Belarus

Gastarbeiter in der Freiheit

Auf den ersten Blick ist Belsat ein ganz normal international agierendes Unternehmen: Es erhält seine Rohstoffe aus Weißrussland und produziert in Polen und Litauen. Doch der Grund für die transnationale Arbeit ist kein ökonomischer. Belsat ist ein weißrussischer Fernsehsender und möchte nur eines: ein professionelles, journalistisch hochwertiges Programm anbieten. Das ist in Weißrussland nicht möglich. Deshalb entstehen die Fernsehsendungen außerhalb des Landes. Die Mitarbeiter sind Arbeitsmigranten um der beruflichen Freiheit willen.


Aleks Zaleuski an seinem Arbeitsplatz in Warschau / Agnieszka Hreczuk, n-ost

Das Rohmaterial für die Sendungen entsteht in Minsk, Hrodno, Baranovitsche und in Dutzenden weiteren Städte und Ortschaften Weißrusslands. Dann geht das vormontierte Material nach Warschau in Polen oder Vilnius in Litauen. Dort wird es weiter zu Beiträgen verarbeitet. Das endgültige Produkt, also die fertigen Sendungen, entsteht in Warschau. Präsentiert werden sie zum Beispiel von Aleks Zaleuski, der täglich um 17 Uhr live vor die Kameras tritt.Aleks arbeitet als Sprecher und Reporter für Belsat. So wie seine rund 70 belarussischen  Kollegen hat er den Schritt ins Ausland gewagt, um als TV-Journalist ein Programm produzieren zu können, das er selbst gern in Weißrussland schauen würde. Doch dort werden die Medien vom Staat gelenkt.

Freie Berichterstattung ist nicht möglich. Dennoch haben es sich Aleks und seine Kollegen zum Ziel gesetzt, gerade die weißrussischen Bürger objektiv zu informieren. Ca. 130 Leute arbeiten zurzeit bei Belsat, über die Hälfte davon sind Weißrussen oder Menschen belarussischer Abstammung, alle sind gelernte Journalisten. Den Rest bilden Einheimische: je nach Land Polen, Litauer oder Tschechen. Sie sind vor allem in den Bereichen Organisation und Technik tätig.Objektivität ist das wichtigste Ziel der Belsat-Journalisten. Die Beiträge müssten Probleme von mehreren Seiten betrachten, sagt Aleks und meint Journalismus wie in einem demokratischen Land eben. So eine Herangehensweise ist allerdings noch immer verboten. Journalisten dürfen nicht frei berichten, und wenn sie es doch tun, müssen sie um ihren Job fürchten.


Aleks Zaleuski und Siarhei Pelesa bei der Planung der nächsten Sendungen / Agniezska Hreczuk, n-ost

„Seitdem ich in Warschau arbeite, wünsche ich mir, dass ich genauso in Belarus arbeiten könnte“, sagt Aleks. Aleks Zaleuski stammt aus Hrodno und  studiert jetzt weißrussische Philologie und Politikwissenschaft in Warschau. Ein Jahr lang hatte er in einem alternativen Radiosender gearbeitet. Vorher bei einer Zeitung, die vom Regime des Präsidenten Aleksandr Lukaschenko wegen eines kritischen Artikels geschlossen wurde. Seit über einem Jahr sitzt er nun in dem Newsroom bei Belsat in Warschau.Für den jungen Reporter war es eine völlig neue Erfahrung, dass „man hier als Journalist alles legal machen darf“. Er wird bei Dreharbeiten nicht festgenommen, an jeder Veranstaltung darf er teilnehmen. Das war wie ein Schock, an den er sich erst gewöhnen musste. Für seine westlichen Kollegen dagegen sind das ganz normale Arbeitsbedingungen.„Im Ausland genießt ein Journalist Stabilität“, sagt Aleks.

Die Journalisten, die  bei alternativen Medien arbeiten, leben ständig im Ungewissen, erzählt er. Zum ersten, weil sie nicht wissen, ob die Zeitung am folgenden Tag noch existiert. Zum zweiten, weil sie nicht wissen, ob sie ihr Honorar bekommen. Zum dritten, weil sie wissen, sie können in jeder Minute festgenommen werden. Deshalb gibt es unter den  kritischen Journalisten vor allem junge Leute. Ab einem bestimmten Alter wird oft die Begeisterung für den Beruf – die Berufung – durch Vernunft und Verantwortung für die  Familie ersetzt. Aleks ist 22 und damit allerdings nicht der jüngste in der Firma. „Das Durchschnittsalter bei Belsat ist unter 30“, sagt Siarhei Pelesa, selbst leicht über dieser Grenze.

Die meisten sind direkt nach dem Studium gekommen. Sie haben unterschiedliche Fachrichtungen studiert, allerdings nie Journalismus, denn dafür braucht man in Belarus eine Sonderzulassung, erteilt von dem Regime. So sind die meisten Belsat-Mitarbeiter Philologen, Historiker oder Lehrer. Ausgebildete Journalisten sind nur diejenigen, die nach dem Abitur im Ausland ihr Berufsleben begonnen haben, wie Siarhai. „In Weißrussland hat man keine Wahl als angehender Fernsehjournalist – entweder man geht zu einem staatlichen Sender oder zu gar keinem“, erklärt er.

Doch ohne Unterstützung der regierenden Partei kommt man gar nicht in dem staatlichen Sender unter. Viele versuchen es deshalb auch gar nicht erst, zumal der Sender, so Aleks und Siarhai, kaum etwas mit objektivem Journalismus zu tun hat. Dann bleibt nur der Weg ins Ausland. Dabei benötigen gerade Journalisten die entsprechenden Sprachkenntnisse.Deshalb würden so viele angehende Journalisten a gern bei dem Sender Belsat einsteigen. Mehr, als der Sender braucht. Das ist umso erstaunlicher, als dass die Journalisten bei Belsat ein Arbeitsverhältnis mit Risiko eingehen.

Denn wer schon einmal bei nichtstaatlichen Sendern gearbeitet hat, bekommt kaum noch eine Chance, wieder in größeren staatlichen Sendern zu arbeiten. Belsat wird immer noch vom Regime als feindliches Projekt betrachtet. Wer Pech hat, und bei Belsat doch nicht länger bleiben darf, dem sind auch zu Hause alle Türen verschlossen. Ein Bewerber bei Belsat nimmt also immer ein großes Risiko in Kauf. Deshalb basiert jeder Unternehmenszweig von Belsat vor allem auf den weißrussischen Exil-Gruppen in Polen, Litauen und Tschechen. In Polen gibt es zudem die Unterstützung der belarussischen Minderheit, die seit Jahrhunderten in Ostpolen lebt. Die Organisation des Unternehmens richtet sich nach den Arbeitskräften vor Ort.

„Es gilt eine strenge Arbeitsteilung“, erzählt Pelesa. Jeder Zweig konzentriere sich auf die Produktion der Sendungen, für die die Mitarbeiter am besten geeignet sind.In Vilnius wird eine politische Talkshow gedreht, weil an der dortigen Uni viele weißrussische Politikwissenschaftler sitzen. In Prag, wo die Hauptredaktion des Radios „Svoboda“ mit bekannten weißrussischen Exil-Journalisten sitzt, entsteht die Wochenschau mit politischen Kommentaren. In Polen, wo jährlich mehrere hundert weißrussische Absolventen die Unis verlassen, sind der Newsroom und das Interview-Studio angesiedelt.

„Alles geht streng nach der Gewinn-Kosten-Rechnung“, sagt Siarhai und lacht. Es ist jedoch eine politische Ökonomie. Klar ist: Allein hätte es der Sender nicht geschafft. Im Gegensatz zu anderen  internationalen Unternehmen braucht er finanzielle Unterstützung. „Rund sechs Millionen Euro bekommen wir von Polen, Litauen finanziert die komplette TV-Sendung, Radio Svoboda aus Tschechien die Wochenschau. Irland und Kanada beteiligen sich an der Produktion, von der Deutschen Welle bekommen wir sehr günstig gute Programme“, zählt Pelesa auf.

Vor kurzem rief sogar das EU-Parlament seine Mitgliedsländer zur  Beteiligung bei Belsat auf. Auf diese Internationalisierung sind die Belsat-Mitarbeiter sehr stolz. „Ein solches Projekt gibt es nirgendwo“, sagt Pelesa. Dieses Gefühl wiegt die Schwierigkeiten bei der Produktion auf. Dazu gehören vor allem  logistische Probleme und Kosten. Denn die Materialien werden an mehreren Orten produziert und müssen dann sendefertig nach Warschau geschickt werden. Aus Vilnius und Prag ist das zwar zeitaufwendig, aber vergleichsweise unkompliziert. Anders sieht das mit dem Stoff aus Belarus aus. Kürzere Beiträge werden übers Internet verschickt, verrät Pelesa. Für die längeren gilt: „Wir haben unsere Wege.“Die weißrussischen Behörden wissen sehr gut, bei welchen Personen sie das Material suchen müssen. „Manchmal, wie vor den Wahlen, werde ich als einziger in einem ganzen Zug durchsucht“, erzählt Aleks. Und das, obwohl der Zug aus Weißrussland nach Polen für die vielen Wodkaschmuggler bekannt ist.

Zu finden gab es bei Aleks nichts. Aleks und Siarhai pendeln regelmäßig über die Grenze. Zwischen ihrer Arbeit und ihrem zu Hause liegt nicht nur ein langer Weg, sondern auch eine Grenze, die Europa und den Schengen-Raum von Belarus  trennt. Emigrant nennt sich deshalb niemand bei Belsat. Aleks und Siarhai fühlen sich am ehesten wie Gastarbeiter. Denn am liebsten würden sie doch bei sich zu Hause arbeiten, in Minsk oder Hrodno. Wenn die Arbeitsbedingungen dort so sind wie jetzt in den EU-Ländern Mittelosteuropas, dann kehren die Journalisten zurück nach Belarus.


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