Rumänien

Fachkräftemangel trotz Finanzkrise

Rumänische Unternehmen suchen händeringend nach qualifizierten Arbeitskräften

(n-ost) - Trotz Finanzkrise geht in Rumänien die Arbeit nicht aus. Das Wirtschaftswachstum liegt bei acht Prozent, viele Unternehmen suchen händeringend nach qualifizierten Facharbeitern. Doch die Regierung in Bukarest scheint den Ernst der Lage nicht erfasst zu haben.Die Finanzkrise verschont auch Rumänien nicht. Besonders die Automobil-Zulieferer spüren den Nachfragerückgang nach Neuwagen bei ihren meist westeuropäischen Auftraggebern. Erste unfreiwillige Betriebsferien zeugen genauso von der Krise wie Gerüchte über bevorstehende Entlassungen. Allein der Vilsbiburger Auto-Zulieferer Dräxlmeier soll an seinen Standorten in Rumänien im nächsten Jahr 1000 Mitarbeiter vor die Tür setzen, heißt es in rumänischen Medien.Bei Schaeffler Rumänien im siebenbürgischen Brasov will man dagegen von Entlassungen nichts wissen. Werksleiter Alexandru Blemovici, derzeit Chef von 3.650 Beschäftigten, bestätigte aber einen Einstellungsstopp bis Ende des Jahres. Kurz vor der Finanzkrise hatte die Schaeffler Gruppe, Maschinenbauer und Zulieferer für die Automobil- und Luftfahrtindustrie aus dem mittelfränkischen Herzogenaurach, noch angekündigt, in Rumänien fast 1000 zusätzliche Mitarbeiter einzustellen und weitere 60 Millionen Euro zu investieren. Davon ist jetzt keine Rede mehr.Marko Walde, Geschäftsführer der Deutsch-Rumänischen Industrie- und Handelskammer in Bukarest, will nicht in den Chor derjenigen einstimmen, die für die rumänische Wirtschaft schwarz sehen. Er verweist auf das erwartete Wirtschaftswachstum von 8 Prozent in diesem Jahr – trotz Finanzkrise. Die Realwirtschaft sei, gerade wegen der relativ geringen Verschuldung des Landes und einer moderaten Inflation, weit weniger als in den Nachbarländern von der Krise betroffen.„Beim Konsumverhalten der Rumänen ist kaum eine Veränderung festzustellen“, sagt Walde. Darauf hätten auch mögliche Entlassungen bei Firmen, die primär für Westeuropa produzieren, nur wenig Einfluss. Denn: Auf dem völlig ausgetrockneten rumänischen Arbeitsmarkt finden Fachleute mit Berufserfahrung meist sofort wieder einen Job.Im Großraum Bukarest und den anderen Metropolen des Landes übersteigt die Arbeitslosenquote die Zwei-Prozent-Marke kaum. Die Finanzkrise macht leicht vergessen, dass in Rumänien viele Unternehmen nach wie vor händeringend nach Facharbeitern suchen. Als Folge der aktuellen Krise sei es zwar „um den Fachkräftemangel etwas ruhiger geworden“, sagt Alexandru Blemovici. Dennoch bezeichnet er es als ein Risiko für die Zukunft der rumänischen Wirtschaft, „dass unser Land zuwenig Facharbeiter ausbildet. Wir müssen selbst sehr viel in die Qualifizierung der Leute investieren, bis sie an der Maschine stehen können“. Schaeffler ist nur eines von rund 8.000 deutschen Unternehmen, die derzeit in Rumänien aktiv sind, darunter viele kleine und mittlere Betriebe.Marko Walde kennt die Ursache für den Facharbeitermangel: „In Rumänien hat man entweder ein Hochschulstudium – oder gar keine Ausbildung. Etwas dazwischen gibt es kaum und ist sozial nicht anerkannt.“ Weil der Staat keine Ausbildungen für Facharbeiter oder Kaufleute anbiete, müssten die Firmen dies selbst übernehmen. Beobachter sehen eine Ursache dieser Schwierigkeiten aber bereits in der unzureichenden Volksschulbildung. „Die Lage ist dramatisch“, warnt der Politologe Cristian Pirvulescu.Trotz aller Unwägbarkeiten im Bildungssektor: Als wichtigen Standortvorteil für ausländische Unternehmen nennt Marko Walde – nebst dem mit 22 Millionen Einwohnern sehr großen rumänischen Binnenmarkt – die vielen hoch qualifizierten jungen Hochschulabsolventen: „Ein Viertel der Rumänen ist unter 25 – hier stimmt die Bevölkerungspyramide noch.“Doch der völlig ausgetrocknete rumänische Arbeitsmarkt saugt die Uni-Abgänger sofort auf. Dies hängt auch damit zusammen, dass offiziell 2,5 Millionen Rumänen im Ausland arbeiten, vor allem in Italien und Spanien. Experten schätzen, dass es sogar fünf Millionen Emigranten gibt. Deren regelmäßige Geldüberweisungen nach Hause, so befürchten Beobachter, könnten nun wegen der Finanzkrise zurückgehen – mit Folgen für das Konsumverhalten.Rumänien, so sind sich Wirtschaftsexperten einig, ist heute als Investitionsstandort nur noch für jene Unternehmen interessant, in denen durch gezielte Qualifizierung oder Automatisierung ein Produktivitätszuwachs zu erreichen ist und dadurch steigende Löhne ausgeglichen werden. Die Textilindustrie, für die das Balkanland über Jahre attraktiv war, gehört nicht mehr dazu: „Wenn eine Näherin 30 Euro mehr Lohn bekommt, kann sie deswegen nicht schneller nähen“, veranschaulicht Unternehmensberater Johannes Book die Problematik. „Diese Betriebe lassen jetzt in Asien produzieren.“Spielräume gibt es dafür im IT-Bereich, der Softwareentwicklung, im Dienstleistungssektor und in der Baubranche – „in allen Bereichen, in denen es in Rumänien selbst Nachholbedarf gibt“, erklärt Marco Walde. Besonders deutlich zeigt sich dies im rasant wachsenden Bausektor, in dem derzeit 330.000 Beschäftigte arbeiten und Zehntausende von Stellen mangels Fachleuten nicht besetzt werden können.Um diese Chancen zu nutzen, fordert Walde deshalb von der rumänischen Regierung „dringend Konzepte für eine nachhaltige Wirtschaftsentwicklung“. Doch Wirtschafts- und Finanzminister Varujan Vosganian hat nichts dergleichen anzubieten. Die Parlamentswahlen am 30. November vor Augen, zündet er lieber ein Feuerwerk an Zahlen, die den Erfolg der rumänischen Wirtschaft und damit der national-liberalen Minderheitsregierung von Ministerpräsident Calin Popescu-Tariceanu unterstreichen sollen: eine Zunahme des Brutto-Inlandproduktes pro Kopf von 2.600 Euro im Jahr 2000 auf 6.500 Euro heute; eine erwartete Verdoppelung des Brutto-Durchschnittsgehalts von heute 450 Euro bis ins Jahr 2012; etwa 100 Milliarden Euro Investitionen innerhalb der letzten vier Jahre. Über die Verantwortung der rumänischen Regierung für die Ausbildungssituation verliert der Wirtschaftsminister aber kein Wort.
ENDE
Fotos zum Thema Wirtschaft in Rumänien gibt es bei ostphoto.de:
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