-Chefs sehen der tschechischen Präsidentschaft gelassen entgegen. Sie bauen auf den EU-freundlichen Topolanek und ignorieren mehr oder weniger den womöglichen Prager Störenfried, Präsident Vaclav Klaus. „Ich habe wichtigere Dinge zu tun, als jede Äußerung von Herrn Klaus zu kommentieren“, diktierte Kommissionspräsident Jose Barroso jüngst den in Brüssel akkreditierten tschechischen Korrespondenten in ihre Blöcke. „Ich habe Herrn Topolanek als jemanden schätzen gelernt, der sich um Brücken zwischen widerstreitenden Parteien bemüht, und nicht als jemanden, der nur an sein eigenes Land denkt“, fügte Barroso hinzu.Während der tschechischen Ratspräsidentschaft soll es denn auch keine innenpolitischen Verwerfungen in Tschechien geben. Die oppositionellen Sozialdemokraten wollen still halten, um den EU-Vorsitz des Landes nicht zu belasten. Eine Entscheidung, die sicher auch Brüssel zu schätzen weiß.
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