Tschechien

Verdirbt Vaclav Klaus die EU-Ratspräsidentschaft?

Welche Aufgabe soll Vaclav Klaus, einem erklärten Gegner der EU, ein halbes Jahr lang übertragen werden?

(n-ost) - „Sie sind hier nicht auf den Pariser Barrikaden“, herrschte Tschechiens Staatschef Vaclav Klaus kürzlich den Fraktionsvorsitzenden der Grünen im Europaparlament, Daniel Cohn-Bendit, an. Cohn-Bendit war mit anderen hochrangigen Abgeordneten aus Straßburg an die Moldau gereist, um auszuloten, was von Klaus während der anstehenden tschechischen EU-Ratspräsidentschaft zu erwarten sei. Das Treffen auf der Prager Burg geriet zum Eklat.Ein Ire nannte die Begegnung von Klaus mit dem Chef der Libertas-Partei, dem Unternehmer Declan Ganley, während eines Staatsbesuchs in Dublin eine „ungeheuerliche Beleidigung des irischen Volkes“. Ganley hatte im Vorjahr mit einer massiven Kampagne dafür gesorgt, dass die Iren den EU-Reformvertrag von Lissabon in einer Volksbefragung ablehnten. Der Chef des EU-Parlaments, Hans-Gert Pöttering, verwahrte sich dagegen, dass Klaus die EU mit der einstigen Sowjetunion verglich. Und Cohn-Bendit hatte ein pikantes Gastgeschenk mitgebracht: eine EU-Fahne – wohl wissend, dass Klaus es abgelehnt hatte, diese Fahne während der tschechischen Ratspräsidentschaft auf seinem Amtssitz zu hissen. Klaus wähnte sich offensichtlich im falschen Film: „So etwas habe ich noch nicht erlebt.“Diese Begegnung war auf keinen Fall das, was man einen guten Auftakt für den tschechischen EU-Vorsitz nennen könnte. Enge politische Freunde von Klaus ließen sich sogar dazu hinreißen, Cohn-Bendit mit Hitlers Prager Statthalter Reinhard Heydrich zu vergleichen. Das Treffen gab einen Vorgeschmack darauf, was der große Rest Europas in den kommenden sechs Monaten mit Klaus erleben dürfte. Der tschechische Präsident wird nicht klein beigeben.



Vaclav Klaus. Foto: Björn Steinz


Als kürzlich auch der scheidende französische Ratspräsident Nicolas Sarkozy Klaus‘ EU-Flaggen-Phobie kritisierte, schnarrte dieser zurück: „Sarkozy verhält sich wirklich unglaublich. Wir haben lange in einem Land gelebt, wo es Pflicht war, eine bestimmte Fahne (die sowjetische) zu hissen, und wir sind da sehr empfindlich.“ Da war sie wieder, die Gleichsetzung der EU mit der früheren östlichen Führungsmacht. Klaus ist davon überzeugt, dass er, der die persönliche Erfahrung mit der kommunistischen Diktatur und Zwangswirtschaft gemacht hat, vieles klarer sieht als seine Kollegen im Westen des Kontinents.Wenn Sarkozy, Brown oder Merkel in der derzeitigen Finanz- und Wirtschaftskrise den Staat und Interventionen der öffentlichen Hand als Allheilmittel betrachten, sträubt sich dem Tschechen das Nackenhaar: „Was unterscheidet den Kapitalismus vom Kommunismus? Im Kommunismus werden die Betriebe zuerst verstaatlicht und dann ruiniert. Im Kapitalismus werden sie erst ruiniert und dann verstaatlicht“, grantelt Klaus. Der Staat sei nicht die Lösung, sondern vielmehr das Problem.Mit solchen Thesen bleibt sich Klaus treu. Schon als junger Mann, im Prager Frühling, erteilte er der Theorie des Ota Sik von einem „dritten Weg“ zwischen Sozialismus und Kapitalismus eine Absage. Auch heute streitet er für Freiheit und freie Märkte. Die EU möchte er am liebsten auf eine Freihandelszone zusammenschrumpfen. Dass er selbst den Antrag Tschechiens zur Aufnahme in die EU gestellt hatte, stehe nicht im Widerspruch zu seiner Grundhaltung. Er wisse, so Klaus, dass es für sein Land schlichtweg keine Alternative gebe.Für die innere Ausgestaltung dieser Union gebe es aber reichlich Alternativen. „Nur eine von ihnen für heilig, für unantastbar zu halten und überdies sie nicht anzweifeln oder kritisieren zu dürfen, ist gegen Europa selbst gerichtet“, verteidigt er seine Haltung. Klaus‘ Problem: Er schwimmt damit ziemlich allein gegen den Strom. Und Europa nimmt ihm das übel. Für Brüssel steht fest, dass es einzig an Klaus liegt, dass die tschechische Ratspräsidentschaft beginnt, ohne dass Prag den Vertrag von Lissabon ratifiziert hat. Ob Klaus das Grundsatzdokument unterschreiben wird, das er selbst für „tot“ hält, steht in den Sternen. Tschechische Verfassungsexperten streiten derzeit, ob für die Ratifikation womöglich die Zustimmung der beiden Häuser des Parlaments ausreichen könnte.



Der tschechische Präsident Vaclav Klaus. Foto: Björn Steinz


Doch es geht nicht nur um Lissabon. Die Frage ist, welche Rolle die tschechische Regierung Vaclav Klaus während der Ratspräsidentschaft zubilligen kann. Mittlerweile gibt es keine Grundsatzfrage mehr, in der Klaus in der EU mehrheitsfähig wäre. Den wenigsten Schaden, so die derzeitige Meinung in Prag, könne er vermutlich als Chef eines Gipfels EU-Kanada anrichten. Die tschechische Regierung betont gebetsmühlenartig, dass sie den Hut für die Präsidentschaft aufhabe, nicht Klaus. Doch sie wird den Staatschef schwerlich sechs Monate „wegsperren“ können, wie ein Prager Kommentator empfahl. Klaus droht somit, zum Klotz am Bein der tschechischen Präsidentschaft zu werden.Die Tragik des Präsidenten ist, dass seine Kritik durchaus diskutabel wäre, würde sich hinter ihr nicht auch und vielleicht sogar in erster Linie seine ausgeprägte Eitelkeit verbergen. „Klaus weiß, dass er immer weniger Einfluss hat, je mehr sein Land in die EU eingebunden wird“, bemerkte eine Kommentatorin treffend. „Und es ist genau diese Aussicht, die für ihn unerträglich ist.“
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