Wut über britische Junggesellenabschiede
Billigflieger machen Riga zum begehrten Ziel für britische Junggesellenabschiede, doch zunehmende Ausschreitungen lassen den Zorn der Öffentlichkeit wachsen
(n-ost) - Ein Freitagabend in Riga: Direkt gegenüber von McDonalds, am Anfang der Fußgängerzone, liegt der Eingang zum „Roxy“, einem zwielichtigen Nachtclub. Ein breitschultriger Mann steht an der Tür und entscheidet darüber, wer in den Club gehen darf und wer nicht. Misstrauisch beäugt der Türsteher fünf junge Männer, die aus der Kneipe nebenan herantorkeln. „Riga ist toll. Hier gibt es viele Frauen, viele Pubs, viel zu trinken, und wir wollen vor allem Spaß haben“, erzählen sie ihm auf Englisch.Die Jungs sind mit dem Nachmittagsflieger einer Billiglinie aus Wales gekommen, um in Riga den Junggesellenabschied ihres Kumpels Gerald zu feiern. Sie hoffen, am Ende der Kneipentour auch noch ein nettes Mädchen zu finden, das sie mit nach Hause nimmt. Der Türsteher verdreht die Augen, lässt die angetrunkenen Männer aber vorbei in den Club. Und schon zieht die nächste Horde johlend vorbei – mehr als zwanzig Männer in einheitlicher Kleidung, in ihrer Mitte der künftige Bräutigam mit einer rosa Perücke, Netzstrümpfen und Mini-Rock. Dafür wird er von seinen Begleitern ausgiebig gefoppt. „Ein Kumpel hat mir Riga empfohlen, weil das der beste Ort für einen Junggesellenabschied ist. Nirgendwo anders würde man so ein geballtes Angebot bekommen wie hier“, lobt Teilnehmer Larry.Angeführt wird der grölende Trupp von der jungen Agnija, die die Briten in ein Restaurant lotst und Bier für die Runde bestellt. „Ich arbeite für eine Event-Agentur“, beschreibt sie ihren Job. „Man fragt uns extra an, wenn man in Riga einen Junggesellenabschied organisieren will, und dann führen wir die Jungs in die richtigen Clubs und bereiten für sie Überraschungen und Späßchen vor. Die meisten wollen allerdings in Striptease-Clubs und Nachtlokale. Es gibt nette Gruppen und solche, die sich besaufen und anfangen zu prügeln.“ Insgesamt sei es aber für sie in Ordnung, wenn die Briten zum Feiern nach Riga kommen.
Auf die Begleitung von jungen Briten spezialisierte Gästeführerinnen. Foto: Berthold Forssman
Das ist eine Einschätzung, die nicht alle Rigenser teilen: Seit Monaten mehren sich die Klagen über betrunkene Briten, die andere Gäste belästigen. Wütende Anwohner beschweren sich über den Lärm. In der Innenstadt lebende Frauen beklagen plumpe Anmachen, wenn sie sich gerade auf dem Heimweg befinden. Das auflagenstärkste Blatt Lettlands Latvijas Avīze brachte auf seiner Titelseite sogar ein entsprechendes Foto mit dem Titel „Die Pinkler und die Kotzer“. Seit Monaten sorgt zudem ein Prozess gegen zwei Briten für Empörung, die im Suff einen Polizisten krankenhausreif geschlagen haben sollen.Als die britische Gruppe um Larry ein Restaurant betritt, beeilt sich ein junges Paar, die Rechnung zu verlangen. „Wir haben schon schlechte Erfahrungen gemacht“, erzählt Dzintars. „Neulich sind wir ausgegangen, da kamen plötzlich zehn bis fünfzehn betrunkene Briten, die sofort das ganze Café übernommen haben. Ich bin sofort gegangen, denn man konnte sich überhaupt nicht mehr unterhalten.“ Dzintars erzählt, wie aufdringlich die Gäste werden und wie sie Frauen belästigen. Es hat sogar schon Fälle gegeben, in denen lettische Fahnen heruntergerissen und geschändet wurden oder Betrunkene ans Freiheitsdenkmal uriniert haben. Dzintars: „Das beweist, dass die Leute das vergessen haben, was man als kulturelle Normen bezeichnet. Nur weil sie woanders sind, glauben sie, sich alles erlauben zu können.“Solche Vorfälle bleiben in der lettischen Öffentlichkeit nicht ohne Folgen: So bekommen viele Letten einen zunehmend schlechten Eindruck von den Briten. Das ist zumindest der Eindruck des Pärchens, das aus dem Restaurant eilt, in das Larrys Truppe gekommen ist. Dzintars' Begleiterin Baiba sagt: „Auf der politischen Ebene hat das keinen Einfluss auf die Beziehungen zwischen unseren Ländern, sehr wohl aber auf der persönlichen Ebene. Letten zeigen normalerweise keine solche Aggression gegenüber anderen.“
Einschlägige Nachtclubs erwarten die Junggesellen in Riga. Foto: Berthold Forssman
Noch drastischer sieht es die lettische Frauenorganisation Marta, die sich um die Opfer von Missbrauch und Prostitution kümmert. Ihrer Einschätzung nach hat mit den Billigfliegern auch die Zahl der Sextouristen drastisch zugenommen. Immer häufiger riefen verzweifelte junge Frauen an, die mit falschen Versprechungen nach Riga gelockt und dann gezwungen würden, ihren Körper an ausländische Touristen zu verkaufen, berichtet Nikola, eine der Mitarbeiterinnen.„Die Billigflieger bringen ziemlich viele von den Abenteuersuchenden zu uns, die sexuelle Vergnügen suchen“, sagt Nikola. Es ist weit bis nach Riga, deshalb ist die Reise verhältnismäßig preiswert. An den Wochenenden sei der Flughafen voll mit potenziellen Sextouristen, so Nikolas Eindruck. „Wir zahlen jetzt den Preis dafür, dass Lettland Mitglied in der EU geworden ist“, kritisiert sie. Ein Gesetz, durch das die Freier bestraft werden könnten, sei bislang nicht in Sicht. Die britische Botschaft will sich zu den Vorwürfen nicht äußern, und auch die lettischen Politiker scheuen eine offizielle Stellungnahme: Schließlich profitiert die heimische Gastronomie von den Sauftouristen.Immerhin hat die Stadtverwaltung von Riga die Zahl der Wachmänner nach dem Angriff auf einen Polizisten in der Altstadt drastisch erhöht. Auch vor dem Freiheitsdenkmal steht am Wochenende regelmäßig ein Streifenwagen, falls ein betrunkener Tourist wieder einmal nicht den Weg zu einer öffentlichen Toilette findet. Kārlis Gebauers, Wirt einer Altstadtkneipe, wiegelt allerdings angesichts allzu großer Hysterie ab: „Im Großen und Ganzen glaube ich, dass es positiv ist, wenn Touristen nach Riga kommen. Aber wenn es andere Gruppen wären als ausgerechnet diese Junggesellen, wäre es noch besser.“
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