Ukraine

Timoschenko und Juschtschenko legen Koalition wieder auf

Am Ende aller Streitigkeiten in der ukrainischen Regierung steht das Alte – nur mit einem neuen Henkel. Am Dienstag wählte das Parlament in Kiew seinen neuen Präsidenten: Volodymyr Lytvyn, der unter dem früheren Präsidenten Leonid Kutschma  er das Abgeordnetenhaus geleitet hatte. Heute ist er mit einer eigenen Fraktion im Parlament vertreten. Seine Wahl markiert eines: den Beginn einer neuen Koalition –  besser gesagt, eines Neuversuchs der alten Koalition, die vor kurzem auseinander gebrochen war.

Neuwahlen, wie von Präsident Viktor Juschtschenko angestrebt, sind damit zumindest vorerst vom Tisch. Die ihm nahe stehende NU-NS und die Partei von Premierministerin Julia Timoschenko (BYuT) wollen ihre Regierung fortsetzen – unter Einbindung der Partei Lytvyns.

Lytvyns Wahl am Dienstag fiel für das notorisch zerstrittene Parlament überraschend deutlich aus. 244 der 422 anwesenden Parlamentarier stimmten für Lytvyn. BYuT, NU-NS und Lytvyns Block vereinen zusammen 248 Mandatsträger. 226 sind notwendig, um eine einfache Mehrheit zu bilden. Die Koalition steht damit relativ sicher – zumindest was die Sitze angeht. Sie soll jedoch erst in den kommenden Tagen besiegelt werden.Mit Lytvyn haben sich die beiden Parteien der orangefarbenen Revolution eine sehr zwiespältige Figur der jüngeren ukrainischen Geschichte ins Boot geholt. Lytvyn war Ende der 90er-Jahre Bürochef des damaligen Präsidenten Leonid Kutschma. Auf einer Tonaufnahme, die ein Leibwächter Kutschmas geheim mitgeschnitten hatte, wird Lytvyn als einer der Drahtzieher der Veschleppung des Journalisten Georgij Gongadse genannt. Die Aufnahmen sind im Jahr 2000 von dem Politiker Aleksandr Moroz veröffentlicht worden.

Gongadse, der über Korruption in den höchsten Staatsorganen berichtet hatte, war offenbar von Mitarbeitern der Sicherheitsdienste verschleppt, ermordet und enthauptet worden. Der Fall provozierte die erste große Protestwelle gegen Kutschma im Jahr 2000. Die lückenlose Aufklärung des Falls war eines der Hauptthemen, mit dem Juschtschenko und Timoschenko für sich warben und die Ukrainer 2004 zum Aufstand gegen Kutschma aufriefen.Da war es dann Lytvyn, der maßgeblich zum friedlichen Ausgang der orangefarbenen Revolution beitrug. Er war es, der das Parlament nach der ersten Stichwahl der Präsidentenwahl im November 2004 dazu bewegte, den Urnengang für ungültig zu erklären. Erst dieser Schritt hatte den Weg für die Wiederholung der Wahl frei gemacht. Aus dieser ging Juschtschenko als Sieger hervor.

Lytvyn war es auch, der damals den Kompromiss zwischen den Konfliktparteien ausgehandelt hatte, die Wahlkommission neu zu besetzen. Die Vereinbarung sah außerdem eine Verfassungsänderung und den schrittweisen Umbau der Ukraine von einem präsidialen zu einem parlamentarischen System vor.

Das Aushandeln von Kompromissen zieht sich wie ein Roter Faden durch die Regierungskrisen des Landes seit der Revolution 2004. Viktor Juschtschenko weigert sich immer wieder, Kompetenzen abzugeben. Als die Fraktion Timoschenkos diesen Sommer gemeinsam mit der oppositionellen Partei der Regionen ein Gesetz durchsetzte, das Juschtschenko in seiner Macht beschneiden sollte, kündigte der jene Koalition auf, die jetzt mit Lytvyn als Bindemittel wieder belebt werden soll.

Lytvyn gilt als erfahrener Mediator. Und durch seine einstige Nähe zur Kutschma-Administration sowie sein vermittelndes Verhalten 2004 genießt er Respekt in allen politischen Lagern sowie Bevölkerungs- und Landesteilen. Das Meisterstück aber, Timoschenko und Juschtschenko in einer Koalition zusammenzukitten, trauen ihm selbst optimistische Beobachter nicht zu. Das liegt jedoch nicht an Lytvyn als vielmehr an seinen Partnern. Diese, so die Meinung von Experten, seien nicht gewillt, ihre Interessen für ein gemeinsames Ziel zurückzustecken.


Weitere Artikel