Als Gast in der zweiten Heimat
„Ich bin ein Kind der Globalisierung“, sagt Slavomir Cauder und lacht, denn als er geboren wurde, gab es dieses Wort noch gar nicht. Der Vater, gebürtig in Ghana, promovierte in Prag, die Mutter arbeitete als Pharmazeutin in der Slowakei. Geboren und aufgewachsen ist Cauder in einer industriellen Kleinstadt in der Zentralslowakei. Dieses Land hat ihn geprägt. Trotzdem passiert es ihm immer wieder, dass ihn sogar Slowaken nicht für einen Slowaken halten. Zu stark wirkt der dunkle Teint.
Er ist ein Kind der Globalisierung,
sagt der Rechtsanwalt Slavomir Cauder
über sich selbst / Martin Svozilek, n-ost
Slavomir Cauder lebt in Prag und ist Anwalt in einer international besetzten Kanzlei zweier deutscher Partner. Erst spät zog es ihn von Bratislava weg, wo er nach seinem Studium begonnen hatte zu arbeiten. „Die Stadt ist zwar klein, aber sie ist perfekt gelegen. Über das Wochenende sind wir abwechselnd nach Wien, Budapest, Prag oder nach Krakau gefahren.“ Das war auch der Grund, warum er überhaupt in die Slowakei zurückkehrte. Er hatte in Bordeaux und Oslo studiert und sich schon auf ein Leben in Oslo eingerichtet, als ein lukratives Angebot aus Bratislava kam. Außerdem wurde der verhasste Premier Meciar abgewählt, die Stimmung im Land besserte sich. Irgendwann nach seiner Rückkehr nach Bratislava wurde aber die Wochenendflucht in die benachbarten Hauptstädte zum Dauergedanken. „Viele meiner Freunde sind in der Meciar-Zeit weggegangen.
Von zehn Freunden waren ungefähr acht weg. Da bin ich dann auch weg, dahin, wohin die meisten gegangen waren – nach Prag.“Die Zeit, als in der Slowakei der Premierminister Vladimir Meciar regierte, war für viele vor allem intellektuelle Slowaken eine Zeit der Perspektivlosigkeit. In allen Ländern um sie herum passierte etwas, alle drängten in die EU, nur die Slowakei entfernte sich immer weiter. Also gingen viele nach Tschechien, das den ehemaligen Brüdern bevorzugte Aufenthaltsbedingungen anbot.Der Strom der Exilanten riss aber auch nach dem Machtwechsel in Bratislava 1998 nicht ab. Die hohe Arbeitslosigkeit, das prosperierende Tschechien, die fehlende Sprachbarriere, die Vertrautheit der Umgebung – Gründe gab es genug. Slowaken sind in Tschechien faktisch Inländer, es ist, als ob es die Tschechoslowakei immer noch gibt. Das ist für Tschechien ein immenser Vorteil: Das Land kann auf ein großes Arbeitskräftereservoir zurückgreifen und spart sich die Integrationskosten.
„Wir sind nicht mal vier Minuten da und schon integriert. Außerdem sind die Slowaken dafür bekannt, mit großem Einsatz zu arbeiten“, wirbt Cauder für die Vorzüge seiner Landsleute, die er in Prag „an jeder Ecke“ trifft. Sie erkennen sich ganz einfach, denn wie Cauder sprechen auch alle Slowaken Slowakisch, weil das fast jeder Tscheche versteht.„Das einzige Problem sind Monatsnamen, Speisekarten sowie Flora und Fauna.“ Auf diesen Gebieten werden sich die beiden Völker wohl nie verstehen. „Als bei dem Hochwasser vor Jahren der Zoo überflutet war, entkam ein Seebär. Drei Tage hörte ich in den Nachrichten, dass das Tier die Elbe Richtung Dresden schwimmt und dass es noch lebt. Das war damals die Hauptmeldung. Ich dachte mir drei Tage lang: Schön, ES schwimmt nach Deutschland und lebt, aber bitte, was schwimmt da?!“ Erst das Wörterbuch brachte Aufklärung.Mehr als 70.000 Slowaken leben derzeit offiziell als Ausländer in Tschechien. Dazu kommen Tschechen slowakischer Nationalität, die hier schon seit mehreren Generationen heimisch sind. 2001 waren es fast 200.000. „Eigentlich haben wir den Laden hier schon übernommen“, scherzt Cauder.
Etwas Wahres ist da dran. Denn anders als vergleichbar große Ausländergruppen aus der Ukraine oder Vietnam, sind Slowaken auch in Spitzenpositionen vor allem in der Wirtschaft zu finden. Die wichtigsten Finanzgesellschaften kommen fast alle aus der Slowakei und der größte Agrar- und Chemieunternehmer ist ein Slowake. Und keinem in Tschechien würde einfallen, daran Anstoß zu nehmen. Erst in den letzten Jahren flaut der Zuzug etwas ab. In der Slowakei ist nicht nur die Arbeitslosigkeit gesunken, sondern auch die Löhne sind spürbar gestiegen. Und im Januar wird der Euro eingeführt – der sichtbare Beweis für den neuen Wohlstand.Für Slavomir Cauder ging es vor sieben Jahren weniger um Wohlstand. „Ich wollte noch einmal raus aus Bratislava, bevor ich zu alt dafür bin.“ Dabei war Prag das nahe liegende Ziel. Er hätte aber auch genauso gut in München landen können. Nur die strikte Regelung der Arbeitsgenehmigung verhinderte dies damals, also zog er doch nach Prag. „Als ich 2001 kam, brauchte ich keine Arbeitsgenehmigung.
Ich musste nur dem Arbeitsamt melden, dass ich hier arbeite“, beschreibt Cauder die verblüffend einfache Ankunft. „Genauso bei der Fremdenpolizei, dort musste ich mich auch nur melden und außerdem hatten sie für Slowaken einen extra Schalter eingerichtet.“Die Anwesenheit der starken slowakischen Diaspora in Tschechien macht vieles einfacher und wird immer dafür sorgen, dass der Strom aus der Slowakei nicht abreißt. „Meine Wohnung habe ich über einen slowakischen Freund gefunden und die Arbeit faktisch auch. Eine Freundin hatte mir den entscheidenden Tipp gegeben.“ Aber auch in der Folgezeit profitiert Cauder von seinen „Slowaconnections“, wie er sie nennt. „Du brauchst immer jemanden, der dich in eine bestimmte Gesellschaft einführt. Hier sind das für mich oft meine Landsleute.“Cauders Freunde in Prag sind aber nicht nur Slowaken, sie sind vor allem international geprägt, wobei keine Nation überwiegt. „Ich sehe mich hier immer noch als Gast und damit der internationalen Community an sich zugehörig“, definiert Cauder seinen Status.
Das verändert die Perspektive. Cauder wirkt international. So wie er spielend vom Slowakischen ins Tschechische wechselt – was keine Normalität ist und nur ganz wenigen Tschechen gelingt – nutzt er auch gern Englisch oder Deutsch, wenn er sich in dieser Sprache treffender ausdrücken kann. Französisch und Norwegisch spricht er außerdem. Für Cauder liegen New York, Berlin und Amsterdam teilweise näher als die zweitgrößte tschechische Stadt Brünn. Nicht nur sein Arbeitsumfeld, sein ganzes Leben ist international geprägt. Wird ihm dann Prag nicht irgendwann zu klein? „Ich habe schon immer das Gefühl eines Stadtmenschen in mir. Ich brauche städtischen Raum und großen Raum. Das liegt daran, dass ich aus einer Kleinstadt komme“, schildert er das Problem vieler Kleinstadtkinder. „Deshalb habe ich schnell mitbekommen, dass auch Bratislava seine Grenzen hat. Es ist eine phantastische Stadt, aber sie hat Grenzen. Und das fühle ich auch in Prag.“ Als der Slowake nach Prag kam, sollte das ein Intermezzo von fünf Jahren werden, dann wollte er wieder zurück.
Nun sind es sieben Jahre geworden, ohne dass sich etwas verändert hat. Sollte doch Prag die Endstation sein? „Ich fühle mich hier sehr wohl. Aber ich bin einfach keiner von hier, ich habe keinen Kredit für eine Wohnung, wie alle Tschechen in meinem Alter, weil ich nicht weiß was als nächste Möglichkeit kommt. Aber wer weiß, vielleicht bleibe ich ja doch hier.“In der Tat, Prag rückt ihm als Ausgangspunkt seiner multinationalen Welt immer näher. „Die Stadt hat gelernt, von der Energie der Ausländer zu profitieren und sie nicht zu blockieren. Sie schafft, das Gute aus den Leuten herauszuholen, was die Stadt weiterbringt.
Sie gibt den Ausländern die Möglichkeiten und bekommt ihre Ideen. Das ist für mich das kosmopolitische Element, dass diese Möglichkeit existiert.“Cauder vermittelt nicht den Eindruck eines rastlosen Menschen, der ständig einen Ortswechsel braucht. Im Gegenteil, er sieht sehr zufrieden aus und lebt den globalisierten Menschen im positiven Sinn. Er beherrscht die Codes der verschiedenen Welten souverän und ist doch als Slowake verankert. Irgendwann kehrt er zurück, soviel steht fest, wenn es auch schwer vorstellbar ist. Irgendwann nämlich will er in den Bergen leben, wo ihm noch ein altes baufälliges Haus gehört. Vielleicht ist dies aber auch nur eine der Möglichkeiten, bevor er sich wieder aufs internationale Parkett schwingt.