Ein Samowar mitten in Europa
Für Marina Biljan ist Arbeitsmigration etwas Normales.
Sie wuchs in der Sowjetunion auf. / Veronika Wengert, n-ost
Dass Marina Biljan seit langem internationale Kontakte pflegt, verrät schon ihr Händedruck. Dieser ist kräftig und energisch, eher ungewöhnlich für eine russische Geschäftsfrau. Die sympathische Blondine lacht herzlich. Genau das sei es, was sie ihren slowenischen Sprachschülern neben russischen Vokabeln und Grammatik noch beibringe: Interkulturelle Kommunikation laute das Zauberwort für den beruflichen Erfolg. „Wer mit Russinnen Geschäfte abschließen will, muss wissen, dass diese ihre Hand meistens nur sehr sanft und ohne Druck ihrem Gegenüber entgegen strecken – wenn überhaupt”.
Marina Biljan weiß, wovon sie spricht. „In der Sowjetunion war die Arbeitsmigration in eine andere Republik völlig normal”, erzählt sie. Die 35-jährige Geschäftsfrau wurde in Russlands hohem Norden geboren, wo die Sonne monatelang nur zögernd über dem Horizont emporsteigt und die Menschen ohne dicke Fellmützen nicht auf die Straße gehen. Später zog sie mit ihrer Familie in die Ukraine, wo die Mutter eine Anstellung als Lehrerin zugewiesen bekommen hatte. Dass es sie selbst einige Jahre später noch weiter in den Süden ziehen sollte, hatte zunächst weniger mit dem Job zu tun – sondern mit dem Herzen. Die Liebe, die sie nach Slowenien brachte, ist zwar längst zerbrochen, doch Marina Biljan ist geblieben. Und hat in Ljubljana noch einmal ganz von vorn angefangen, mit einer eigenen Existenz.
Diese erreicht man mitten im Zentrum der slowenischen Hauptstadt, gleich gegenüber dem mit Blechplatten bedeckten sozialistischen Hochhaus, das die Slowenen nur „Metalka” nennen – die Metallene. In einem herrschaftlichen Stadthaus führen einige Stufen ins Untergeschoss hinab. Marina Biljans Existenz beginnt hinter einer massiven Tür, am Pult ihrer Sekretärin. Dort reihen sich ein halbes Dutzend blauer Matrjoschka-Schachtelpuppen nebeneinander und heißen den Besucher willkommen. Marina Biljan betreibt dort ein Sprachlernzentrum für Russisch. Ein wagemutiges Projekt, denn Russisch stand nach dem Fall des Eisernen Vorhangs – wie anderswo in Mittel- und Osteuropa auch – nicht auf der Favoritenliste der Slowenen.
Zunächst brachte Marina überwiegend Diplomaten Russischvokabeln bei, später kamen viele Geschäftsleute hinzu. Heute betreut Marina Biljan 130 Schüler, vom Studenten bis zum Rentner. Und fährt zu Großkunden ins Werk, die ihre Mitarbeiter zur Montage nach Russland entsenden und vorher noch sprachlich fit machen wollen. In dem weiß gehaltenen Unterrichtsraum sind lackierte Palech-Holzlöffel, Nationaltrachten, russische Klassiker der Weltliteratur und ein Samowar ausgestellt – ein Stück russische Kultur mitten in Slowenien.
Marina Biljan erinnert sich: Einfach sei der Einstieg in dem Land nicht gewesen. Zunächst habe sie nur serbokroatische Bücher für Russischlerner im Schulalter vorgefunden, die sie als Unterrichtsmaterial eingesetzt hat. Doch schon bald wurde ihr bewusst, dass ihre Kunden damit nur wenig anfangen können. „Also habe ich mit Hilfe slowenischer Freunde und Kollegen eigene Materialien erstellt.” Diese enthielten ganz praktische Themen. Etwa, wie man ein Geschäftstelefonat mit einem russischen Partner führt. Als Ausgleich zu ihrem Job in der Sprachschule hat Marina einen Verein gegründet, bei dem jeder seine Ideen einbringen und sich verwirklichen könne. Es ist ein interkultureller Verband, der Ausstellungsbesuche auf Englisch organisiert, internationale Poesieabende oder auch mal einen Ausflug in die Berge.
Diese hat Marina Biljan übrigens erst in Slowenien kennen – und lieben gelernt. So sehr, dass sie bereits auf dem Kilimandscharo in Afrika war. Und am Wochenende schnürt sie oft ihre Wanderstiefel – mit oder ohne internationale Begleitung. Bislang seien es noch überwiegend Russen und Ukrainer, die den Weg in den Interkulturellen Verband finden – doch zunehmend werde man „internationaler”, sagt sie optimistisch. Ebenso wie Marina Biljan hat sich auch die Engländerin Pam Welsby in Slowenien selbständig gemacht. Zunächst war dieser Schritt gar nicht geplant, denn die 46-Jährige kam mit einem festen Arbeitsvertrag des internationalen Logistikers DHL nach Slowenien. „Hierher kamen wir jedoch schon bewusst, wir wollten England den Rücken kehren und haben nach einer neuen Heimat in Europa gesucht”, erzählt sie. Da habe die Stellenanzeige des Logistikers perfekt in ihre Pläne gepasst.
13 Jahre sind inzwischen vergangen, seit Pam Welsby und ihr Ehemann Dave mit ihren Koffern in Ljubljana ankamen. Fünf Jahre betreute Pam Welsby vom DHL-Büro Ljubljana aus Kunden in Südosteuropa. Als das Unternehmen Aufgaben an andere Niederlassungen in der Region übertrug, zogen viele Kollegen weg. Doch Pam Welsby blieb in Ljubljana. Und begann beruflich noch einmal ganz von vorne, diesmal mit ihrem Ehemann Dave. Gemeinsam berät das englische Paar internationale Unternehmen und vermarktet sein Wissen als Coach. Pam Welsby jettet dabei durch halb Europa: Ihre Kunden sitzen im Kosovo, aber auch in der Ukraine.
Dadurch, dass sie viel mit internationalen Unternehmen zusammen arbeitet, habe sie nie Probleme als Ausländerin in Slowenien gespürt und sich von Anfang an integriert gefühlt. Das Leben in Slowenien sei sehr angenehm, langsam und beschaulich. „Die Menschen verbringen ihre Freizeit anders, viel relaxter”, sagt Pam Welsby. Kontakte zu anderen Ausländern pflegt die Engländerin zwar, ist jedoch längst nicht mehr auf Networking-Veranstaltungen angewiesen. Ihr Startvorteil sei gewesen, dass sie zu Beginn ihrer Selbständigkeit bereits viele Slowenen kannte. „Dadurch habe ich wertvolle Hinweise bekommen, welcher Anwalt geeignet ist oder wie man ein Geschäftskonto bei einer Bank eröffnet”, sagt Pam Welsby.
Die Amerikanerin Tracie Tewalthomas ist eine globale Jobmigrantin. Slowenien liegt für sie zentral in Europa. / Veronika Wengert, n-ost.
Was die Britin von der Amerikanerin Tracie Tewalthomas, die seit fünf Jahren in Ljubljana lebt, unterscheidet, ist die Liste der Berufsorte. Tracie ist eine globale Jobmigrantin wie aus dem Bilderbuch. Seit 37 Jahren ist sie international unterwegs. Hat in Venezuela, Pakistan, China, Bolivien und anderen Ländern gelebt und von dort aus internationale Schulen betreut. Nur einmal, als ihre beiden Kinder noch klein waren, habe sie versucht, mit ihrem Mann wie eine amerikanische Durchschnittsfamilie zu leben. „Drei Jahre, länger haben wir es nicht ausgehalten und sind wieder ins Ausland gezogen”.
Auch am ursprünglichen Sitz ihres jetzigen Arbeitgebers in Jemen war sie tätig. Nach fast vier Jahrzehnten sei es dem Gründer des Privatschulnetzes dort allerdings zu heikel geworden – und so habe man sich nach einem neuen Standort umgesehen. Slowenien sei zentral, mitten in Europa. Und nicht zuletzt stand das Land kurz vor dem EU-Beitritt, als die Privatschulkette ihr Hauptquartier dorthin verlegt habe, erzählt die Geschäftsfrau. Tracie Tewalthomas hat einen vollgepackten Terminkalender. Gerade ist sie von einer Geschäftsreise aus Italien zurück gekehrt und in Kürze steht die Direktorenkonferenz auf der thailändischen Ferieninsel Phuket ins Haus. „Reisen ist ein wichtiger Bestandteil meiner Arbeit”, sagt sie. Einige Aufenthalte seien langfristig planbar, andere überhaupt nicht, wie beispielsweise, wenn irgendwo Probleme auftauchen. Ihr Mann zeigt Verständnis, denn der arbeitet im Nebenzimmer und ist ebenfalls seit einigen Jahrzehnten in der Verwaltung der Privatschulen tätig.
Länger als sieben Jahre – das war in Kiew – hat Tracie im Laufe ihrer gesamten beruflichen Karriere noch nie an einem Ort gelebt. Ihre Zeit in Ljubljana nähert sich langsam dieser Rekordmarke. „Eigentlich würde es ja mal wieder Zeit werden”, sagt die 57-Jährige. Von ihrem Büro in der Villa im Westen von Ljubljana betreut sie ein Netz von 37 Privatschulen in 26 Ländern. Davon zeugen auch die Urkunden an den Wänden, die Schulen in fernen Ländern wie Kirgistan, Armenien oder China zertifizieren. Slowenien ist also das Headquarter eines so global agierenden Schulsystems. Tracie Tewalthomas lacht, wenn sie daran denkt, dass das kleine Land im Ausland oft mit anderen Staaten verwechselt wird. Für sie ist es indes einfach der perfekte Standort, mit netten Menschen und einer intakten Natur. Und eben mitten in Europa.