Schocktherapie für die Energiewirtschaft
Polen sträubt sich gegen die von der EU geplante Verschärfung des Emissionshandels
(n-ost) - Die Reduzierung des weltweiten CO2-Ausstoßes – das ist der kleinste gemeinsame Nenner von polnischer Regierung und EU im Klimaschutz. Darüber, wie das erreicht werden soll, gehen die Meinungen weit auseinander. Der Streitpunkt ist der Emissionshandel. Er ist Teil des EU-Klimapakets, das auf der Konferenz in Posen verabschiedet werden soll.Das EU-Klimapaket basiert auf dem „3 mal 20 Prinzip“: Bis zum Jahr 2020 soll der CO2- Ausstoß um 20 Prozent reduziert und der Anteil der erneuerbaren Energien auf 20 Prozent erhöht werden. Um die Unterzeichner-Staaten dazu zu motivieren, soll jede Tonne des in die Luft gestoßenen CO2 Geld kosten – ein System, das so ähnlich bereits in der EU funktioniert. Energiezertifikate heißen die individuellen, bislang kostenlosen CO2-Kontingente, die jeder Staat bekommt. Die zugelassene Menge CO2-Ausstoß wird dann national zwischen Fabriken und Unternehmen aufgeteilt.Diejenigen Unternehmen, die ihr Kontingent an CO2-Reduzierung durch kostengünstige und energiesparende Maßnahmen nicht ausschöpfen, dürfen die nicht benötigten Zertifikate auf einer Energiebörse verkaufen, wo sie gutes Geld bringen. Ein Novum in dem System: Ab 2013 sollen die Zertifikate für Energieproduzenten nicht mehr kostenlos sein, dann werden alle Luftverschmutzer die Zertifikate auf einer internationalen Zertifikatenbörse ersteigern müssen. Energieintensives Wirtschaften wird also richtig teuer.Diese Idee gefällt der polnischen Regierung, den Energieproduzenten und großen Fabriken gar nicht. Nicht, dass Polen etwas gegen die Klimarettung hätte, wiederholen Politiker und Wirtschaftskreise gebetsmühlenartig. „Aber nicht unter den Bedingungen, die unsere Wirtschaft zerstören“, sagt Andrzej Chwas vom Wirtschaftsministerium in Warschau. Nichts anderes bedeute das Klimapaket, ist er überzeugt.Trotz regelmäßiger Nachrichten über die Entdeckung von Erdölvorkommen hat Polen keine wichtige Lagerstätte. 69 Prozent des Erdgases und 95 Prozent des Erdöls kommen aus dem Ausland, und zwar aus Russland, was zumindest in Polen derzeit als sehr unsichere Quelle gilt. Gleichzeitig gehört Polen zu den Ländern weltweit, die sich rein theoretisch vollkommen eigenständig mit Energie versorgen könnten – aus der Kohle. Die reiche Stein- und Braunkohlevorkommen machen Polen zu einem europäischen Potentaten in diesem Bereich.Beinahe 95 Prozent des Stroms in Polen kommen aus der Kohle. Mehr als die Hälfte dieses fossilen Brennstoffes, der in der EU verbrannt wird, stammt aus Polen. Aus Deutschland, dessen Wirtschaft ebenfalls immer noch auf Kohle gestützt ist, kommen nur 14 Prozent. Mit den Klimapaket müsste Polen auf diese Energiequelle verzichten – also darauf, was vor Ort, billig und in einer Menge vorhanden ist, die für die nächsten 300 Jahre reichen soll.Hinzu kommt: Der veränderte Emissionshandel würde nicht nur einen Wechsel der Importpartner und Änderungen in der Energiequellenstruktur hervorrufen. Er würde eine mentale Umstellung für ein ganzes Volk erfordern. Denn die Kohle hat Jahrzehnte lang Tausenden Menschen Arbeit gegeben – eine Situation, in der sich kein anderes Land in der EU befindet.Die polnische Regierung argumentiert noch weiter: Die jetzt geplanten Regeln würden einen enormen Preisaufstieg verursachen. Der Preisanstieg für die Haushalte würde bei 90 Prozent liegen – ein Szenario, das den Bürger erschreckt. „Die steigenden Energiekosten werden wohl auch zu einer Krise der polnischen Wirtschaft führen”, sagt Jacek Skorski, stellvertretender Vorstandsvorsitzender von Kopalnia Weglowa SA. „Die stark energieabhängigen Branchen, wie Zement- und Hüttenindustrie, werden dann Pleite machen.“ Rund 500.000 Menschen würden ihren Job verlieren.In diesem Fall würde das Bruttoinlandsprodukt deutlich sinken – in einem Umfang, der größer ist als die gesamte EU-Strukturhilfe. So lauten zumindest die Prognosen der pessimistischen Wirtschaftswissenschaftler. Sie sorgen zusätzlich dafür, dass die Haltung der polnischen Regierung eine breite Unterstützung in der Gesellschaft findet. Der Bevölkerung werden die Alternativen teurer Strom und Klimapaket oder stabile Preise und kein Klimapaket präsentiert.„Was für ein Blödsinn“, ärgert sich Andrzej Kassenberg vom Institut für Ökologische Entwicklung in Warschau. „In der Debatte wird zu wenig über die Verschmutzung und deren Folgen auch für uns in Polen gesprochen.“ An eine Preiserhöhung von 90 Prozent glaubt er nicht. Nach seiner Berechnung wären es nicht mehr als 30 Prozent, sagt er. Dabei, betont Kassenberg, hätten sich Polens Energielieferanten bereits im September an die zuständige Behörde wegen einer Genehmigung für eine Preiserhöhung gewandt. Sein Fazit: „Sie erhöhen die Preise, unabhängig davon, ob das Paket angenommen wird.“Kassenberg vertritt eine provokante Meinung: „Das Klimapaket wäre für Polen vorteilhaft“, sagt er. „Denn ohne eine Schocktherapie ändert sich in der polnischen Energiewirtschaft nichts.“ Vor allem die Herstellung und Nutzung der Energie müssten effektiver sein, die erneuerbaren Energien müssten eine größere Rolle spielen. Heute beträgt der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung weniger als 0,5 Prozent, in Deutschland beträgt diese Zahl nach Angaben des Umweltministeriums gut 14 Prozent, behauptet Kassenberg. Ein Anstieg auf 17 Prozent in Polen hält er für möglich. Vor allem die Regierung müsste einen guten Willen zeigen und die Unternehmen zum verringerten CO2-Ausstoß motivieren. Im Gegenzug könnte sie ärmere Bürger nach der Preiserhöhung unterstützen und den Einsatz energiesparender Geräte fördern, argumentiert Kassenberg.Donald Tusk und seine Regierung wollen bei der Klimakonferenz indes hart verhandeln. Ihr Kompromissvorschlag lautet: Ja zur Zertifikatebörse, aber schrittweise. Das bedeutet, dass sie dem Versteigerungsprinzip grundsätzlich zustimmen, gleichzeitig aber einige kostenlose Kontingente behalten wollen. Diese sollen dann schrittweise abgeschafft werden. „Die EU kann nicht erwarten, dass wir innerhalb weniger Jahre die Entwicklung durchmachen, für die Westeuropa ein paar Jahrzehnte gebraucht hat“, sagt Andrzej Chwas vom Wirtschaftsministerium.Chwas verweist auf eine positive Tendenz in Polen: Die CO2 -Emission sei in den vergangenen 20 Jahren um 30 Prozent gesunken, und zwar durch die Modernisierung von Kraftwerken und die Förderung von erneuerbaren Energien auf lokaler Ebene. Dafür sollte Polen gelobt werden, statt es für seine geophysische Lage und die kommunistische Wirtschaft zu bestrafen. „Zumindest für diese Kraftwerke, die über moderne, umweltfreundlichere Systeme verfügen, sollten die Zertifikate weiterhin kostenlos bleiben“, fordert Chwas. Polen überlege ihm zufolge außerdem, ob es teilweise auf Kernenergie umsteigt – entweder aus Litauen importiert oder sogar aus eigenen Atomkraftwerken.Nachgeben will die politische Regierung also nicht. Und ganz unerwartet bekommt sie noch weitere Unterstützung. Auf dem Visegrad-Gipfel Anfang November entschied die Staatsoberhäupter der mitteleuropäischen Staaten Tschechien, Slowakei und Ungarn, dass sie den polnischen Standpunkt unterstützen werden. Weitere unterstützende Stimmen kommen aus Rumänien, Bulgarien und den baltischen Staaten.
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