Tschechien

Nachbarn in einer größer gewordenen Welt

Der deutsch-tschechische Stammtisch in Cheb pflegt „gute Nachbarschaft“ über einfache Verständigung

(n-ost) - „Dobry večer, mily přatele! Guten Abend, liebe Freunde!“ Der Gruß erklingt zweisprachig und wird vielstimmig erwidert. Dass sich das Deutsche wie das Tschechische ein bisschen holprig anhören, stört niemanden. Die Verständigung funktioniert in der Runde nicht nur über Worte, sondern vor allem über Herzlichkeit und offene Anteilnahme.„Ahoj sousede! Hallo Nachbar!“ heißt der tschechisch-deutsche Stammtisch, der sich einmal pro Monat in Cheb (Eger) in Westböhmen trifft. Sein Name ist Programm. „Wir verstehen uns nicht als Sprachrohr für irgendjemanden“, sagt Günther Juba, einer der Organisatoren, „sondern einfach als Nachbarn in einer größer gewordenen Welt.“Juba, ehemaliger Sonderschullehrer aus der oberpfälzischen Grenzstadt Waldsassen, knüpfte gleich nach dem Fall des Eisernen Vorhangs Beziehungen zu einer Schule im böhmischen Franzensbad. „Daraus hat sich eine echte Freundschaft entwickelt“, erzählt er. „Parallel dazu ist das politische Klima zwischen Tschechien und Bayern immer kühler geworden.“ Juba wollte sich damit nicht abfinden. Als er mit seinem Tschechisch-Kurs Deutsch lernende Tschechen in Cheb in Westböhmen besuchte, wurde die Idee des Stammtischs geboren.Am 1. Mai 2000 wurde der Stammtisch aus der Taufe gehoben. Die anfangs kleine Gruppe „absoluter Exoten“ ist inzwischen zu einer geselligen Runde geworden: Jeden Monat treffen sich 40 bis 50 Frauen und Männer reiferen Alters im Hotel Barbarossa in Cheb – schon über hundert Mal. Die Stammtisch-Mitglieder reisen aus den böhmischen Bädern an, aus der nahen und weiteren Oberpfalz, aus Oberfranken und aus Sachsen. Zwei der „Exoten“ nehmen sogar Entfernungen von bis zu 200 Kilometern in Kauf.Wer einmal dazu gestoßen ist, bleibt dem Stammtisch in der Regel treu. Das mag an der unvoreingenommenen, herzlichen Aufnahme liegen, die Neulingen zuteil wird. „Wir haben eigentlich nur erwartet, dass wir hier unsere Kenntnisse in der deutschen Sprache erweitern können“, schildert Petr Novotny aus Cheb, der mit seiner Frau Magda seit fünf Jahren zu den Besuchern zählt. „Aber wir haben hier viele Freunde gefunden, bessere als in unserem Land.“ Inzwischen ist Novotny zum „tschechischen Standbein“ des Stammtischs geworden. Zusammen mit Juba organisiert er die Treffen und darüber hinaus gemeinsame Ausflüge.



Petr Novotny (links) und Günther Juba heißen jeden Monat zum deutsch-tschechischen Stammtisch willkommen. Foto: Beate Franck


Unter den Gästen sind etliche, die über den Stammtisch zu ihren Wurzeln zurückkehren – von diesseits und jenseits der Grenze. So wie Heidemarie Ochozkova, deren Vater als Facharbeiter von der Vertreibung verschont blieb. Das deutsche Mädchen, das bei Komotau aufwuchs, lernte sich anzupassen und ebenso rasch die tschechische Sprache. Dennoch hat die heute 64-jährige tschechische Staatsbürgerin, die im kleinen Kurbad Frantiskovy Lazne (Franzensbad) lebt, stets den Kontakt mit Deutschen gesucht, „aus einem innerlichen Bedürfnis, denn ich fühle mich als Deutsche“.Ein ähnliches Bedürfnis zieht Erich Schuhmann aus der anderen Richtung an den Stammtisch. Er ist in Cheb geboren, seine Familie hat eine Gastwirtschaft bei Franzensbad geführt. Den Pappkoffer, in dem der damals Siebenjährige 1946 seine Habe in die Oberpfalz rettet, hat er noch. „Aufrechnen will ich nichts“, sagt Schuhmann, „sondern Verbindungen knüpfen. Wir müssen nach vorne schauen.“Obwohl es viele ähnliche persönliche Geschichten gibt, bleibt der Versöhnungsgedanke bei den Gesprächen eher im Hintergrund. Sich ohne Druck und offizielles Programm in der Sprache des anderen austauschen zu können, ist für viele wichtig. „Hier funktioniert Verständigung auf unterster Ebene – ohne politische Vorgaben, darum geht es“, sagt Günter Bader. Der Mann aus Zeitz in Sachsen-Anhalt hat noch zu DDR-Zeiten Tschechisch gelernt, um als Urlauber im sozialistischen Bruderland nicht sprachlos zu sein. In Böhmen wird er nun häufig irrtümlich für einen Sudetendeutschen gehalten. Bader ist über skurrile Umwege auf den Stammtisch gestoßen, den weiten Weg aus der Nähe von Leipzig aber scheut er nicht: „Mir hat der Stammtisch schon viel gegeben. Ich freue mich jeden Monat darauf.“„Wer kommt, ist willkommen“, sagt Juba. „Was zählt, ist das Interesse am Nachbarn.“ Mit dieser einfachen Philosophie hat der Stammtisch auch überregionale Neugierde geweckt. Fernsehbeiträge wurden über ihn gedreht. Eine Studentin hat kürzlich die Stammtisch-Mitglieder zu Studienobjekten für ihre Diplomarbeit auserkoren. Eine Historikerin aus Prag sammelte bei ihnen Grußbotschaften an tschechische Kinder. „Immer wieder neu, immer wieder überraschend“, empfindet Juba die Zusammensetzung der Runde. Die Idee der „guten Nachbarschaft“ wird er mit Petr Novotny deshalb jeden Monat weitertragen, wenn es heißt: „Dobry večer mily přatele, guten Abend liebe Freunde!“
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