Bukarest ist auf Bauboom nicht vorbereitet
Dank fehlenden Denkmalschutzes und illegaler Baupraktiken ist der Bauboom für Bukarest mehr Fluch als Segen
(n-ost) - Jeder Bukarester schluckt täglich ein Kilo Staub. Keinen Feinstaub, sondern Baustaub. Seit dem EU-Beitritt erlebt die Hauptstadt Rumäniens einen Bauboom. Glänzende Glasfassaden und Bürotürme drängen sich protzig zwischen kleine Kirchen und verfallene Wohnblocks aus sozialistischen Zeiten. Oft ist gar nicht mehr zu sehen, wo eine Baustelle anfängt und endet. In den ersten drei Quartalen des Jahres 2008 wuchs die Baubranche um 32 Prozent. Jeder freie Zentimeter wird in Bukarest zum Bauen genutzt – selten mit ansehnlichen Resultaten.Bukarest braucht Fläche, dringend. Büro-, Wohn- und Verkaufsfläche sind in der rumänischen Haupstadt Mangelware. Rund ein Dutzend Einkaufzentren in einer fast Drei-Millionen- Metropole fordern Investitionen geradezu heraus. Zum Vergleich: Der Großraum Berlin mit gut vier Millionen Einwohnern verfügt mit 72 Einkaufszentren über sechsmal so viele Zentren wie Bukarest. Ähnlich ist die Situation mit Büroflächen. Der Markt hat sich im vergangenen Jahr enorm entwickelt. Anfang 2009 wird es doppelt soviel Bürofläche in Bukarest geben wie Ende 2007. Damit wird die Schwelle von einer Million Quadratmeter Bürofläche geknackt, über 70 Prozent der Büros sind bereits vermietet.
Das Flair von Bukarest - riesige Glasbauten neben zu schützenden alten Häusern. Foto: Agnieszka Hreczuk
Am größten ist der Bedarf an Immobilien auf dem Wohnungsmarkt. Anders drückt es Shimon Golan, Geschäftsführer der GTC Romania, aus: „Wohnungsmangel“, sagt er knapp. Seine Firma baut in allen Sparten, doch Wohnungen sind für Golan am vielversprechendsten. „Vor 2000 wurden in Bukarest im Schnitt nur 100 Wohnungen jährlich übergeben. In Warschau mit rund 2 Millionen Einwohnern waren es 10.000 Wohnungen.“ Das, was in Mittelosteuropa schon in den 90-er Jahren stattfand, passiere in Rumänien eben erst, seitdem verstärkt Investitionen aus dem Ausland fließen.Der plötzliche Geldfluss ist aber alles andere als ein Segen: „Die Investitionen haben Rumänien erreicht, aber auf soviel Geld waren wir gar nicht vorbereitet“, sagt Vera Martin aus Bukarest. Die junge Architektin ist über den Bauboom in ihrer Stadt gar nicht glücklich. Vor allem, sagt sie, weil er Bukarest langfristig nichts Gutes bringe. Gebaut werde großzügig, doch dabei denke niemand an die nötige Infrastruktur oder so etwas einfaches wie Baustellenabsicherung.
Alte Fassaden bleiben nur selten erhalten und müssen vielfach großen Neubauten weichen. Foto: Dörthe Ziemer
Außerdem fehlen für die Bauplanung und -ausführung jegliche Vorschriften. Vera Martin zeigt Fotos von ihrer Stadt: Auf einem ist ein verlassener Palast in einem Garten zu sehen. Auf dem nächsten Foto derselbe Ort, statt des Palastes aber mehrere bauklotzartige Bürohäuser. Die Bäume sind weg. Die Behörden haben die Veränderung nur durch Zufall entdeckt. Eine Genehmigung hatte der neue Besitzer für den Kahlschlag nicht. Er hatte sie auch gar nicht erst beantragt.„So ist es bei uns“ sagt Martin: „Jeder macht, was er will.“ Eigentum werde in Bukarest anders wahrgenommen als beispielsweise in Westeuropa. „Hier ist jeder überzeugt, er dürfe auf seinem Grundstück machen, was er will. Es gibt kein Bewusstsein für die Pflichten, die mit Eigentum einhergehen“, erklärt die Architektin.
Der Platz der Revolution zeigt die verschiedenen Baustile und Bausünden besonders deutlich. Foto: Dörthe Ziemer
Das gilt auch für die alten Wohnblocks aus sozialistischen Zeiten, deren Wohnungen sich heute zu fast 90 Prozent in Privateigentum befinden. Die Wohnungen wurden nach der Wende für wenige Groschen gekauft. Doch die Besitzer haben oft nicht begriffen, dass sie sich um den Erhalt und die Renovierungen selbst kümmern müssen. Viele sind nicht bereit, für ihre Wohnung in einem Wohnblock Geld zu bezahlen. Oder sie haben es einfach nicht – der Durchschnittslohn liegt in Bukarest derzeit bei 482 Euro.Anderswo wird dagegen viel Geld für Eigentumswohnungen ausgegeben. Mit 300.000 Euro muss man laut Marko Walde von der AHK in Bukarest rechnen, wenn man eine Wohnung am Stadtrand kaufen will. Das sind jedoch nicht irgendwelche Wohnungen, betont Shimon Golan, „modern und exklusiv muss sie schon sein“. Seine Firma GTC ist einer von vier großen Spielern auf dem Markt – alles ausländische Investoren: aus Ungarn, Österreich, Polen und Israel.Nur ein Bauprojekt im Stadtteil Banasea bei Bukarest wird von einem rumänischen Unternehmen durchgeführt, jedoch mit einem großen Anteil britischen Kapitals. Den rein rumänischen Firmen fehle an Kapital für solche riesigen Projekte, sagt Golan. Stolz zeigt er die Wohnungen, die die GTC Romania baut: „Rechts ein Wohnraum mit amerikanischer Küche und Terrasse, links ein Schlafzimmer und noch ein Kinderzimmer.“ Golan führt die Gäste selbst herum. „So sieht der Kunde, was er kauft.“„Die Wohnblocks können Sie hier glatt vergessen“, sagt Golan. „Keiner will mehr darin wohnen.“ Heute suchen viele Bukarester Eigentumswohnungen, Residenzen werden sie genannt. Sie befinden sich in kleineren Häusern, maximal vier bis fünf Stockwerke hoch. Die Siedlungen sind bewacht. Alles nach dem Prinzip: je niedriger das Haus und je näher am Stadtrand, desto exklusiver. „Middle class im Zentrum, Upper-middle und gehobene im Grünen“, sagt Golan.
Großflächige Werbung ist an vielen Häusern Bukarests angebracht – zum Nachteil für deren Bewohner. Foto: Agnieszka Hreczuk
Pipera, ein Viertel im Norden der Stadt, ist so ein Symbol des neuen Bukarests. Vor wenigen Jahren grasten dort noch Kühe auf der Wiese, zwischen kleinen Bruchbuden. Jetzt ist Pipera zum Synonym für Reichtum geworden – eine Siedlung nach westeuropäischem Vorbild, sagt eine Bewohnerin mit deutlichem Stolz in der Stimme. Auf den großen Flächen wurden noch keine Bürgersteine verlegt, dafür wird aber intensiv gebaut.Je nach Geldbeutel ziehen die Leute in die kleineren Häuschen (Miete um 2500 Euro kalt), die größeren Häuser (6.000 Euro) oder in palastartige Residenzen (meistens nur als Eigentum). Die Bauunternehmer stellen sich aber auch auf diejenigen ein, die diese finanzielle Klasse noch nicht erreicht haben. Für sie entstehen drei- bis fünfstöckige Siedlungen mit Wohnungen von 64 bis 200 Quadratmetern. Innerhalb von 15 Monaten wurde fast die Hälfte der 1400 Appartements verkauft, lange bevor sie übergeben werden konnten. Der Preis: 1.400 bis 1.670 Euro pro Quadratmeter.Weil sich die Grundstückpreise in den vergangenen Jahren verzehnfacht haben, wird sogar die kleinste Fläche zum Bauen genutzt. Allerdings ist Platz auch in Bukarest endlich. So kommen die Bauherren nur mit Tricks an die begehrten Baugrundstücke: Innerhalb der vergangenen zehn Jahre seien 50 Prozent der Grünflächen bebaut worden, erzählt die Architektin Vera Martin. Dutzende von historischen Gebäuden genauso.In Rumänien gibt es keine Auflagen, um Baudenkmäler zu schützen – allein der Besitzer hat die Pflicht, den Denkmalschutz zu gewährleisten. Wenn der zu teuer ist, wartet ein Besitzer auch mal, bis das Haus von allein zerfällt. Dann ist der Weg frei für ein neues Glashaus. In der Altstadt von Bukarest ist diese Praxis an vielen Stellen zu sehen. Das Fatale: Es interessiert auch niemanden.Die Bewohner interessieren sich kaum für die Entwicklung ihrer Stadt“, sagt Vera Martin. Schlaglöcher seien ein Thema, weil das Problem alltäglich für jeden Fahrer in Bukarest spürbar ist. Die chaotische Bauplanung und rechtswidrige Abrisse regen jedoch niemanden auf. „Die Folgen fehlenden Denkmalschutzes sind vielen nicht bewusst, man will jetzt einfach nicht daran denken“, schimpft Vera Martin.
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